„Wir sind langfristig gut finanziert“
Stefan Paravicini.
Herr Graber, Optiker-Geschäfte mussten in der Pandemie trotz Lockdown nicht schließen. Wie ist das Jahr für Mister Spex gelaufen?
Die Pandemie ist natürlich für uns alle schlimm und das Jahr ist auch an uns nicht spurlos vorbeigegangen. Das hat eine Menge Kraft gekostet. In Summe ist es aber so, dass wir mit unserem omnichannelgetriebenen Modell in der Augenoptik sehr gut aufgestellt waren. Wir konnten das 13. Jahr in Folge zweistellig wachsen, haben im Gesamtunternehmen um 18 % auf 164 Mill. Euro Umsatz zugelegt und das bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) um 56% auf rund 7 Mill. Euro gesteigert.
Wie hat sich das stationäre Geschäft entwickelt?
Wir sind sowohl stationär als auch im Online-Handel zweistellig gewachsen. Unsere Filialen waren ab Mitte März des vergangenen Jahres für sechs Wochen geschlossen. Wir hätten öffnen können, haben das als Vorsichtsmaßnahme für unsere Kunden und Mitarbeiter aber nicht gemacht. Während des zweiten Lockdowns haben wir dann unter Berücksichtigung aller Vorsorgemaßnahmen die Filialen wieder geöffnet.
Hat sich der Trend zum Online-Einkauf dennoch verstärkt?
Wir haben online einen sehr großen Nachfrageschub gesehen. Das ging zum Anfang der Pandemie vor allem von unseren bestehenden Kunden aus, die schon wussten, wie es geht. Im zweiten Halbjahr haben wir online aber auch immer mehr Neukunden gewonnen, so dass sich die Wachstumsrate hier noch einmal deutlich beschleunigt hat.
Gehört dem Omnichannel-Modell trotzdem die Zukunft?
Wir sind 2007 online gestartet, haben uns aber schon 2011 in Richtung Omnichannel entwickelt, indem wir unser Partner-Optiker-Programm etabliert haben. Es war für uns schon sehr früh klar, dass Augenoptik eine Kategorie ist, die im Omnichannel-Modell am besten bedient werden kann. Dann haben wir 2016 unsere eigenen Läden dazu genommen. Wir machen aber bis heute den größten Teil unseres Umsatzes online.
Investiert Mister Spex weiter in den Ausbau des Filialnetzes?
Wir glauben, dass wir mit unserem Omnichannel-Modell auch in Zukunft die meisten Kunden gewinnen werden. Wir haben uns rein online zunächst auf die Millennials fokussiert, die 20- bis 40-Jährigen. Mit der stationären Expansion können wir die 40- bis 60-Jährigen sehr gut bedienen. Wir sehen, dass wir so einen deutlich größeren Kundenkreis erreichen. Diese Strategie ergibt für uns Sinn – wir haben zunächst eine starke Marke aufgebaut und erschließen nach und nach neue Kundengruppen.
Wo findet man Mister Spex denn in der Offline-Welt?
Wir glauben weiter fest an Einkaufsstraßen und Innenstädte, deshalb haben wir allein im vergangenen Jahr 16 neue Läden aufgemacht und in diesem Jahr schon acht neue Filialen eröffnet. Wir sind jetzt bei 42 Läden, 39 davon in Deutschland. Wir haben uns nicht von unserer Strategie abbringen lassen, sondern sind nach wie vor komplett überzeugt, dass es die richtige ist. Wir sehen ja, dass wir stationär sehr viele Neukunden gewinnen, die später online wieder bei uns einkaufen.
Wie funktioniert das?
Bei uns ist es so, dass die Bestellung einer neuen Brille in der Filiale über die gleiche Website erfolgt, wie sie auch für den Online-Kauf zur Verfügung steht. Wenn unsere Kundinnen und Kunden möchten, legen sie direkt ein Kundenkonto und haben dadurch zukünftig jederzeit Zugriff auf ihre persönlichen Daten und Sehwerte, um später zum Beispiel direkt online einzukaufen. Wir versuchen, den Kunden unabhängig zu machen vom traditionellen Optiker.
Wie viele Kunden wechseln von der Filiale in den Online-Shop?
Von den Kunden, die in der Filiale einkaufen und später nachkaufen, macht das rund ein Drittel online. Da sieht man, dass Omnichannel für uns und unsere Kunden wirklich sehr gut funktioniert.
Was haben die neuen Filialen 2020 zum Umsatz beigetragen?
Die meisten neuen Läden haben erst Ende des zweiten Quartals oder im dritten Quartal aufgemacht. Das hat prozentual einen niedrigen einstelligen Beitrag zum Wachstum geleistet. Natürlich sieht man auch, dass die Frequenzen im Handel derzeit extrem rückläufig sind. Die Leute, die einkaufen, geben allerdings mehr Geld pro Brille aus und es kommen auch in erster Linie Kunden, die klar die Absicht haben, etwas zu kaufen. Das ist derzeit aber fast überall im Einzelhandel so.
Der Gesamtmarkt ist geschrumpft, wem hat Mister Spex Marktanteile abgeknöpft?
Wir machen sehr viel Marktforschung und haben diese Informationen gerade erst abgefragt. Wir sehen, dass wir wirklich von fast allen Anbietern in der Branche gewinnen, seien es die großen Filialisten, die kleineren familiengeführten Filialisten oder die einzelnen Optiker. Von allen gewinnen wir mehr oder weniger gleich, relativ zu ihrem Marktanteil. Wenn ein Filialist einen Marktanteil von 10% hätte, würden wir 10% unserer Neukunden von ihm gewinnen. Das erachten wir als sehr positiv und sehr valide.
Wird es da schwierig, neue Optiker-Partner zu finden?
Diese Entwicklung ist, glaube ich, ein sehr starkes Argument für unser Partnermodell. Wir arbeiten in Deutschland mit rund 400 Optikerfilialen von insgesamt rund 11000 zusammen. Wenn wir von allen gewinnen und unsere Kunden auch zu unseren Partnern schicken, profitieren die deutlich überproportional.
Soll das Partnernetzwerk weiter ausgebaut werden?
Wir haben in Deutschland eine sehr gute Flächenabdeckung. Wir schauen aber immer, wo es weiße Flecken gibt, und suchen selektiv nach Partnern. Grundsätzlich versuchen wir, ein sehr stabiles System zu etablieren und mit den Partnern langfristig zusammenzuarbeiten.
Nehmen Sie dieses Modell auch in neue Märkte mit?
Wir haben das Partnermodell heute schon in fünf Ländern etabliert, neben Deutschland auch in Österreich, in der Schweiz, in den Niederlanden und in Schweden. Das ist ein zukunftsträchtiges Modell, das wir in weitere Märkte bringen werden.
Wann glauben Sie, knöpft sich Amazon den Optikermarkt vor?
Der größte Wachstumstreiber sind für uns Korrektionsbrillen. Das ist etwas, womit sich die großen Plattformen in der Regel nicht beschäftigen, weil das einer großen Optik-Kompetenz bedarf. Wir haben ja auch unsere eigene Werkstatt in Berlin, wo wir Brillengläser vollautomatisiert zuschneiden, von Optikern einsetzen lassen, eine Qualitätskontrolle machen und dann die Brille verschicken. Das sind Wertschöpfungsketten, die diese Plattformen Stand heute nicht anbieten. Wir bieten außerdem Funktionalitäten, die sehr brillenspezifisch sind, beispielsweise die virtuelle Anprobe. Wir haben im zweiten Quartal des vergangenen Jahres einen Online-Sehtest eingeführt. Das sind Tools, mit denen sich Plattformen nicht beschäftigen. Schließlich haben wir es mittlerweile geschafft, uns sehr stark im Premiumsegment bei unabhängigen kleinen Labels zu positionieren und viele von ihnen exklusiv auf unsere Plattform zu bringen.
Was sind die Erwartungen an das neue Jahr? Gibt es noch jemanden, der sich keine Brille gekauft hat, während die meisten anderen Läden geschlossen waren?
Wir sind sehr gut in das neue Jahr gestartet und setzen den Trend, den wir 2020 gesehen haben, fort. Wenn die Pandemie zu Ende geht, was wir uns alle wünschen, wird das nicht dazu führen, dass wir langsamer wachsen, weil wir ja auch in den Innenstädten präsent sind.
Der Expansionskurs im stationären Handel geht ebenfalls weiter?
Wir sind heute schon in zehn Ländern mit eigenen Websites präsent und werden uns vorerst auf diese Märkte konzentrieren. Was wir in Deutschland sehr erfolgreich gemacht haben, erst die Marke aufzubauen und dann in den stationären Handel zu gehen, werden wir in weiteren Ländern ausrollen. In Österreich und Schweden haben wir im Frühjahr unsere ersten Auslandsfilialen eröffnet, aber auch in anderen Ländern wie der Schweiz oder Großbritannien haben wir uns zuletzt sehr positiv entwickelt. Wir verfolgen dabei einen sehr disziplinierten Ansatz und können viele Daten aus unserem Online-Geschäft nutzen, um perfekten Standorte für unsere Filialen zu identifizieren.
Wie lauten die konkreten Ziele?
Wir kommunizieren keine konkreten Umsatz- oder Filialziele, werden hier aber weiter ambitioniert bleiben und unseren Fokus auf Wachstum in den nächsten Jahren beibehalten. Das ist ganz klar. Das bezieht sich sowohl auf den Gesamtumsatz als auch auf die Zahl der Filialen.
Spielt in der Wachstumsstrategie auch M&A eine Rolle?
Die Kernstrategie ist am organischen Wachstum ausgerichtet, es gibt aber immer wieder Opportunitäten. Wir haben uns im Oktober an der Berliner Softwarefirma Tribe beteiligt und da eine Technologie gesehen, die so gut ist, dass sie einen signifikanten Mehrwert bietet. Sie ermöglicht die perfekte Brillenzentrierung über das Handy. Wir können aber auch einen Kopf-Scan über das Mobiltelefon machen und gestützt darauf maßgefertigte Brillen anbieten. Langfristig gesehen wird es dafür unserer Meinung nach extrem großes Interesse geben, solange die Brillen bezahlbar sind. Deshalb haben wir gesagt, das ist etwas für uns. Wenn es ähnliche Opportunitäten gibt, werden wir wieder aktiv werden.
Könnte da Bedarf für eine neue Finanzierungsrunde entstehen, oder kommt als Nächstes das IPO?
Wir sind auch langfristig sehr gut finanziert und können damit sowohl die Filialexpansion als auch notwendige Technologieinvestitionen tätigen. Mittel- bis langfristig werden wir sicher über Finanzierungsoptionen nachdenken und halten uns da alle Optionen offen.
Für einen Börsengang im Sommer zu einer Bewertung von mehr als 1 Mrd. Euro sollen sogar schon Banken mandatiert sein. Ist da was dran oder leiden die zitierten Insider an Fehlsichtigkeit?
Zu Gerüchten wollen wir uns nicht äußern.
Sie hatten vor einigen Jahren schon einmal die Möglichkeit eines IPO abgewogen, sich dann aber anders entschieden. Was hat sich seither geändert?
Wir haben uns 2019 für eine Finanzierungsrunde entschieden, die uns ermöglicht hat, unsere klar definierte Strategie genauso umzusetzen, wie wir es wollten. Das hat uns geholfen, signifikant an Größe zu gewinnen und die Profitabilität auszubauen, die sich seit einigen Jahren sehr positiv entwickelt hat. Wenn es so weit ist, werden wir uns wieder anschauen, was die beste Option für uns ist, und das entsprechend bewerten.
Gibt es denn auch andere realistische Exit-Optionen, etwa über einen strategischen Käufer?
Attraktive Firmen generieren immer Interesse. Da mache ich mir keine Gedanken.
Das Interview führte