Chemieindustrie

„Wir glauben nicht an ein frohes neues Jahr“

Die Energiekrise und eine rückläufige Nachfrage setzen der deutschen Chemieindustrie zu. Für 2023 ist keine Besserung in Sicht.

„Wir glauben nicht an ein frohes neues Jahr“

swa Frankfurt

Die deutsche Chemieindustrie steckt in einer tiefen Krise und rechnet nicht mit einer schnellen Erholung. „Die Lage ist dramatisch“, warnt Markus Steilemann, Präsident des Branchenverbands VCI, auf der Jahrespressekonferenz. Hohe Energiepreise, aber auch die Verteuerung von Rohstoffen und Vorprodukten machten den Unternehmen zu schaffen. Viele Produzenten stünden mit dem Rücken zur Wand. Die Ertragslage habe sich rapide verschlechtert, jedes vierte Unternehmen verbuche Verluste. Insbesondere der Mittelstand sei betroffen. Viele Firmen hätten ihre Produktion gedrosselt oder würden dies in Kürze beabsichtigen.

Steilemann warnt vor den gesamtwirtschaftlichen Effekten der misslichen Lage, die schwierige Situation der Chemie strahle weit über die Branche hinaus. Die Sorge vor einer Deindustrialisierung sei groß. Es bestehe die Gefahr, dass Produktion ins Ausland abwandere – vor allem nach Asien und Nordamerika.

Bei fast jedem vierten Unternehmen sei eine Verlagerung konkret geplant oder bereits umgesetzt. Jedes fünfte Unternehmen hat laut VCI wegen der Energiekrise Aufträge ablehnen müssen. Bei Polymeren seien die Preise bereits rückläufig, weil Kunden auf Bestellungen verzichteten und im Ausland einkauften.

Nach Einschätzung von Steilemann sind Versorgungsengpässe zu befürchten: „Weil die Chemie mit angezogener Handbremse produzieren muss, werden einzelne Grundstoffe bereits knapp.“ Der Manager verweist auf Pigmente, Carbon- und Glasfasern, Salzsäure, Natronlauge, technisches CO2, organische Silikonverbindungen oder Eisenchlorid. „Die Wertschöpfungsketten reißen“, warnt er. Es seien nicht alle Produkte durch Importe zu ersetzen, die Zukunft von Teilen der deutschen Chemie stehe auf dem Spiel.

Für das laufende Jahr hat der VCI die Prognose noch mal korrigiert und stellt nun einen Rückgang der Produktion von 6% in Aussicht nach bislang erwarteten 5,5 %. Für die Chemie ohne Pharma werden sogar Einbußen von 10% gesehen, zuletzt hatte der Verband noch ein Minus von 8,5% vorhergesagt. Da die Branche die Preise noch kräftig um voraussichtlich 22% erhöhen konnte, wird der Umsatz 2022 nach bisheriger Rechnung um 17,5% auf 266,5 Mrd. Euro wachsen. Preisbereinigt würde er indes um 5 % unter dem Niveau des Vorjahres liegen.

Auch im kommenden Jahr erwartet der VCI keine Besserung der Lage. „Wir glauben nicht an ein frohes neues Jahr“, sagt Steilemann. Die Vorzeichen seien schlecht, die Energiekrise zwinge Deutschland in die Rezession. Nach derzeitigem Stand rechne der VCI für 2023 mit einem weiteren kräftigen Produktionsrückgang in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Auch der Umsatz werde sich wohl negativ entwickeln.

Steilemann appelliert an die Bundesregierung, mehr zu tun. Bei der Strom- und Gaspreisbremse seien Nachbesserungen nötig, damit die Unterstützung in den betroffenen Firmen ankomme. „Die Hürden für unsere Unternehmen, die Hilfen in Anspruch zu nehmen, sind brutal“, sagt Steilemann. Die festgelegten Förderobergrenzen seien vor allem für Großverbraucher viel zu niedrig.

Für problematisch hält der VCI auch verschärfte Vorgaben für Boni und Dividenden sowie den Zwang, Rücklagen zu bilden, sofern das operative Ergebnis Ebitda nicht um mindestens 40 % sinke. Auch die eingeforderte Beschäftigungsgarantie enge die Betriebe zu sehr ein.

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