ANSICHTSSACHE

Wenn Arbeitnehmer selbständige Crowdworker werden

Börsen-Zeitung, 18.12.2015 Die Digitalisierung von Industrie und Dienstleistung verändert das Arbeitsleben massiv. Sie führt insbesondere mit der Plattformökonomie zu neuen disruptiven Geschäftsmodellen, wie beim Online-Fahrtenvermittler Uber oder...

Wenn Arbeitnehmer selbständige Crowdworker werden

Die Digitalisierung von Industrie und Dienstleistung verändert das Arbeitsleben massiv. Sie führt insbesondere mit der Plattformökonomie zu neuen disruptiven Geschäftsmodellen, wie beim Online-Fahrtenvermittler Uber oder den Crowdwork-Plattformen. Hier beschleunigen sich Digitalisierung und Globalisierung wechselseitig. Wie sind die Auswirkungen auf das Arbeitsrecht? Was ist die Rolle der Beschäftigten, ihrer Betriebsräte und Gewerkschaften? Neue BerufsbilderOb und wie viele Arbeitsplätze die Digitalisierung gefährdet, ist offen: Während die Oxford-Forscher Frey und Osborne davon ausgehen, dass knapp die Hälfte der Berufe und etwa jeder zehnte Arbeitsplatz in den USA in den nächsten 10 bis 20 Jahren gefährdet sind, erwartet das IAB für Deutschland nur ein Minus von 60 000 Stellen, also eineinhalb Promille der Arbeitsplätze. Eine Größenordnung, die beherrschbar scheint.Qualifizierung wird dabei eine große Rolle spielen. Das IAB erwartet, dass bis 2030 circa 730 000 Arbeitsplätze zwischen den Berufsfeldern umgeschichtet werden. Es entstehen neue Berufsbilder, wie etwa die IT-Systemmechatronikerin. Hier sind Sozialpartner und Politik zu vorausschauenden Aktivitäten aufgerufen. Auf betrieblicher Ebene können Betriebsräte gemäß § 97 BetrVG zur Berufsbildung handeln, wenngleich hier ein generelles Initiativrecht fehlt. Auch der Tarifvertrag zur Qualifizierung in der Metall- und Elektroindustrie, der ein Recht auf Weiterbildung beinhaltet, ist ein positives Beispiel.Beim Beschäftigtendatenschutz entstehen ebenfalls völlig neue Herausforderungen. Maschinendaten, die in Hülle und Fülle anfallen, sind in der Regel auf Beschäftigtenverhalten rückführbar. Damit bestehen Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG. Durch Betriebsvereinbarungen allein lassen sich die Gefährdungen für das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten kaum ausschließen. Neben solchen Regelungen werden technische Lösungen nötig, wie beispielsweise zertifizierte Löschroutinen. Darüber hinaus ist generell ein Mitbestimmungsrecht zum Datenschutz erforderlich. Flexibilisierung der ArbeitBeim Arbeitsschutz hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin auf erhebliche Unwägbarkeiten hingewiesen. Einerseits können durch Robotereinsatz physische Belastungen reduziert werden. Andererseits kann der schon jetzt erhebliche Stress durch Hilfsmittel wie Googleglas, eine internetfähige Datenbrille, oder verbleibende monotone Restaufgaben zunehmen. Hier hat der Betriebsrat mit § 87 BetrVG durch Mitbestimmungsrechte eine solide Handlungsgrundlage.Bei Arbeitszeit und Arbeitsweise wird eine Entgrenzung eintreten: Räumlich stellt sich bei mobilem Arbeiten die Frage nach dem Betrieb und seinen Grenzen, zeitlich verwischen die Grenzen zwischen Familie und Beruf. Hier den Acht-Stunden-Tag gegen die 48-Stunden-Woche im Arbeitszeitgesetz auszutauschen, löst keines der Probleme. Aus Beschäftigtensicht ist wichtig: Eine Flexibilisierung muss auch ihr Interesse, zum Beispiel an einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, berücksichtigen. Arbeitszeit liegt auch dann vor, wenn E-Mails abends von zu Hause beantwortet werden. Sinnvoll ist auch eine klare Bemessung der Arbeitspakete mit Beschwerde- und Revisionsmöglichkeit. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates sind allerdings begrenzt. Sie erfassen zwar Lage und Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit, nicht aber eine Bemessung der konkreten Arbeitsaufgabe. Betriebliche Regelungen werden nur gelebt, wenn sie zusammen mit den Beschäftigten entwickelt werden. BMW hat hierfür ein positives Beispiel geliefert, und Daimler zeigt gerade exemplarisch, wie eine Arbeitszeitdebatte geführt werden kann. 82 500 Beschäftigte aus Verwaltung und produktionsnahen Bereichen wurden befragt, über 33 400 haben Vorstand und Betriebsrat wichtige Hinweise gegeben, die in Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag einfließen werden. Wer ist Selbständiger?Das Geschäftsmodell der Plattformökonomie basiert darauf, dass alle über sie Beschäftigte angeblich Selbständige sind. Damit vermeiden die Plattformen als “Arbeitgeber” sämtliche Arbeitnehmerschutzrechte, Sozialversicherungen und Haftungsrisiken. Zudem sind die Beschäftigungsbedingungen oft grob unfair. Die Kategorisierung als Selbständige führt zu enormen Verwerfungen: So sollen nicht nur die Fahrer für Uber und alle Crowdworker Selbständige sein, sondern auch die Menschen, die über Plattformen wie TaskRabbit den Kühlschrank bestücken oder den Hund ausführen. 34 % der in den USA Erwerbstätigen, 53 Millionen Menschen, sollen Selbständige sein. In Deutschland ist die Quote deutlich niedriger, aber auch hier werden die Crowdworker schon auf eine Million geschätzt. In den USA laufen bereits Gerichtsverfahren, um den Arbeitnehmerstatus dieser sogenannten Selbständigen und damit entsprechende Rechte, wie zum Beispiel auf den Mindestlohn, durchzusetzen. Handelt es sich aber tatsächlich um Soloselbständige, ist die Politik gefordert, bei mit Arbeitnehmern vergleichbarer Schutzbedürftigkeit entsprechende Rechte einzuräumen und auch einen Zugang zum Sozialversicherungssystem zu ermöglichen.Eine erfolgreiche Digitalisierung setzt die Beteiligung der Menschen voraus, wie der CEO von Henkel, Kasper Rorstedt, zurecht festgestellt hat. Dazu sind auch verbesserte Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte, verstärkte Individualrechte für die Beschäftigten und eine aktive Politik erforderlich. Die Gestaltung der Digitalisierung ist eine gemeinsame gesellschaftliche Zukunftsaufgabe. Abwarten ohne jeden Gestaltungswillen wäre wenig zukunftsgerichtet.—-Dr. Thomas Klebe leitet das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht und ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Apitzsch/Schmidt/Klebe.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Thomas KlebeErfolgreiche Digitalisierung setzt die Beteiligung der Arbeitnehmer und die Wahrung ihrer Schutzrechte voraus.——-