Stefan Peiß und Miriam Höller

Unerwartetes erwarten – Risiken beherrschbar machen

KfW-Risikovorstand Stefan Peiß und die ehemalige Stuntfrau Miriam Höller sprechen im Interview über die Risiken im Beruf und im Leben – und über Klimarisiken, die neue Herausforderung für das Risikomanagement.

Unerwartetes erwarten – Risiken beherrschbar machen

Frau Höller, Herr Peiß, Sie haben soeben ein Houserunning absolviert, sind vom Dach eines Frankfurter Hochhauses die Außenwand 100 Meter heruntergelaufen. Wie war das für Sie?

Peiß: Sehr aufregend. Insbesondere dieses Rauskippen, wenn man aus der Senkrechten in die Waagerechte geht, mit dem Blick nach unten, ist ein besonderer Moment. Hängt man dann in der Wand, ist es ganz okay. Es ist im Grunde gelebtes Risikomanagement, weil alles sicher organisiert ist. Ich hatte ein gutes Gefühl.

Höller: Es hat mich in meine alte Welt zurückgebracht. Es war so schön, das Adrenalin wieder zu spüren. Es kribbelt überall, ich bin jetzt richtig wach!

Frau Höller, Sie haben zehn Jahre als Stuntfrau gearbeitet. Wie kamen Sie zu diesem Beruf?

Ich habe bereits als Kind davon geträumt, fliegen zu können und außergewöhnliche Kräfte zu haben. Später habe ich zunächst eine klassische Ballettausbildung gemacht. Es war dann allerdings schnell absehbar, dass ich für Ballett körperlich zu groß werde. Mit 15 Jahren habe ich im Movie Park Germany eine Stuntshow angesehen, die mich so fasziniert hat, dass ich mich dort beworben habe. Das war genau das, was ich machen wollte! Meine Eltern haben mich unterstützt – aber ich musste dennoch warten, bis ich 18 war. Ab da war ich in meinem Element.

Herr Peiß, wann wussten Sie, dass Sie in Ihrem Element sind?

Ich habe mit 20 Jahren eine Banklehre angefangen. Mein Ziel war, später in der Kundenbetreuung zu arbeiten. Aber dann habe ich erst einmal Betriebswirtschaft in München studiert. Meine Promotionsarbeit über die Risiken bei Immobilienfinanzierung führte mich zurück in die Bank. Bei der Bayerischen Landesbank wurde gerade eine neue Einheit geschaffen, in der viel ausprobiert und praxisbezogen gearbeitet wurde. Dort lernte ich die Vielzahl der Bankenrisiken kennen, fortan waren Risiken mein Hauptthema. Zur KfW kam ich 2009 als Bereichsleiter für Risikomanagement und -controlling. Später hat die KfW die Entscheidung getroffen, sich – wie eine normale Geschäftsbank – der Finanzaufsicht zu unterstellen. Als dies dann ab 2016 umgesetzt wurde, wurde ich in den Vorstand berufen.

Was fasziniert Sie so am Thema Risiko?

Peiß: Es ist vielschichtig und abwechslungsreich. Als Bank müssen wir mit ganz unterschiedlichen Risiken umgehen: Kreditrisiken, Marktrisiken inklusive Zins- und Wechselkursänderungen sowie operationellen Risiken. Dazu kommen Liquiditäts- und reputative Risiken oder auch allgemeine Geschäftsrisiken, die zum Beispiel bei geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entstehen. Um mit einem weitverbreiteten Missverständnis aufzuräumen: Risikomanagement heißt nicht, keine Risiken einzugehen, – sondern sie stattdessen beherrschbar zu machen. Dafür müssen wir sie kennen und quantifizieren.

Höller: So ist es auch bei den Stunts. Nur dass es bei Stuntleuten immer um Risiken für die Gesundheit oder sogar um unser Leben geht. Dieses Risiko kann ich nur minimieren, wenn ich mich selbst gut kenne und wenn ich mich auf mein Team verlassen kann. Die Risikokalkulation beginnt mit der Frage: Wie geht es mir körperlich und mental, was kann ich momentan wirklich leisten? 95% der Stuntarbeit sind Vorbereitung. Das Restrisiko ist wirklich minimal.

Was war das Gefährlichste, das Sie bis jetzt gemacht haben?

Höller: Risiko ist relativ. Ich habe Feuerflügel entwickelt, die ich auf den Schultern tragen kann: ein Stahlkonstrukt, das ungefähr 25 Kilogramm wiegt und die Form von Flügeln mit einer Spannweite von drei Metern hat. Das Stahlgerüst ist mit Stoff umwickelt und mit einer Brennflüssigkeit getränkt. Ein beeindruckender Stunt, der für mich gut zu kontrollieren ist. Bei einer Stuntshow sollte ich mit den Feuerflügeln open air auf dem Laufsteg vor einem sehr großen Publikum laufen. Das war einer meiner schwierigsten Stunts, weil Faktoren wie beispielsweise der Wind dazukamen. Der Wind hat die Flügel immer wieder aus der Achse gedreht und die Flammen unvorhersehbar schlagen lassen.

Herr Peiß, Wind ist ein gutes Stichwort. Wir haben im vergangenen Sommer viele scheinbar unkon­trollierbare Extremwetterereignisse erlebt: die Flutkatastrophe in Deutschland, die Waldbrände in der Türkei, die extreme Hitze in Kanada. Welche Rolle spielen Klimarisiken für Banken?

Klimarisiken können in physische Risiken und transitorische Risiken unterteilt werden. Transitorische Risiken sind regulatorische Eingriffe des Staates wie beispielsweise die Erhebung einer CO2-Steuer. Zu den physischen Risiken zählen, wie jetzt gerade erlebt, sturmbedingte Überschwemmungen. Da sich diese Risiken unmittelbar auf die Bonität der Unternehmen auswirken, entstehen hieraus ebenfalls Risiken für Banken, die diese entsprechend quantifizieren und managen müssen.

Können Sie an einem Beispiel veranschaulichen, wie das in der Praxis funktioniert?

Peiß: Wenn wir Kredite vergeben, bewerten wir bei den einzelnen Geschäftsmodellen auch, wie anfällig sie für Klimarisiken sind. Wenn wir eine bauliche Maßnahme am Meer finanzieren, wird berücksichtigt, dass der Kredit eventuell nicht mehr zurückgezahlt werden kann, wenn der Meeresspiegel steigt und das Objekt wirtschaftlich nicht mehr nutzbar ist. Oder dass ein Stahlerzeuger, der extrem viel Strom benötigt und durch die CO2-Bepreisung für den Strom viel mehr zahlen muss als ursprünglich geplant, möglicherweise nicht mehr rentabel ist. Wir bauen bei der Darlehensvergabe diese Effekte in eine betriebswirtschaftliche Analyse ein, und das sehr breitflächig: in unsere Rankingsysteme, Kreditvergabeprozesse, Limitsysteme. Unsere Aufgabe ist es, Klimarisiken kalkulierbar zu machen – dies stellt zurzeit noch eine große Herausforderung dar.

Warum ist dies der Fall?

Peiß: Es gibt zu viele Unbekannte. Daher müssen wir mit Szenarien arbeiten. Zum einen wissen wir nicht genau, um wie viel Grad sich die Erde tatsächlich erwärmen wird. Und dann haben wir mit einem sehr langen Zeithorizont zu tun: In der Regel haben Risikomanagementsysteme Risiken im Blick, die in ein bis zwei Jahren Realität werden können. Beim Klimarisiko dagegen können es 20 oder 30 Jahre werden. Und dann gibt es etwa bei Extremwetterereignissen das Unerwartete, das wir erwarten müssen – wie Frau Höller es formuliert hat.

In Ihrer Karriere ist das Unerwartete 2016 eingetreten, Frau Höller.

Ja, richtig. Für ein Modemagazin wurde ich unter einem Helikopter hängend und von da aus abspringend fotografiert. Zu der Zeit gab es in meinem Privatleben Unruhe, was sich auch auf meine körperliche und mentale Verfassung auswirkte.Trotzdem war ich überzeugt, aus der Routine heraus diese Aufgabe bewältigen zu können. Dem Kunden waren die Bilder nicht spektakulär genug, deshalb pushte ich mich immer weiter ans Limit. Das war fatal. Ich stürzte bei einem Absprung und brach mir dabei beide Füße – den linken Fuß zertrümmerte ich mir sogar.

Heute stehen Sie auf der Bühne und sprechen anderen Mut zu. Wie sind Sie Speakerin geworden?

Höller: Irgendwann hatte ich eine Anfrage von einer Firma, die gerade an einem wichtigen Punkt ihrer Entwicklung stand. Dort habe ich einfach meine Lebensgeschichte erzählt. Und schloss dann meine Rede mit: „Das Leben wirft so viele Fragen auf, und ich bin selbst gerade dabei, Antworten zu finden. Aber vielleicht ist genau das unsere Aufgabe.“ Heute haben meine Vorträge reflektierte und klare Botschaften, meine Motivation ist jedoch immer noch die gleiche: Wenn nur ein Mensch im Publikum ist, den ich ermutigen kann, nicht aufzugeben und Herausforderungen für sich zu nutzen, dann habe ich mein Ziel erreicht.

Herr Peiß, das Thema Resilienz begleitet auch die KfW. Unter anderem finanziert die KfW Maßnahmen, die die sogenannte Klimaresilienz steigern.

Der Klimawandel ist im Gange, das können wir nicht leugnen. Deshalb ist der Aufbau der Klimaresilienz essenziell – also unserer Fähigkeit, uns von den Auswirkungen schnell zu erholen und ihnen vorzubeugen. Etwa die Hälfte unserer Finanzierungen weltweit haben einen Klimabezug. Wir helfen Unternehmen, Institutionen und Privatpersonen, in erneuerbare Energien und nachhaltige Mobilität zu investieren, Produktionsprozesse anzupassen, Gebäude zu dämmen und damit Energie und CO2 zu sparen. Wir fördern auch konkrete Maßnahmen, die zum Schutz vor Überschwemmungen beitragen, sowohl in Deutschland als auch in den Partnerländern der finanziellen Zusammenarbeit. Schließlich unterstützen wir eine Vielzahl von innovativen Versicherungsinstrumenten, die die Klimaresilienz steigern, etwa die Versicherung gegen die Dürreschäden in Afrika.

Was macht Sie zuversichtlich, dass die KfW es schafft, die Klimarisiken beherrschen zu können?

Peiß: Wir sind eine Klimabank und als solche intrinsisch motiviert, Klimarisiken zu adressieren. So haben wir bereits 2006, als eine der ersten Finanzinstitutionen, die Principles for Responsible Investment der Vereinten Nationen unterschrieben. Richtig Fahrt aufgenommen hat das Thema in der KfW dann im Jahr 2017. Schritt für Schritt sind wir zur Nachhaltigkeitsbank aufgestiegen. 2020 konnte die KfW dann schon, als ein Resultat aus dem Prozess, einen ersten Klimarisikostresstest durchführen und hat damit Pionierarbeit geleistet. Aber auch auf der Marktseite hat sich einiges getan. So ordnen wir beispielsweise als erste Bank unser gesamtes Portfolio den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen zu. Wir bauen also sowohl auf der Marktseite als auch im Risikomanagement sukzessive die Berücksichtigung von Klimarisiken aus.

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