"Wir bereinigen nicht nach Belieben"
IM INTERVIEW: KAI-ULRICH DEISSNER
"Wir bereinigen nicht nach Belieben"
Finanzchef von Ceconomy will trotz hoher Wertkorrekturen an Fnac-Darty-Beteiligung festhalten – Ausschüttungssperre unterstützt bilanzielle Gesundung
Von Annette Becker, Düsseldorf
Ceconomy, die Muttergesellschaft von Media Markt und Saturn, beschreitet einen mühsamen Restrukturierungspfad. Das operative Ergebnis hat sich zuletzt verbessert, doch die Bilanzrelationen sind angespannt. Wie das Management das Ruder herumreißen will, erläutert Finanzvorstand Kai-Ulrich Deissner im Interview.
Herr Deissner, Ceconomy hat das operative Ergebnis im abgelaufenen Geschäftsjahr gesteigert. Die Marge auf das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) ist mit 1,1% jedoch verbesserungswürdig. Wo setzen Sie an?
Unser Mittelfristplan ist eine Ebit-Marge von 2,5%. Das ist dann zwar noch nicht Street-Leading, aber ein guter Median. Die Treiber sind eine Mischung aus der Stärkung des klassischen Retail-Geschäfts und neuer Geschäftsmodelle, die wir auf Basis des Handelsgeschäfts aus- und aufbauen. Als ich vor zwölf Monaten gekommen bin, hatten wir ein Ebit von 200 Mill. Euro. Wir wollen es bis 2025/26 auf 500 Mill. Euro steigern und haben im vergangenen Jahr einen guten ersten Schritt gemacht.
Die neuen Geschäfte Services & Solutions und Marktplatz sind selbsterklärend. Aber was ist Retail Media?
Wir haben online und offline Vertriebsflächen. Auf dem Marktplatz bieten Dritte ihre Ware zum Verkauf an. Im Retail-Media-Geschäft bieten wir Dritten unsere Vertriebsfläche an, um dort Werbung zu schalten. Der Werbetreibende erhält Zugang zu Kunden, die wir sehr spezifisch identifizieren können. Damit ermöglichen wir treffergenaue Werbung.
Wann haben Sie Retail Media gestartet?
Vor anderthalb Jahren. Jetzt sind wir mitten im Hochlauf und die Bruttoergebnisbeiträge werden immer größer. Bis 2025/26 wollen wir daraus einen Bruttoergebnisbeitrag von 45 Mill. Euro erlösen. Wir machen große Fortschritte.
Kai-Ulrich DeissnerMit Retail Media werden für uns bei den Herstellern die Media-Budgets nutzbar.
Sind das aus Ihrer Sicht Anzeigenerlöse? Umsatzprovisionen ergeben sich daraus ja nicht.
Das ist richtig. Aber der entscheidende Punkt ist, dass wir an einen Erlösstrom kommen, an dem wir heute nicht partizipieren. Natürlich bekommen wir auch heute schon Werbekostenzuschüsse von den Herstellern. Mit Retail Media werden für uns bei den Herstellern die Media-Budgets nutzbar. Die Hersteller wollen heute die Effizienz ihrer Werbeausgaben messen und benötigen dazu Daten aus erster Hand – unsere Daten. Es geht über die reine Online-Werbung hinaus in Richtung Datenanalyse. Das ist ein zusätzlicher Erlösstrom. Der Markt, den wir adressieren, ist ein viel größerer.
Wie stellen Sie sicher, dass die Hersteller die Werbekostenzuschüsse anschließend nicht kürzen?
Darauf müssen wir im Gespräch mit unseren Lieferanten sehr genau achten. Das ist ein wichtiges Thema. Wir unterscheiden sehr genau, ob der Erlösstrom zusätzlich oder substituierend ist.
Erlöse sind das eine, Ergebnis das andere. Ceconomy bereinigt Jahr für Jahr hohe Millionenbeträge. Führt die Bereinigung nicht in die Irre?
Wir bereinigen nicht nach Belieben. Wir diskutieren natürlich auch mit unserem Wirtschaftsprüfer, ob eine Bereinigung in die Irre führt. Die bereinigte Zahl gibt Auskunft über die Entwicklung des operativen Geschäfts. Die unbereinigte Zahl zeigt unter dem Stichwort „Garage aufräumen“, wie viel noch drin ist. Die Bereinigungen im vorigen Jahr waren primär getrieben durch die Dekonsolidierung von Schweden und Portugal sowie die Wertberichtigung auf Fnac Darty. Es ist richtig, dass es zwischen bereinigt und unbereinigt in den vergangenen Jahren erhebliche Unterschiede gab. Es ist mein erklärtes Ziel, diesen Unterschied deutlich zu verringern.
Was machen Sie langfristig mit der Beteiligung von 23% an Fnac Darty?
Wir schauen auf diese Beteiligung mit einer strategischen Perspektive. Grundsätzlich bin ich lieber an dem anderen europäischen Player beteiligt als umgekehrt. Und die Märkte für Consumer Electronics sind in Europa extrem fragmentiert. In neun der elf Märkte, in denen wir unterwegs sind, sind wir entweder Marktführer oder an Position 2, manchmal mit Marktanteilen von 20%. Das gibt es viel Raum für Konsolidierung noch in jedem Land.
Zur Person
Kai-Ulrich Deissner lockt die Herausforderung. Nur deshalb ließ sich der 55-Jährige im Februar 2023 von Ceconomy als Finanzvorstand anwerben. Er habe die Wahl gehabt zwischen einem gemütlichen Ritt in die Abendsonne bei der Telekom, für die er seit 2004 arbeitete, oder einem Ritt auf der Achterbahn, erzählt der promovierte Philologe ganz freimütig. Die Entscheidung fiel am Ende für den Elektronikhändler. Warum? Weil in Unternehmen, die wirtschaftlich nicht eben glänzend dastehen, unmögliche Dinge plötzlich möglich werden. Daraus schöpft Deissner Energie. Dabei ist es keineswegs ausgemacht, dass Ceconomy den begonnenen Marathonlauf bis zum Ende durchhält. Ganz im Gegensatz zu Finanzchef Deissner, der dem Ultralangstreckenlauf frönt.
Was heißt das nach vorne geblickt?
Kurz- bis mittelfristig halte ich die Konsolidierung innerhalb eines nationalen Marktes für deutlich stärker wertgenerierend als über Märkte hinweg. Natürlich gibt es vorstellbare Synergien. Andererseits gibt es viele kleinere Opportunitäten, deren Case um Dimensionen besser ist.
Die Beteiligung ist hoch volatil. Halten Sie dennoch daran fest?
Ich sehe keinen Grund, von der strategischen Perspektive abzuweichen. Vielleicht noch zur Wertberichtigung: Die Beteiligung ist auf einen konservativen Wert abgeschrieben. Daher gehen wir aus heutiger Sicht davon aus, dass absehbar keine weitere Wertkorrektur notwendig wird.
Wie weit sind Sie auf dem Weg der Transformation?
Nehmen wir das Bild des Marathonlaufs. Anders als in der Vergangenheit dieses Unternehmens haben wir nicht nur das Ziel formuliert, einen Marathon zu laufen. Sondern wir haben Schuhe angezogen, haben trainiert und sind losgelaufen. Außerdem haben wir einen Laufplan. Wir wissen, welche 5-km-Abschnitte wir in welcher Geschwindigkeit laufen wollen. Nach meiner Einschätzung sind wir ungefähr bei 15 km.
Was bedeutet das mit Blick auf die Transformationskosten?
Wir sehen, dass manche Ziele schneller erreichbar sind. Bei anderen müssen wir nacharbeiten. Die Transformationskosten sind primär durch ein großes Umbauprogramm getrieben, das wir vor einem Jahr gestartet haben. In Summe kostet das 100 Mill. Euro. In diesem Geschäftsjahr wird noch ein Teil anfallen, dann sind wir durch. Dem stehen Kosteneinsparungen von 130 Mill. Euro gegenüber, die jährlich wiederkehren. Als Basis gilt das Geschäftsjahr 2021/22. Die Transformation wird allerdings nicht am Ende dieses Geschäftsjahres abgeschlossen sein.
Kai-Ulrich DeissnerDas Eigenkapital lässt sich nur nach oben bringen, wenn unbereinigt ein Bilanzgewinn geschrieben wird.
Ihre Eigenkapitalquote liegt unter 5%. Bereitet Ihnen das Kopfschmerzen?
Dreh- und Angelpunkt, um das Unternehmen auf ökonomisch gesündere Füße zu stellen, ist die operative Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Wenn ich mir die Bilanz anschaue, sehe ich beruhigende Elemente wie die Verschuldung jenseits der Leasingverbindlichkeiten.
Wie hoch sind die Leasingschulden?
Das sind 1,8 Mrd. Euro. Bleiben also lediglich 800 Mill. Euro an reinen Finanzschulden. Das ist bei dieser Bilanzsumme keine dramatische Zahl. Ich sehe auch Elemente, mit denen ich nicht zufrieden bin, und dazu gehört die Eigenkapitalquote. Es ist das erklärte Ziel, die Eigenkapitalquote nach oben zu bringen. Das Eigenkapital lässt sich jedoch nur nach oben bringen, wenn unbereinigt ein Bilanzgewinn geschrieben wird.
Inwieweit spielen bei der Eigenkapitalquote die Verlustvorträge rein, die aus der Integration der Media-Saturn-Holding (MSH) stammen?
Ein Aspekt der MSH-Transaktion war, dass wir die Verlustvorträge jetzt nutzen können. Die Verlustvorträge haben aber auch eine Schüttungssperre zur Folge. Das heißt, wir dürfen einen HGB-Bilanzgewinn bis zu einer bestimmten Grenze nicht schütten. Damit steht der Bilanzgewinn zur Stärkung der Eigenkapitalquote zur Verfügung. Das ist zugleich der gesunden, finanziellen Struktur des Unternehmens zuträglich. Mit dem Erfüllen der Mittelfristziele werden wir wieder einen Entscheidungsspielraum für eine Dividende haben.
Die Finanzverschuldung halten Sie für unproblematisch. Trotzdem ist das Rating sehr schwach. Bekommen Sie am Kapitalmarkt noch Geld?
Auch beim Rating ist es eine Frage des Horizonts. Vor mehr als zwölf Monaten war ein stetiges Abschmelzen unseres Ratings zu beobachten. Mittlerweile haben wir eine stabile Ratingsituation. Das Rating bietet Spielraum nach oben, wenn wir unseren Plan erfüllen. Wir sehen keinerlei Hürden beim Zugang zu den Debt-Märkten.
Sie haben im vergangenen Jahr einen stolzen Swing im Cashflow hingelegt. Wie nachhaltig ist das?
Wenn Sie auf die Hierarchie der internen Ziele schauen, dann steht das Net Working Capital und damit die Optimierung des Cashflows auf der Prioritätenliste ganz oben. Der große Swing im Cashflow von fast 1 Mrd. Euro wird sich in diesem Maße nicht wiederholen. Wir haben einen stabilen Free Cashflow von 200 Mill. Euro bis 2025/26 versprochen. 2022/23 wurde der freie Cashflow maßgeblich durch die Veränderung im Net Working Capital getrieben. Die Veränderungen im Net Working Capital werden weiterhin positiv sein, aber nicht mehr in diesem Maße.
Faktisch haben Sie die Lagerbestände abgebaut. Leidet darunter nicht automatisch die Warenverfügbarkeit?
Das Bestandsmanagement ist einer unserer Kernhebel. Ich gebe ein Beispiel: Wir haben für Deutschland in Göttingen ein zentrales Logistiklager aufgebaut, über das aber noch nicht alle Warenströme laufen. Die Verbesserungen in der Logistik werden es uns erlauben, das Bestandsmanagement weiter zu optimieren und Verfügbarkeit sogar noch zu steigern, weil wir die Ware schneller drehen.
Kai-Ulrich DeissnerUnsere Ankeraktionäre sind nicht von einer verlässlichen Dividendenausschüttung getrieben.
Ceconomy ist weder Wachstums- noch Dividendenwert. Wie wollen Sie die Attraktivität der Aktie erhöhen?
Unsere Ankeraktionäre schauen strategisch auf das Investment und sind nicht von einer verlässlichen Dividendenausschüttung getrieben. Der Streubesitz, der heute investiert ist, oder Investoren, die in den letzten Monaten eingestiegen sind, sehen dagegen großes Upside-Potenzial, weil die Marktbewertung vom inhärenten Wert stark abweicht.
Der Zuspruch lag doch an der Spekulation, der Großaktionär Haniel verhandele mit JD.com über den Verkauf des Aktienpakets. Was hieße das?
Ich kann nur sagen, dass wir dieses Unternehmen umbauen und uns auf dem Weg, den wir gerade gehen, echt wohl fühlen. Die Spekulation an sich kommentieren wir nicht.
Die Marktkapitalisierung von Ceconomy beläuft sich grob auf 1 Mrd. Euro. Dennoch sitzen 20 Leute in ihrem Aufsichtsrat. Wie passt das zusammen? Liegt das an der Aktionärsstruktur mit vielen unterschiedlichen Ankeraktionären?
Es steht mir nicht zu, zu bewerten, ob der Aufsichtsrat zu groß oder zu klein ist. In den vergangenen zwölf Monaten habe ich im Aufsichtsrat ausschließlich konstruktive, inhaltliche Diskussionen zum Kurs des Unternehmens wahrgenommen. Als Vorstand dieses Unternehmens fühle ich mich vom Aufsichtsrat wirklich gut unterstützt.
Das Interview führte Annette Becker.