Was Unternehmen vom Fußball lernen können
Was Unternehmen vom Fußball lernen können
„Es geht nicht darum, etwas bis zur Perfektion zu üben, sondern da oben ein paar Synapsen zum Glühen zu bringen und dann auch andere Dinge besser zu beherrschen.“ So beschrieb Jürgen Klopp als Coach von Borussia Dortmund seinen kreativen und variablen Trainingsstil, der darauf abzielt, Spieler unter wechselnden Bedingungen mit unvorhersehbaren Situationen zu konfrontieren. In jeder Einheit erhielten sie zur Hirnaktivierung neue Herausforderungen. Der Erfolgstrainer hatte erkannt: Keine Spielsituation gleicht der anderen. Fußballer müssen sich permanent auf Neues einstellen, flexibel reagieren und sich an veränderte Umstände anpassen – so wie heute auch Mitarbeitende in Unternehmen.
Adaptionsfähigkeit eingebüßt
Mehr Druck, höheres Tempo, engere Räume kennzeichnen die Arbeitswelt ebenso wie den Fußball. Doch der Wandel, den der Fußball schon lange durchlief, steht vielen Unternehmen noch bevor. Nach Jahrzehnten der Sicherheit und des Wohlstands haben sie eher an Adaptionsfähigkeit eingebüßt, als sich auf stetigen Wandel einzustellen und diesen energisch und mutig anzugehen. Das müssen wir ändern. Wir müssen lernen, neue Situationen als Trainingseinheiten auf dem Weg zu neuen Fähigkeiten anzunehmen und die Herausforderungen insofern positiv zu bewerten. In vielen Unternehmen zeigt sich jedoch eine Erschöpfung, wie ich sie in meiner fast 30-jährigen Karriere als Unternehmensberater noch nie erlebt habe. Führungskräfte und Mitarbeiter wissen, wie wichtig Innovation und Entwicklung gerade jetzt sind, doch die Zuversicht, mehr zu schaffen und besser zu werden, schwindet.
Drei repräsentative Umfragen
Um zu überprüfen, ob diese Beobachtungen mehr als Einzelfälle waren, beauftragte ich das Pinktum Institute, dieses Phänomen wissenschaftlich zu untersuchen. Drei repräsentative Umfragen hat es seit Ende 2023 unter der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland durchgeführt. Alle belegen einen dramatischen Kraftverlust. Bereits vor einem Jahr gab jeder zweite Erwerbstätige an, weniger Energie als vor drei Jahren zu haben, im Halbjahresschritt stiegen die Zahlen weiter an. Jeder Dritte empfand zu wenig Kraft für seine Arbeit. Im Juni blickten wir auf die Krankmeldungen, die auf immer neue Höchststände klettern. Auch hier erweisen sich Erschöpfung und mangelnde Zuversicht als treibende Faktoren. 28% der Erwerbstätigen fragen sich oft, warum sie überhaupt noch zur Arbeit gehen sollen, „wenn doch sowieso alles bergab geht“. Vier von zehn Beschäftigten finden es okay, ab und zu blauzumachen.
Die Analysen zeigen, dass im starken Maße auch externe Faktoren ursächlich für die große Ermattung sind. Handelskonflikte, Kriege, steigende Energiekosten greifen tief in unser Alltags- und Wirtschaftsleben ein. Einzelne Unternehmen können diese kaum beeinflussen. Gerade deshalb ist es entscheidend, flexibler zu werden.
Doppelte Verantwortung
Die Unternehmen stehen unter diesen Vorzeichen in doppelter Verantwortung: für den eigenen Erfolg, aber auch für das Wohlergehen ihrer Mitarbeitenden. Als Beratung, die zahlreiche Unternehmen in diesem Change-Prozess hin zu höherer Adaptionsfähigkeit unterstützt, haben wir erlebt, dass die Probleme nicht – wie von vielen gewünscht und propagiert – kleiner werden, wenn die Menschen weniger arbeiten. Sie müssen in erster Linie weniger kraftraubend arbeiten!
Wir sehen zwei entscheidende Ansatzpunkte für eine Lösung: Erstens eine neue Führungskultur des Unternehmens, die stärker an der individuellen Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeitenden ansetzt, und zweitens eine Strukturierung des Arbeitsalltags, indem wir unsere kognitiven Kosten senken. Die Kraft-Krise erfordert ein radikales Umdenken in der Führungsetage. Führungskräfte müssen ihre Mitarbeitenden stärken, indem sie sie wertschätzen und ihnen mehr Verantwortung übertragen.
Dadurch entsteht im Team eine Dynamik, die es erst ermöglicht, gemeinsam Lösungen zu finden und Ziele zu erreichen.
Unsere Umfragen haben gezeigt, dass fehlende Wertschätzung und Anerkennung die größten Krafträuber sind. Auffällig ist, dass Führungskräfte diese Defizite selbst oft nicht wahrnehmen. Sie müssen mehr kommunizieren, direkter nachfragen, sich persönlich intensiver mit ihren Teams auseinandersetzen, um Störfaktoren zu erkennen und zu beseitigen.
Wichtig ist dabei, die Persönlichkeiten individuell zu stärken. Sich Zeit zu nehmen für den Einzelnen, ihn aber auch in seinen Ambitionen zu unterstützen und Sorgen aufzunehmen, gehört zu den Führungsfunktionen, die heute zu wenig Aufmerksamkeit bekommen.
Die Vielzahl der Herausforderungen, denen wir täglich gegenüberstehen, und die stark konzentrationserfordernden Aufgaben halten uns in einem eher negativ motivierten Denksystem. Die hohe mentale Beanspruchung laugt auf Dauer aus.
Eine konkrete kognitive Trainingsmöglichkeit, um dem zu entgehen, liegt in einer Art Intervalltraining für das Gehirn: Hier geht es um den gezielten Wechsel zwischen dem langsamen, gründlichen Denken und dem schnellen, intuitiven Denken. Die Unterscheidung der Denksysteme hat Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann mit seinem Bestseller „Thinking – Fast and Slow“ populär gemacht.
Gründliches Denken raubt deutlich mehr Kraft. Wir müssen also darauf achten, dass wir dieses nur dosiert einsetzten und uns nicht in endlosen, zu Mutlosigkeit führenden Grübeleien über Probleme verlieren, die wir sowieso nicht lösen können.
Außerdem sollten wir die Chancen nutzen, bürokratische Aufgaben, die permanente Kontrolle verlangen, verstärkt an die KI auszulagern und uns damit mehr kreative Freiräume für das Gehirn verschaffen.
Wir müssen ab und zu raus aus dem langsamen und rein ins schnelle Denken. Das können wir mit kognitivem Training gezielt üben und bei unseren Mitarbeitern tatsächlich die Synapsen zum Glühen bringen.
Neue Impulse erwarte ich auch vom diesjährigen Pawlik Congress, der am 11. und 12. November in Hamburg unter dem Motto „Und jetzt? – Wege nach vorne“ stattfindet.
Hochkarätige Speaker werden rund 250 Entscheidern und Entscheiderinnen ihre Thesen und Erkenntnisse präsentieren, darunter Magdalena Neuner, Deutschlands erfolgreichste Biathletin, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere entkräftet aus dem Leistungssport ausstieg. Wie fand sie nach der Resignation ihre neue Spur? Ich bin gespannt, das zu erfahren! Es gibt Wege, die Abwärtsspirale zu durchbrechen. Die Unternehmen müssen sie entschlossen beschreiten.