Tillmann Peeters

Zahl der Großinsolvenzen halbiert

Die Zahl der großen Firmenpleiten hat sich 2021 halbiert. Sorgen bereitet Sanierungsberatern jedoch die Autozuliefererindustrie. Hier erweist das Kurzarbeitergeld allmählich einen Bärendienst.

Zahl der Großinsolvenzen halbiert

Von Annette Becker, Köln

Die gute Nachricht vorweg: Die Zahl der großen Firmenpleiten, die das Insolvenzgeschehen 2020 noch stark beeinflusste, hat sich im laufenden Jahr halbiert. In der Größenklasse der Firmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 10 Mill. Euro wurden 2021 nur 147 Insolvenzen gezählt, wie aus der Insolvenzanalyse der Sanierungsberatung Falkensteg hervorgeht. In der Umsatzkategorie über 20 Mill. Euro ging die Zahl der Firmenpleiten sogar um zwei Drittel zurück. Und besser noch: In den nächsten drei bis sechs Monaten dürfte das Insolvenzgeschehen eingefroren bleiben, wie Falkensteg-Berater Tillmann Peeters im Gespräch mit der Börsen-Zeitung schätzt.

Doch so beruhigend die Insolvenzstatistik in ihrer Gesamtheit auch ist, so groß sind die Sorgen mit Blick auf einzelne Branchen. Allen voran bei den Autozulieferern wie auch den Maschinen- und Anlagenbauern könnte sich die Situation angesichts der andauernden Lieferengpässe und der steigenden Rohstoff- und Energiepreise schnell zuspitzen. In diesen beiden Branchen wurden schon 2021 mit 26 bzw. 29 die meisten Großinsolvenzen gezählt.

„In Automotive gibt es eine Sonderkonjunktur für Sanierungen, die nur bedingt mit der Pandemie zusammenhängt“, sagt Peeters und verweist auf die Lieferkettenstörungen, die dem Automarkt und damit auch der Zulieferindustrie scharfe Volumeneinbrüche bescherten. Hinzu kämen die gestiegenen Energiekosten, die gerade energieintensive Branchenvertreter wie etwa Gießereien belasteten. Ganz zu schweigen von der Frage nach dem Funktionieren des Geschäftsmodells in einer von E-Mobilität dominierten Autowelt. Wenn nicht klar sei, wie das künftige Geschäftsmodell aussehe, werde es in Kreditverhandlungen mit Banken schwierig, warnt Peeters.

Diese Themen würden derzeit noch von den staatlichen Coronahilfen überdeckt. Das belegt ein Blick auf die Insolvenzstatistik: Ging die Zahl der Insolvenzen hierzulande schon im ersten Jahr der Pandemie um fast 15 % auf etwa 16 000 zurück, werden es 2021 nach Schätzung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform mit geschätzt 14 300 Pleiten noch einmal fast 11% weniger sein. Zwar wird allerorten für 2022 mit einem Anstieg bzw. der sukzessiven Rückkehr zur Normalität gerechnet, das Vor-Pandemie-Niveau – 2019 wurden 18 830 Insolvenzen gezählt – dürfte jedoch noch nicht erreicht werden. Darin sind sich die Auguren aus Insolvenzverwaltung, Sanierungsberatung und Versicherungswirtschaft einig.

„Keine gute Sache“

„Kein Insolvenzgeschehen ist keine gute Sache“, sagt Peeters mit Verweis auf die marktbereinigende Funktion von Insolvenzen. „Der Staat kann das nicht dauerhaft verhindern.“ Das künftige Insolvenzgeschehen wird nach Einschätzung des Fachmanns vornehmlich von den Themen Kurzarbeitergeld, Versorgungsengpässe und Zinsentwicklung bestimmt werden. Gerade das Kurzarbeitergeld verführe dazu, notwendige Anpassungen hinauszuzögern – bis es am Ende zu spät ist.

Doch auch die Gefahren von der Zinsseite seien nicht zu unterschätzen, unabhängig davon, dass sich für die Eurozone derzeit keine Zinserhöhung abzeichnet. Wenn die US-Notenbank Fed die Zinsen anhebe, fließe Geld in die USA. Im Gegenzug werde Geld in  Europa knapper und damit teurer. Von daher empfiehlt Peeters den Unternehmen, die Finanzierung wetterfest zu machen.

Der Rückgang der Großinsolvenzen hat auch zur Folge, dass weniger Menschen von insolvenzbedingtem Arbeitsplatzverlust betroffen sind. Waren im vorigen Jahr im Zuge von Firmenpleiten 332 000 Jobs weggefallen, sind nach Creditreform-Angaben in diesem Jahr nur 143 000 Stellen bedroht. Nach Einschätzung von Peeters verliert das Thema des Arbeitsplatzerhalts bei Insolvenzen aufgrund des sich Bahn brechenden Fachkräftemangels aber auch an Bedeutung: „Der War for Talents ist Realität.“

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