IM INTERVIEW: RÜDIGER GRUBE

"Wir müssen uns als Unternehmensführer besinnen"

Der ehemalige Bahn-Chef zeigt sich besorgt über den Ansehensverlust von Managern und empfiehlt Aufsichtsratsvorsitzenden einen ethischen Navigator

"Wir müssen uns als Unternehmensführer besinnen"

Rüdiger Grube, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, betrachtet den Imageverlust von deutschen Vorständen und Aufsichtsräten mit großer Sorge. Es fehle in dem Kreis an Führungskräften häufig an Werten und Haltung. Manager seien allgemein in eine Vertrauenskrise geraten, was vor allem auch die Mitarbeiter in den Unternehmen demotiviere, erläutert Grube im Interview.- Herr Grube, hat Sie der Ärger mit dem Bahn-Aufsichtsrat am Ende Ihrer Vorstandskarriere dazu bewogen, sich intensiver mit der Rolle von Aufsichtsräten zu befassen?Ich habe meine Erfahrungen als Vorstandsmitglied bei Daimler, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, als Verwaltungsratspräsident der EADS, heute Airbus Group, und als Aufsichtsratsvorsitzender in vielen Unternehmen gesammelt. Als ich die Deutsche Bahn verlassen habe, wurde ich immer wieder gefragt, ob ich für ein Aufsichtsrats- oder Beiratsmandat zur Verfügung stünde. In dem Zusammenhang, aber auch in Anbetracht des Ansehensverlusts von Managern, habe ich mir grundsätzlich die Frage gestellt, wie der Gremienvorsitzende in einer immer komplexeren Welt agieren muss, um Vertrauen aufzubauen und um erfolgreich zu sein. – Die Skandalfälle in der deutschen Unternehmenswelt treiben Sie um?Wir müssen leider beobachten, dass sich das Image von Managern, und dazu zähle ich auch Aufsichtsratsvorsitzende, in der Öffentlichkeit, in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert hat. Das beschäftigt mich und lässt mich nicht in Ruhe.- Wo hapert es im Selbstverständnis von Managern?Häufig an Werten und an Haltung. Werte wie Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Authentizität, Respekt, Wertschätzung, Leidenschaft, Disziplin und Loyalität sind oft abhandengekommen. Wenn man mit diesem Anspruch ein paar Unternehmen und deren Topführung durchleuchtet, ist man manchmal schon entsetzt. – Es sind einzelne schwarze Schafe, doch kann man das verallgemeinern?Nein, mit Sicherheit nicht. Aber die Öffentlichkeit unterscheidet hier nicht. Manager sind allgemein in eine Vertrauenskrise geraten. Vor allem demotiviert das die Mitarbeiter in den Unternehmen. Umfragen belegen, dass sich fast ein Viertel der deutschen Arbeitnehmer innerlich verabschiedet hat. Dieser Anteil hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Nur noch 15 % der Beschäftigten gehen mit großer Freude zur Arbeit.- Und das liegt am Verhalten der Chefs?Die Frage ist in der Untersuchung auch gestellt worden. 99 % haben geantwortet, es liegt am Vorgesetzten. Immer wieder wird bemängelt, dass die Führung häufig zu wenig als Vorbild wahrgenommen wird, und da beziehe ich leider auch einige Aufsichtsratsvorsitzende mit ein. Ein Ansehensverlust bei den Mitarbeitern ist fatal. Denn weder ein Aufsichtsrats- noch ein Vorstandschef allein kann etwas verändern, er ist auf alle Mitarbeiter und Führungskräfte angewiesen. – Ständiger Kritikpunkt in der gesellschaftlichen Debatte sind die Managergehälter. Trägt das zum Imageverlust mit bei?Ich bin ein Befürworter guter, aber angemessener Gehälter. Aber bei einer Vergütung von über 10 Mill. Euro pro Jahr muss man schon genau hinschauen, welche Leistung honoriert wird. Zu hohe Vergütungen kann man keinem Menschen mehr vermitteln. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Arbeitnehmer sich nicht mehr mit dem Unternehmen und dessen Führung identifizieren. Wenn die Vergütung zweistellig im höheren Bereich wird, halte ich es für kritisch. Auch hohe Abfindungen sind für die Belegschaft oftmals nicht nachvollziehbar. Wir müssen uns als Unternehmensführer besinnen und hier einiges anders machen. – Wo knirscht es aus Ihrer Sicht am ehesten im Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat?Aus meiner persönlichen Erfahrung knirscht es immer dann, wenn Aufsichtsratsvorsitzende selbst ins operative Geschäft eingreifen wollen und dabei sogar versuchen, den CEO zu umgehen. Dann muss man als Vorstandschef klare Grenzen ziehen. Auf der anderen Seite darf ein CEO auch nicht versuchen, den Aufsichtsratsvorsitzenden steuern zu wollen. Es handelt sich um zwei eigenständige Organe. – Was fördert eine gute Zusammenarbeit?Vertrauen ist für mich der wesentliche Grundsatz. Wenn der Aufsichtsratsvorsitzende kein Vertrauen in die Führung hat, kann er das Amt nicht ausüben. Umgedreht: wenn der Vorstand kein Vertrauen zum Aufsichtsratsvorsitzenden hat, ist die Zusammenarbeit von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wenn das Prinzip Vertrauen nicht mehr wirkt und der Aufsichtsratschef kleine Untergrundboote in die Organisation hineinschickt, um an Informationen zu kommen, kann es kein gutes Ende nehmen. Bypassen ist der Tod für jede Organisation, Führungs- und Unternehmenskultur.- Braucht der Aufsichtsrat keinen Informationskanal ins Unternehmen? Er muss ja nicht verdeckt vorgehen.In Abstimmung mit dem Vorstandsvorsitzenden ist es überhaupt kein Problem. Ich habe bei der Deutschen Bahn immer dafür gesorgt, dass der Aufsichtsratschef neue Top-Führungskräfte im Unternehmen kennenlernt. Es sollte auch selbstverständlich sein, dass der Aufsichtsratsvorsitzende einmal im Jahr an einer Führungskräfteveranstaltung teilnimmt, damit er die Stimmung bei den Führungskräften mitbekommt und er auch wahrgenommen wird. Schließlich soll er auch die Möglichkeit wahrnehmen, seine Erwartungshaltung an die Führungsmannschaft des Unternehmens zu artikulieren und zu adressieren. Treffen mit dem Betriebsratschef sollten ebenfalls möglich sein, aber nicht am Vorstandschef vorbei. Ich halte es zudem für richtig, dem Aufsichtsratschef die Protokolle der Vorstandssitzungen zugänglich zu machen. Das ist in vielen Unternehmen noch nicht unbedingt üblich.- Schwächt ein so enges Einvernehmen zwischen CEO und Aufsichtsratschef nicht die Kontrollfunktion des Gremiums, weil die kritische Distanz fehlt?Ich sehe hier nicht den Verlust einer kritischen Distanz. Ganz im Gegenteil! Aber es hat sich einiges geändert. Zu Zeiten der Deutschland AG war die Position des Aufsichtsratschefs die Krönung einer erfolgreichen Laufbahn. Als Elder Statesman hat er dann sein Netzwerk gespannt und sich als Mentor und Schutzschild für den CEO verstanden. Diese Rolle hat sich grundlegend geändert. Heute ist es sehr viel emotionsloser mit einer Vielzahl an rechtlichen Rahmenbedingungen und einer intensiven Arbeit in Ausschüssen. Ein gutes Ergebnis entsteht, wenn man sich auch mal reibt, dies gilt auch für Vorstandsvorsitzende und Aufsichtsratsvorsitzende.- Braucht es nicht vor allem eine starke Persönlichkeit, um einem Alphatier als CEO im Fall des Falles Paroli bieten zu können?Alphatiere haben Sie immer auf beiden Seiten. Ein Aufsichtsratsvorsitzender muss durch seine natürliche Autorität wirken. Er muss einen ethischen Navigator haben. Und er braucht strategische Fähigkeiten. Zunehmend bedeutsam sind neben den Hard aber auch Soft Skills. Es kann nicht alles mit der Brechstange durchgesetzt werden, da muss das eigene Ego schon mal zurückgestellt werden und oftmals mit viel Fingerspitzengefühl vermittelt werden. – Aufsichtsräte werden oft kritisiert, dass sie aus Angst vor Haftung zu stark auf Berater vertrauen? Wenn ein Aufsichtsratsvorsitzender Angst vor seiner Aufgabe hat, sollte er die Funktion nicht übernehmen. Aber es geht ja gar nicht um Angst, sondern richtig ist, die Haftungsfragen sind deutlich umfassender und komplexer geworden. Ich rate dringend, dass auch der Aufsichtsrat sich bei vielen Entscheidungen eine zweite Meinung von Experten einholt. Die Welt ist deutlich komplizierter geworden, und der Aufsichtsrat muss sich tief in viele Themen einarbeiten. Deshalb empfehle ich auch ein eigenes Büro für den AR-Vorsitzenden mit einem eigenen sehr kleinen Stab, der ihm Dinge aufbereitet. Ein moderner Aufsichtsrat verlässt sich nicht ausschließlich aufs Management, sondern holt sich eine eigene Meinung von Experten ein. Nur so ist eine professionelle Arbeit sichergestellt. – Wie sieht es mit der Diskussionsfreudigkeit in dem Gremium aus? Oft wird bemängelt, dass viel zu wenig hinterfragt wird.Das ist Aufgabe des Aufsichtsratsvorsitzenden als Moderator und Impulsgeber. Ich lege zum Beispiel Wert darauf, dass die Gremienmitglieder gut vorbereitet sind und nicht alles noch mal während der Sitzung präsentiert bekommen. Dann spart man Zeit und kann gleich in die Fragerunde einsteigen. Ich hole aktiv die Meinung der Beteiligten ein. Für sehr sinnvoll halte ich auch Strategiesitzungen, in denen man sich mit dem Vorstand gezielt einzelne Themen vornimmt. In normalen Aufsichtsratssitzungen sind ja oft zu viele Punkte auf der Agenda – und man muss viele Formalien abarbeiten, so dass man dem notwendigen Tiefgang nicht gerecht werden kann. – Sie haben auch Erfahrung in ausländischen Boards gesammelt. Läuft es dort besser?Der große Unterschied ist, dass in den Boards keine Arbeitnehmer vertreten sind. – Ist das gut oder schlecht?Ich bin ein großer Befürworter unserer Mitbestimmung, denn am Ende muss man ja Themen umsetzen und das läuft besser unter Mitwirkung der Arbeitnehmer. Ich bin ein großer Freund davon, Menschen möglichst frühzeitig an den Tisch zu holen. Sie entwickeln ein anderes Verständnis, man kann sie stärker in die Pflicht nehmen und sie engagieren sich ganz anders im Unternehmen. – Investoren schauen sich die Zusammensetzung der Gremien inzwischen genauer an. Sie fordern kürzere Amtszeiten und teilweise jährliche Gremienwahlen. Würde das für mehr frischen Wind sorgen?Nein, kürzere Amtszeiten und jährliche Gremienwahlen, das halte ich für Quatsch. Gefragt ist Kontinuität. Man muss sich natürlich bei der Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder sehr viel Mühe geben und darauf achten, dass alle nötigen Kompetenzen vertreten sind. Es bringt Mehrwert, wenn Herausforderungen und unternehmerische Entscheidungen aus mehreren Perspektiven behandelt werden. – Sind Aufsichtsräte zu schlecht bezahlt?Das ist sehr unterschiedlich. Die durchschnittliche Vergütung der Aufsichtsratsvorsitzenden im Dax hat sich in den vergangenen zehn Jahren auf durchschnittlich 412 000 Euro fast verdoppelt. Damit bewegt man sich in die richtige Richtung. – Mancher findet, dass sich die Bezahlung des Aufsichtsratsvorsitzenden der Vergütung des CEO annähern sollte.Das halte ich für falsch. Jeder sollte entsprechend seiner Aufgabe und seiner Verantwortung angemessen bezahlt werden. Dabei muss man die Unternehmensgröße berücksichtigen. Wenn ein CEO in einem kleineren Unternehmen 1 Mill. Euro verdient, kann der Aufsichtsratschef nicht mit 500 000 Euro nach Hause gehen. Das wäre zu viel. Wenn ein Aufsichtsratschef eines Weltkonzerns mit mehreren Milliarden Umsatz und Hunderttausenden Mitarbeitern aber mit weniger als 100 000 Euro bedacht wird, ist das wohl zu wenig. Das würde sich ein selbstbewusster Aufsichtsrat lange überlegen – sofern er keine anderen Motive hat. – Sollte der Aufsichtsrat mit einem Festgehalt vergütet werden oder am Ergebnis oder Aktienkurs orientiert?Auf jeden Fall Fixum. Wenn der Aufsichtsrat anfängt, an bestimmten Stellschrauben zu drehen, nur weil er sein Honorar aufbessern will, ist er nicht mehr unabhängig. —-Das Interview führte Sabine Wadewitz.