David Schröder, Zalando

„Wir haben das Geld, das wir brauchen“

Der Zalando-Finanzvorstand David Schröder über den Wachstumsplan 2025 und seine Finanzierung, den Spagat zwischen Start-up-Mentalität und Dax-Zugehörigkeit sowie Nachhaltigkeit bei dem Online-Modehändler.

„Wir haben das Geld, das wir brauchen“

Helmut Kipp

Herr Schröder, kaum kam Zalando im September in den Dax, geriet die Aktie unter Druck. Bekommt Ihnen der Aufstieg nicht?

Ich weiß nicht, ob man das in Zusammenhang bringen kann. Der Aktienkurs ist immer eine Momentaufnahme. Unser Ziel ist, den Kurs über die Zeit zu steigern. Wenn Sie die Entwicklung seit dem Börsengang 2014 mit einem Emissionspreis von 21,50 Euro sehen, dann haben wir eine ganze Menge Wert geschaffen. Ich bin sicher, dass das auch in Zukunft gelingen wird.

Sind die Erwartungen der Anleger gestiegen?

Nein, die Erwartungen haben sich nicht verändert. Zalando ist und bleibt ein Wachstumsunternehmen. Wir gewinnen Investoren, die an unsere langfristige Wachstumsstory und an die Transformation der Branche glauben. Noch immer finden fast 80% der Modeumsätze offline statt. Das wird sich immer stärker Richtung online verschieben. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend be­schleunigt. Zunehmend zieht auch unsere Nachhaltigkeitsstrategie In­vestoren an. Denn als Plattformbetreiber können wir der ganzen Branche helfen, nachhaltiger zu werden, und so viel erreichen.

Wie wirkt sich die Dax-Zugehörigkeit auf den Investorenkreis aus?

Der Dax-Aufstieg 13 Jahre nach Firmengründung ist ein Meilenstein. Er zeugt davon, dass wir einen guten Job gemacht haben. Das Beste liegt aber noch vor uns. Der Dax hilft in puncto Bekanntheit, gerade bei Investoren außerhalb Europas, die so auf Zalando aufmerksam werden.

Wie verändert die Dax-Mitgliedschaft das Unternehmen selbst? Zalando gilt jetzt quasi als etablierte Firma.

Nichts liegt uns ferner als das. Wir verstehen uns überhaupt nicht als etabliertes Unternehmen und wollen auch nicht so gesehen werden. In dieser Hinsicht ist der Dax in der Tat zweischneidig. Zalando hat 2008 als kleines Start-up angefangen in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung und einem Keller, der als Logistikzentrum diente. Der Kundenservice fand auf den Handys der beiden Gründer statt. Es ist Teil des Erfolgs, die Start-up-Mentalität zu bewahren, die darin besteht, Opportunitäten zu nutzen, die andere aus Scheu vor dem Risiko auslassen, und sich innovative Lösungen auszudenken. Gleichzeitig gilt es, mehr Investment hinter die Dinge zu packen, von denen wir überzeugt sind. Da hilft Größe.

Zalando hat inzwischen mehr als 16 000 Mitarbeiter. Wie kann man da Start-up-Kultur bewahren?

Das ist tagtäglich eine Herausforderung. Hilfreich ist vor allem, dass große Teile des Startteams weiter an Bord sind. David Schneider und Robert Gentz, die beiden Gründer und Co-CEOs, prägen das Unternehmen nach wie vor. Sie transportieren, welche Werte Zalando erfolgreich gemacht haben. Diese Prinzipien haben wir im Founding Mindset niedergeschrieben. Wir sprechen sehr viel mit den Mitarbeitern über die Werte. Die Firmenkultur ist unser größter Schatz.

Ein Merkmal von Wachstumsunternehmen ist, dass sie – wie Zalando – keine Dividende zahlen. Bleibt es dabei?

Auf absehbare Zeit ja. Solange wir stark wachsen und stark investieren, wird es keine Dividende geben. Das steigert den Unternehmenswert am meisten. Falls sich irgendwann das Wachstum verlangsamt, kann man über eine Dividende nachdenken.

Ein heikler Punkt in der Investorenkommunikation sind die hohen Vorstandsgehälter. Das zeigte sich wieder auf der letzten Hauptversammlung, als 27,7% der Aktien gegen das neue Vergütungssystem stimmten. Sind Korrekturen geplant?

Wir fühlen uns mit dem vorgestellten Modell wohl. Das Vergütungssystem passt zu einem Wachstumsunternehmen. Es betont das unternehmerische Element und ist an ESG-Ziele geknüpft. Das Grundgehalt ist sehr niedrig, dafür gibt es – bei entsprechender Aktienkursentwicklung – eine ausgeprägte variable Komponente. Wir haben im Vorfeld mit unseren großen institutionellen Investoren das Modell im Detail besprochen und deren Unterstützung eingeholt.

Sind so fürstliche Entlohnungen wie 53,3 Mill. Euro im Jahr 2020 für den inzwischen ausgeschiedenen Co-CEO Rubin Ritter und jeweils 40,5 Mill. Euro für die beiden anderen Co-CEOs der Öffentlichkeit vermittelbar?

Das Fixgehalt der Co-CEOs beträgt nur 65 000 Euro. Vergleichbares gibt es weder im Dax noch im MDax. Die variablen Komponenten ermöglichen es, bei erfolgreichem Geschäftsverlauf zu partizipieren. Vor 13 Jahren war der Unternehmenswert bei null, jetzt sind es rund 20 Mrd. Euro. Vor dem Hintergrund sind die Beträge vertretbar. In anderen Ländern gibt es deutlich höhere Erfolgsbeteiligungen. Viele Mitarbeiter sind Aktionäre, auch sie profitieren vom Kursanstieg.

Zalando will das über die Plattform abgewickelte Volumen bis 2025 auf mehr als 30 Mrd. Euro verdreifachen. Der Modemarkt in Europa wächst aber kaum. Das Wachstum kann also nur durch Verdrängung erreicht werden.

Man mag das Verdrängung nennen, wir sprechen von Transformation. Wir wollen Mode neu denken. Das bedeutet mehr Digitalisierung und mehr Nachhaltigkeit. Wir wollen aus der Branche eine Industrie machen, die ihre Kunden noch besser bedient, und gerade kleineren Händlern und Marken die Möglichkeit geben, erfolgreich zu sein. Wenn wir dadurch Marktanteile gewinnen, ist das legitim.

Wie hoch sind die erforderlichen Investitionen?

Wir brauchen drei Arten von Investitionen für das geplante Wachstum. Erstens müssen wir in Kundengewinnung und in Marketing investieren. Zweitens in Technologie, um die Kunden zu halten, also zum Beispiel in unsere App, die Verbesserung des Kundenerlebnisses und neue Angebote wie Beauty und Second Hand. Und drittens muss die Logistik ausgebaut werden. Zalando verfügt in Europa bereits über das führende Netzwerk für Mode und Lifestyle mit zwölf Standorten. Bis 2025 sind mindestens sieben weitere Standorte geplant. Jedes neue Logistikzentrum erfordert Investitionen von deutlich über 100 Mill. Euro.

Welcher Gesamtbetrag ergibt sich?

Wir geben rund 1 Mrd. Euro im Jahr für Marketing aus, eine weitere Milliarde fließt in das Team, das die Produkte baut. Und mindestens eine Milliarde wird in den nächsten Jahren für die Erweiterung der Logistik notwendig sein. Wir sind nicht auf externe Finanzierung angewiesen, um diese Investitionen zu stemmen. Der laufende Cash-flow und der Finanzmittelbestand von mehr als 2 Mrd. Euro reichen dafür aus. Zalando ist gut kapitalisiert, auch im Wettbewerbsvergleich.

Zuletzt wurde im Sommer 2020 eine Wandelanleihe über 1 Mrd. Euro platziert. Mit weiteren Emissionen ist also nicht zu rechnen, seien es Anleihen oder neue Aktien?

Wir haben das Geld, das wir brauchen, um den Wachstumsplan 2025 umzusetzen. Dies sicherzustellen, war einer der Hauptgründe für die Wandelanleihe. Künftig werden wir weiter nach Möglichkeiten suchen, die Finanzierung zu optimieren, und eventuell andere Instrumente hinzufügen. So nutzen viele Dax-Unternehmen den Bondmarkt stärker, als wir das tun. Wir werden sehen, wann das für uns relevant werden könnte.

Welche Bedeutung hat die revolvierende Kreditlinie von 500 Mill. Euro, die inzwischen zurückgezahlt wurde?

Die Fazilität haben wir uns beim IPO gesichert. Dies ist eine Vorsorgelinie und gehört zu einem gesunden Finanzierungsmix. Im März 2020 beispielsweise, als die Coronawelle losbrach, haben wir die Linie gezogen, weil das Geschäft in den ersten Wochen des Lockdowns plötzlich schrumpfte. Es galt sicherzustellen, dass sich das Unternehmen auch unter schwierigen Bedingungen gut entwickeln kann. Das Geschäft hat sich aber schnell erholt. Mit Begebung der Wandelanleihe wurde die Linie zurückgeführt. Aktuell steht sie wieder in voller Höhe zur Verfügung.

Schließt das Wachstumsziel für 2025 Übernahmen ein?

Das 30-Mrd.-Euro-Ziel ist weitestgehend organisch getrieben. Dafür sind wir nicht auf Akquisitionen angewiesen. Übernahmen sind sinnvoll, wenn man Fähigkeiten dazugewinnt, die man allein nicht so schnell aufbauen kann. Wir verfolgen den Markt und schließen opportunistische Zukäufe, die in unsere Strategie passen, nicht aus.

Mit der zunehmenden Bedeutung des Partnerprogramms steigt der Dienstleistungsanteil im Umsatz. Das müsste die Marge, die 2020 bei 5,3% lag, nach oben treiben.

Das stimmt. Wir peilen langfristig eine operative Umsatzrendite von 10 bis 13% an. Dabei sieht die Planung eine bereinigte Marge von 20 bis 25% im Partnergeschäft und von 6 bis 8% im klassischen Handelsbereich vor.

Im dritten Quartal haben sich Wachstum und Gewinn nach dem Schub durch Corona normalisiert. Wie sind die Erwartungen für die letzten drei Monate 2021?

Wir haben die Guidance für das Gesamtjahr mit einem Wachstum des Bruttowarenvolumens zwischen 31 und 36% und einem bereinigten Gewinn vor Zinsen und Steuern in der oberen Hälfte der Spanne von 400 bis 475 Mill. Euro bestätigt. Das impliziert ein gutes viertes Quartal. Der Start im Oktober war gut, zum Teil begünstigt durch den verschobenen Start der Herbst/Winter-Saison aufgrund des warmen Septembers. Auch für die kommenden Wochen sind wir optimistisch, gerade mit Blick auf Cyber Week und Weihnachtsgeschäft.

Wird das bereinigte Ebit das Vorjahresniveau erreichen?

Zalando kehrt bei Wachstum und Profitabilität auf den Vor-Corona-Pfad zurück, aber bezogen auf ein deutlich höheres Niveau. Insofern ist damit zu rechnen, dass sich die Marge im vierten Quartal auf 2019er Niveau bewegen wird, als sie bei 5,6% lag. So war es bereits im dritten Jahresviertel.

Bleiben Ihnen die in Pandemiezeiten gewonnenen Abnehmer treu?

Nach sechs Quartalen seit Ausbruch der Pandemie zeigt sich, dass die Kunden uns die Stange halten. Man sieht das an der Zunahme der aktiven Kunden von 30% und am Anstieg der durchschnittlichen Bestellungen auf einen Rekord von 5,1 in den letzten zwölf Monaten.

Mit welchen Erwartungen gehen Sie in das neue Jahr?

Wir wollen einen guten Schritt in Richtung der 2025er Ziele machen. Was das genau heißt, werden wir mit den Jahreszahlen für 2021 kommunizieren. Derzeit liegen wir vor dem im vergangenen März angekündigten Fünfjahresplan. Das stärkt unsere Überzeugung, die ambitionierten Vorgaben zu erreichen.

Wie sieht es in den Lieferketten aus? Kommt die bestellte Ware zum vereinbarten Zeitpunkt?

Der Großteil der Ware wird Monate im Voraus bestellt und geliefert. Die Winterkollektion, die seit September verkauft wird, ist also längst da. Daher gibt es aktuell keine Probleme, die Nachfrage zu decken. Wir sind aber nicht immun gegen Supply-Chain-Risiken. Bei den Lieferungen für die nächste Sommersaison, um die wir uns momentan kümmern, gibt es definitiv Verspätungen. Als Plattformunternehmen haben wir aber den Vorteil, stärker als klassische Händler verschiedene Bezugsquellen anzapfen zu können. Zalando greift nicht nur auf die selbst eingekaufte Ware zurück, sondern auch auf die Lager der Partnermarken. Darüber hinaus sind wir mit mehr als 5000 stationären Einzelhändlern verbunden, bei denen ebenfalls Ware lagert. Dadurch lassen sich Schwan­kungen zu einem gewissen Grad ausgleichen.

Sind die Partner nicht ebenfalls von Lieferproblemen betroffen?

Sicher. Die Lieferkette bleibt eine Herausforderung für die gesamte Branche. Aber insgesamt haben wir für die nächsten Monate eine komfortable Bestandssituation. Ich bin sicher, dass Zalando auch im nächsten Jahr ein attraktives Sortiment anbieten kann.

Ein Kostenfaktor und ständiges Ärgernis sind die vielen Retouren. Im Online-Modehandel geht die Hälfte der bestellten Ware zurück. Was tun Sie dagegen?

Das Thema Retouren beschäftigt uns seit Gründung. Anfangs gab es Zweifel, ob man jemals Mode profitabel online verkaufen kann. Dass das geht, haben wir bewiesen. Die Retouren verursachen Kosten und Herausforderungen in puncto Nachhaltigkeit, aber sie sind auch Teil des Erfolgs. Denn Zalando bietet den Kunden einen bequemen und risikolosen Einkauf. Uns stören Retouren, die vermeidbar sind, weil sie darauf zurückgehen, dass Artikel nicht passen. Das ärgert die Kunden, und uns kostet es Zeit und Aufwand. Wir haben viele Initiativen gestartet, um diese Retouren zu reduzieren. So befasst sich ein Team mit Größenempfehlungen aufgrund von datenbasierten und Computer-Vision-Ansätzen. Im vergangenen Jahr haben wir die Schweizer Fision erworben, deren App Kunden hilft, Kleidungsstücke in der richtigen Größe und Passform auszuwählen – zum Wohle der Kunden, der Umwelt und unserer Finanzen.

Nutzen Kunden die automatisierte Größenerkennung?

Die Kunden schätzen das sehr. Die allermeisten lassen sich von der Größenempfehlung leiten.

Wie stehen Sie zu einer Steuer auf Retouren?

Von der Bepreisung externer Effekte auf die Umwelt wie einer CO2-Steuer halte ich viel. Das kann Veränderungen herbeiführen. Eine Steuer auf Retouren ist aber nicht zielführend, weil sie das Problem nicht an der Wurzel packt und einzelne Kanäle einseitig belastet. Eine Studie des Umweltbundesamtes hat beispielsweise gezeigt, dass die Umweltbilanz eines Offline-Einkaufs mit dem Auto weit negativer sein kann als die eines Online-Einkaufs.

Welche Rolle spielen Nachhaltigkeitsthemen in Ihrer Arbeit als CFO?

Zalando hat Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie verankert. Die ganze Firma kümmert sich darum, nicht nur eine spezielle Abteilung. Als CFO unterstütze ich Investitionen in Nachhaltigkeitsprojekte genauso wie andere Investitionen. Denn aus einer führenden Rolle bei Nachhaltigkeit ergeben sich Chancen in der Kundengewinnung. Das Interesse von Investoren und Öffentlichkeit an dem Thema nimmt stark zu. Es gibt immer mehr Anforderungen an die Berichterstattung über Nachhaltigkeit. Künftig wird dieses Reporting immer stärker mit der Berichterstattung über die Gesamtgeschäftsentwicklung verzahnt.

Vor einem Jahr ist Zalando ins Geschäft mit gebrauchter Mode eingestiegen. Kann man damit Geld verdienen?

Die Kunden greifen das Angebot auf. Die Second-Hand-Schiene erhöht Kundenloyalität und Kundenfrequenz und leistet einen positiven Beitrag zur Nachhaltigkeitsstrategie. Langfristig wird das Geschäft im Business-Mix eine wesentliche Rolle spielen.

Manche Nachhaltigkeitsinitiativen wie Textilrecycling und der Reparaturservice für Textilien stehen vom Volumen her erst am Anfang…

Da muss man unterscheiden. Wir haben ambitionierte Nachhaltigkeitsziele gesetzt und bereits viel erreicht. So hat Zalando die eigenen Operations auf erneuerbare Energiequellen umgestellt. Alle Logistikzentren werden mit grünem Strom und Biogas betrieben. Der durch Kundenbestellungen verursachte CO2-Fußabdruck wird komplett mit entsprechenden Zertifikaten ausgeglichen. 70% der Versandtüten bestehen aus nachhaltigen Papierverpackungen. Beim Ziel, die eigenen Emissionen bis 2025 um 80% zu verringern, kommt das Unternehmen gut voran, und der Zielwert für den Verkauf nachhaltiger Mode wurde sogar von 20% des über die Plattform abgewickelten Umsatzes auf 25% erhöht.

Wäre es nicht am nachhaltigsten, die schnelle Mode, die nur kurz getragen wird, aus dem Sortiment zu verbannen?

Das wäre keine Lösung. Fast Fashion würde dann woanders gekauft. Wir wollen dazu beitragen, dass Mode in allen Preislagen in den nächsten Jahren nachhaltig wird. Auch die Partner, die Fast Fashion anbieten, haben diesen Trend erkannt und wissen, dass sie handeln müssen. Zalando versucht zu helfen, damit der Wandel schneller geht und immer mehr Kunden sich bewusst für nachhaltigere Ware entscheiden.

Wie denn?

Wir schaffen Transparenz durch eine leicht verständliche Klassifizierung, die den Kunden zeigt, ob ein Produkt nachhaltiger produziert wurde oder nachhaltigere Materialien verwendet als ein herkömmliches Produkt. Wenn Konsumenten daraufhin weniger schnelle Mode kaufen, ist das ein wichtiger Beitrag, die Branche nachhaltiger zu machen. In Summe steht hinter dem Nachhaltigkeitstrend ein großes Wachstumspotenzial für Zalando.

Das Interview führte .

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