Fiskalpolitik

Beschwerlicher Weg vom Schuldenberg

Der Abbau des Schuldenbergs nach der Coronakrise wird nicht leicht. Die neue Ampel-Regierung sucht noch nach Auswegen.

Beschwerlicher Weg vom Schuldenberg

Die neue Bundesregierung sitzt auf einem enormen Schuldenberg und ist dabei, ihn noch höher aufzutürmen. Mit Ausbruch der Coronakrise sind die Ausgaben des Staates emporgeschnellt – die Nettokreditaufnahme kehrte 2020 zurück. 2021 wird ebenfalls ein Schuldenjahr für den Bund sein, 2022 noch ein weiteres folgen. Die deutschen und europäischen Fiskalregeln sind für die Zeit der Krise ausgesetzt. Von 2023 an will die Regierung aus SPD, Grünen und FDP die Schuldenbremse wieder einhalten. Das ist ein Lippenbekenntnis: Ändern kann die Ampel mit ihrer Mehrheit die Schuldenbremse ohnehin nicht. Dafür wäre ein verfassungsänderndes Quorum von zwei Dritteln nötig. Jenseits der Schuldenbremse sinnt sie aber auf Möglichkeiten, neue Finanzquellen zu erschließen. Von 2014 an hatte der Bund sechs Jahre lang schwarze Nullen im Haushalt geschrieben.

Mit der Ampel-Regierung wurde eine neue, ungute Wendung in der Finanzpolitik vollzogen. Obwohl die FDP das Finanzministerium innerhalb der Regierungskoalition eroberte und der Parteichef der Liberalen, Christian Lindner, nun die Spitze des Hauses besetzt, steht der solide Kurs der Finanzpolitik der vergangenen Jahre infrage. Lindner will offenkundig das Schlimmste verhindern, aber der Umklammerung des Regierungsbündnisses kann sich die FDP nicht entziehen. SPD und Grüne haben sich auf dem Weg zur Klimaneutralität Deutschlands viel vorgenommen. Weil die Refinanzierung der geplanten Ausgaben durch Steuererhöhungen an den Liberalen scheitert, erscheinen neue Schulden als einziger Ausweg. Ihren Kindern ein klimapolitisch marodes Land zu hinterlassen, halten die Grünen für eine Sünde. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) setzt deshalb auf mehr staatliche Ausgaben, mit denen er private Investitionen hebeln will – unabhängig davon, wie viel in der Staatskasse ist.

Wachstum durch Investitionen

Wachstum durch öffentliche Investitionen anzukurbeln und dafür zusätzliche Schulden in Kauf zu nehmen, hat hierzulande schon länger Sympathisanten gefunden. Der Industrieverband BDI plädiert für diesen Weg – in großer Eintracht mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und dem industrienahen Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln. Aber auch jenseits der deutschen Grenzen wird ein Kurs schuldenfinanzierter öffentlicher Investitionen favorisiert – angesichts niedriger Zinsen, die dies zu geringen Kosten erlauben würden. In der Europäischen Union wird über die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts verhandelt. Die Regeln sollen zwar nur einfacher, transparenter und besser durchsetzbar werden. So manches hoch verschuldete EU-Mitgliedsland­ erhofft sich von der Reform aber mehr Spielraum für Verschuldung – in einem schon flexiblen Pakt – und fordert dies auch lautstark. Investitionen sollen nach dieser Lesart bei der Berechnung des Maastricht-Defizits ausgeklammert werden. Auch in den USA sind höhere Schulden für mehr Investitionen kein Tabu. Die globale Wirtschaftsmacht mit ihrer Weltwährung Dollar läuft indessen kaum Gefahr, dass ihr der Kapitalmarktzugang verwehrt wäre. Die US-Schuldenregel ist zugleich höchst banal und führt regelmäßig ins Chaos drohender Shutdowns: In das Gesetz wird eine fixe Zahl als Schuldenlimit geschrieben.

Gespalten ist hierzulande in der Schuldenfrage inzwischen auch die  Wissenschaft. Der derzeit mit vier – anstelle von fünf – Mitgliedern unterbesetzte Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung landete bei seinem Ende Oktober abgeschlossenen Jahresgutachten einen Patt. Einig waren sich die Ökonomen noch darin, dass zielgerichtete Investitionen in Digitalisierung, Klimaschutz und Bildung dringend nötig sind. Die Sachverständigen Volker Wieland und Veronika Grimm plädierten dafür, dass der Staat sich dabei innerhalb der durchaus flexiblen und die Konjunkturlage berücksichtigenden Schuldenbremse bewegt. Achim Truger und Monika Schnitzer befürworten eine gezielte Privilegierung von investiven Ausgaben innerhalb der Schuldenregeln – national wie europäisch.

Deutschland hat Erfahrung mit einer investitionsbezogenen Verschuldungsgrenze. Die Vorgängerregelung der Schuldenbremse war so gestrickt. Sie hat nicht funktioniert. Die Definition von Investitionen ist ein dehnbares Feld. Reichte die Dehnung nicht aus, konnte die Regierung mit ihrer Mehrheit im Parlament stets einen folgenlosen Ausnahmezustand beschließen. Die Schuldenbremse verpflichtet indessen zur Tilgung von überbordenden Krediten.

Die neue Bundesregierung hüllt sich in Schweigen zur Frage der Relation von Einnahmen, Ausgaben und Verschuldung. Im Koalitionsvertrag sind zwar zahlreiche ausgabenträchtige Vorhaben enthalten, ein Finanztableau hat die Ampel – anders als das schwarz-rote Vorgängerbündnis – aber nicht vorgelegt. Das hat sie jedoch nicht davon abgehalten, geschwind vor Jahresschluss noch 60 Mrd. Euro bislang ungenutzter Kredite aus Corona-Notfall-Ermächtigungen von insgesamt 240 Mrd. in ein Sondervermögen zu retten, um es für Klimazwecke in den nächsten Jahren auszugeben.

Zugleich will die Ampel die Verbuchungen in Sondervermögen so verändern, dass die künftige Kreditaufnahme nicht auf die Schuldenbremse angerechnet wird, sondern noch unter die Ausnahmen der Coronakrise fällt. Weitere Ausweichmanöver aus der Schuldenbremse sind die angekündigte Neuberechnung der Konjunkturkomponente, die stärkere Nutzung bundeseigener Unternehmen wie der Bahn für Investitionsvorhaben sowie der Ausbau der KfW-Bankengruppe zu einer Investitionsagentur.

Nicht ganz passt dieser Verschuldungskurs mit der Transparenz zusammen, die sich die Ampel verordnet hat. Die „Operation Sondervermögen“ führt zurück in die Zeit undurchsichtiger Verschiebung von Schulden in Nebenhaushalte. Dem hatte die Schuldenbremse ein Ende gesetzt, indem auch Kredite der Sondervermögen periodengerecht im Bundeshaushalt verbucht werden.

Bindende Fiskalregeln sind entscheidend für solide Staatsfinanzen. Der Weg vom Schuldenberg führt nur über diesen beschwerlichen Weg. Findige Umgehungen ändern nichts an den negativen Folgen zu hoher Verschuldung. Der Bewegungsspielraum künftiger Regierungen wird eingeschränkt – durch Tilgung oder Zins nach dem Ende der ultralockeren Geldpolitik. Die Finanznöte in einer alternden Gesellschaft mit umlagefinanzierten Sozialsystemen verschwinden nicht. Diese ungedeckten Leistungsversprechen weist der Staat nicht einmal aus. Auch für die Geldpolitik ist ausufernde Finanzpolitik eine Last. Trotz Inflation könnte die EZB die Zügel nicht anziehen. Wachstum und Finanzierbarkeit einiger hoch verschuldeter Länder in Europa wären gefährdet. Deutschland gehört noch nicht zu den Sorgenkindern. Eine zunehmend lockere Finanzpolitik sendet aber falsche Signale in die EU. Warum es weniger belastend ist, für künftige Generationen das Klima zu retten, ihnen dafür aber einen Schuldenberg zu hinterlassen, bleibt das Geheimnis der Ampel.

Von Angela Wefers, Berlin

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