Aus der KapitalmarktforschungGastbeitrag: Finanzbildung

Finanzielle Bildung als Schlüssel für die eigene Zukunft

Der Hessenmonitor, eine Umfrage unter jungen Erwachsenen, dokumentiert deren Unsicherheiten ebenso wie deren Neugierde - und zeigt den politischen Handlungsbedarf auf.

Finanzielle Bildung als Schlüssel für die eigene Zukunft

Finanzielle Bildung als Schlüssel für die eigene Zukunft

Schlussfolgerungen aus dem Hessenmonitor, der Studie des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE im Auftrag des Hessischen Finanzministeriums

„Zu Beginn möchten wir Sie bitten, darüber nachzudenken, was Sie mit den Begriffen ,Geld‘ und ,Finanzen‘ verbinden. Bitte notieren Sie Ihre ersten spontanen Gedanken in 3-5 Sätzen.“

Dies war die Einstiegsaufgabe des Hessenmonitors – einer Untersuchung, bei der fast 500 junge Erwachsene im Alter von 18 bis 35 Jahren zu ihren Ansichten, ihrem Wissen und ihren Informationsquellen rund um Geld und Finanzen befragt wurden. Die Ergebnisse zeigen junge Erwachsene, die zwischen Neugierde, Unsicherheit und finanziellen Belastungen schwanken. Und sie weisen auf dringende politische und gesellschaftliche Handlungsfelder hin.

Geld als Synonym für Sicherheit und Freiheit

„Geld gibt einem die Freiheit, sein Leben zu gestalten. Finanzielle Freiheit ermöglicht körperliche Gesundheit und Selbstverwirklichung.“

Für die meisten Befragten steht Geld im direkten Zusammenhang mit Sicherheit und Unabhängigkeit. Finanzielle Freiheit wird als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben betrachtet. Sparen und Investieren – besonders in Wertpapiere – kommt eine hohe Bedeutung zu. 87% der Befragten betrachten Sparen als essenziell, und mehr als die Hälfte spart regelmäßig. Über 40% der befragten jungen Erwachsenen in Hessen sind bereits am Aktienmarkt beteiligt, ein historischer Höchststand. Für die Hälfte sind Themen wie Versicherungen, Altersvorsorge, Investitionen und die Finanzierung größerer Ausgaben (z.B. Hauskauf) in ihrer aktuellen Lebensphase relevant – und das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen.

Finanzielle Belastungen und ihr Einfluss auf den Alltag

„Geld macht das Leben aktuell sehr anstrengend. Angst vor der Zukunft.“

Doch die Befragten assoziieren Geld nicht nur mit Möglichkeiten und Chancen. Neben Sicherheit und Freiheit sind für viele auch Stress und Angst ein maßgeblicher Bestandteil ihrer Lebensrealität. Vor allem die steigenden Lebenshaltungskosten, die Inflation und die Unsicherheit in Bezug auf die Altersvorsorge treiben junge Menschen um.

Zwei Erkenntnisse aus den Antworten sind besonders alarmierend: Etwa ein Drittel der Befragten gibt an, regelmäßig unter finanziellem Stress zu stehen.  14% der Befragten berichten sogar, wegen ihrer Geldsorgen nicht schlafen zu können. Besonders betroffen sind Personen mit niedriger formaler Bildung, die nicht nur weniger verdienen, sondern auch seltener Rücklagen bilden können. Etwa jede dritte befragte Person ist von Verschuldung betroffen. Als Gründe dafür werden vielfältige Faktoren genannt, darunter Investitionen in Immobilien, steigende Lebenshaltungskosten, persönliche und gesundheitliche Herausforderungen, aber auch Konsumausgaben sowie fehlerhaftes Finanzmanagement.

Die Auswirkungen finanzieller Belastungen reichen weit über den Alltag hinaus. Fast die Hälfte der Befragten gibt an, aufgrund finanzieller Einschränkungen wichtige Lebensentscheidungen geändert oder aufgeschoben zu haben. Diese Entscheidungen betreffen nicht nur Konsumausgaben, sondern auch grundlegende Bereiche wie Bildung, Berufswahl oder Wohnsituation. Ein Teilnehmer beschreibt, er habe eine Ausbildung statt eines Studiums gemacht, weil er sich die Kosten für ein Studium nicht habe leisten können. Solche Einschränkungen haben langfristige Auswirkungen auf die wirtschaftliche und persönliche Entwicklung junger Menschen und reduzieren die Chancengleichheit.

Finanzielle Ungleichheit: Aus der Geschlechts- und Bildungsperspektive

Die Ergebnisse des Hessenmonitors verdeutlichen, dass finanzielle Ungleichheit weiterhin ein zentrales Problem darstellt. Männer sind im Vergleich zu Frauen fast doppelt so häufig am Aktienmarkt aktiv. Auch der Bildungsgrad spielt eine entscheidende Rolle: Menschen mit höherer Bildung verfügen nicht nur über mehr Finanzwissen, sondern nutzen dieses auch aktiver für Investitionen.

Finanzwissen und finanzielle Überzeugungen werden maßgeblich durch die Sozialisation und das soziale Umfeld geprägt. Eine frühere Studie, die am Leibniz Institut SAFE durchgeführt wurde, zeigt eindringlich: Fast 60% der Menschen, die nicht am Aktienmarkt investieren, kennen niemanden in ihrem Umfeld, der dies tut. Noch gravierender ist dieser Befund bei Menschen mit niedrigem Einkommen und geringerem Bildungsniveau, was die strukturelle Hürde für den Einstieg in den Kapitalmarkt zusätzlich verstärkt.

Frauen verfügen über ein geringeres Finanzwissen, schätzen dieses auch schlechter ein und sind weniger aktiv am Finanzmarkt beteiligt. Während Männer häufiger in Aktien, ETFs und andere Kapitalmarktprodukte investieren, greifen Frauen verstärkt auf traditionelle Sparformen wie Sparbücher oder Tagesgeldkonten zurück. Damit einher geht eine geringere Risikobereitschaft.

Negative Glaubenssätze hinsichtlich des Aktienmarkts sind nach wie vor verbreitet: 38% der Befragten empfinden den Aktienmarkt als kompliziert, und jeweils rund 20% verbinden ihn mit „Zockerei“ oder sehen ihn als Domäne der Reichen. Diese Einstellungen sind besonders bei Menschen verbreitet, die nicht am Aktienmarkt investiert sind, und bieten eine mögliche Erklärung für deren Zurückhaltung.

Auffällig ist die Diskrepanz zwischen selbst eingeschätztem und gemessenem Finanzwissen. Während 62% der Befragten angeben, ein gutes oder sehr gutes Verständnis finanzieller Themen zu haben, beantworteten nur 37% alle grundlegenden Fragen zu Zinseszins, Inflation und Risikodiversifikation korrekt. Besonders häufig scheiterten die Befragten an der Frage zur Risikodiversifikation, einem zentralen Konzept für risikobewusstes Investieren: Weniger als die Hälfte konnte die folgende Aussage korrekt als falsch identifizieren: „Der Kauf von Aktien eines einzelnen Unternehmens bietet in der Regel eine sicherere Rendite als die Investition in einen Aktienfonds.“

Netzwerke, soziale Medien und die Rolle von Vorbildern

Der Hessenmonitor zeigt auch, dass das soziale Umfeld eine zentrale Rolle bei der Entwicklung finanzieller Kompetenzen spielt. Familie und Freunde gelten als die wichtigsten und vertrauenswürdigsten Informationsquellen. 53% der Befragten geben an, dass ihre Eltern sie in ihrem Umgang mit Geld positiv geprägt haben. Gleichzeitig möchten 28% die finanziellen Fehler ihrer Eltern bewusst vermeiden.

Die zunehmende Bedeutung sozialer Medien als Informationsquelle birgt Chancen und Herausforderungen. 28% der Befragten folgen Finanz-Influencern, die mit leicht zugänglichen Informationen junge Menschen in ihrer Lebenswelt ansprechen. Der Großteil der genannten und verfolgten Ratschläge klingt positiv, häufig verfolgen diese den Ansatz eines langfristigen und nachhaltigen Finanzmanagements, wie etwa den Aufbau eines Notgroschens oder die Anlage in breit gestreute Aktienmarktprodukte. Teilweise werden aber auch risikoreiche, spekulative und vermeintlich weniger nachhaltige Empfehlungen beschrieben, wie am folgenden Beispiel ersichtlich: „Es sind meistens Scams, die sie bewerben. Doch wenn man am Anfang dabei ist, dann verdient man auch Geld, bevor man betrogen wird.“  

Junge Menschen sind wissbegierig und bereit, etwas zu tun

73% der Befragten geben an, noch nie an einer Schulung zu Finanzthemen teilgenommen zu haben. Mit einem Anteil von 63 % zeigt aber gleichzeitig ein enormer Anteil der jungen Erwachsenen Interesse am Erwerb finanzieller Kompetenzen. Mehr als die Hälfte der Befragten ist sogar bereit, dafür auch ihre Freizeit zu nutzen. Der Hessenmonitor zeichnet beim Thema Finanzen das Bild einer interessierten und motivierten Gruppe junger Menschen. Ein sehr hoffnungsvoller Befund!

Was machen wir nun mit diesen Erkenntnissen?

Wir müssen zunächst die große Chance erkennen, die sich aus dem Interesse der jungen Menschen ergibt. Ihre Offenheit und Motivation bieten die Grundlage, die wir dafür brauchen, ihre Kompetenzen zu stärken.

Diese Chance lassen wir derzeit liegen. Viele Maßnahmen wirken nur punktuell und unkoordiniert. Es braucht daher zunächst ein ganzheitliches Konzept, in dem die vorhandenen Ressourcen möglichst effizient eingesetzt werden. Was heißt das konkret?

Erstens: Umfassender Lebensphasenansatz erforderlich

Wissenschaftlich gut belegt ist der Umstand, dass der Kompetenzerwerb in sogenannten „teachable moments“ am besten funktioniert. Menschen sollten deshalb gezielt in konkreten Lebenssituationen, in denen bestimmte finanzielle Entscheidungen zu treffen sind, angesprochen werden. Denn: Hier können die Menschen die erworbene Kompetenz direkt in eigene Entscheidungen und eigenes Handeln umsetzen.

Die mit dem Hessenmonitor untersuchte Gruppe junger Menschen ist mit einer Vielzahl von finanziellen Entscheidungen konfrontiert: Welchen Anteil meines ersten Lohns investiere ich? Gegen welche Risiken versichere ich mich? Was bedeutet eine Familiengründung für meine Finanzen? Für Hessen, das sich auf den Weg gemacht hat, die Finanzkompetenz in der Bevölkerung effektiv zu stärken, drängt sich diese Zielgruppe daher geradezu auf. So wird das Land 2025 insbesondere Maßnahmen für diese Gruppe auf den Weg bringen. Über das gesamte Leben hinweg sind weitere „teachable moments“ zu identifizieren und dann über geeignete Kanäle passende Angebote zu kreieren.

Was heißt das für die Schule? Die Schule kann nicht das gesamte Finanzwissen vermitteln, das Menschen fürs Leben benötigen. Das ohnehin mit zahlreichen Lernthemen stark ausgelastete Schulsystem darf nicht durch ineffiziente Maßnahmen überfordert werden. Dennoch ist Schule auch ein zentraler Ort für die Vermittlung gewisser Grundlagen und praktischer Kompetenzen für die aktuelle Lebenssituation der Jugendlichen. Dazu gehören etwa der Umgang mit Konsum, Basiswissen zum Zinseszins oder einfache Prinzipien der Budgetierung. Für viele Jugendliche bedeutet dies ganz konkret, den Umgang mit Taschengeld oder den ersten Einkünften aus einem Schülerjob zu erlernen. Genau aus diesem Grund ist die Vermittlung solcher Alltagskompetenzen im Koalitionsvertrag in Hessen fest verankert. Der große Vorteil: In der Schule erreicht man alle Jugendlichen – unabhängig von der wirtschaftlichen Situation, der Herkunft oder dem Bildungsstand der Familien.

Zweitens: Effizientes Zusammenwirken aller Ebenen

Die verschiedenen staatlichen Ebenen sollten jeweils die Aufgaben übernehmen, die auf ihrer Ebene am besten erledigt werden können.

Dabei fällt der nächsten Bundesregierung die wichtige Aufgabe zu, ihre Initiative Finanzielle Bildung weiter fortzusetzen, das heißt, zügig eine Nationale Finanzbildungsstrategie als konzeptionellen Überbau zu beschließen, qualitätsgesicherte Angebote über eine Plattform zu skalieren und Maßnahmen mit wissenschaftlicher Expertise zu unterlegen. Außerdem sollte der Bund schnell eine finanziell gut ausgestattete Struktur zur Operationalisierung seiner Strategie aufbauen.

Hessen hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, Vorreiter in der Förderung von Finanzkompetenzen zu werden und hofft, dass andere Bundesländer diesem Beispiel folgen. Das Land hat damit begonnen, zentrale Fokusthemen zu definieren, passende Bildungsangebote zu entwickeln, zu erproben und anschließend über seine Kanäle in die Praxis zu bringen. Um seine Rolle weiter zu stärken und nachhaltig zu optimieren, wird es jedoch entscheidend sein, dass der Bund seinen Beitrag leistet und unterstützende Rahmenbedingungen schafft.

Drittens: Netzwerke schaffen und aktivieren

Der Hessenmonitor zeigt, dass Finanzkompetenzen insbesondere über das vertraute Umfeld der Menschen erworben werden. Also muss die Kompetenz in diesen informellen Netzwerken aus Freundinnen und Freunden, Familien sowie Kolleginnen und Kollegen gestärkt werden. Hessen hat dies in einem Pilotprojekt mit SAFE und der IHK Gießen-Friedberg mit der SEASN-App erprobt. Die App, die mittels eines digitalen Zwillings zur Simulation von Finanzentscheidungen einlädt, kann als Kommunikationswerkzeug für Peer-to-Peer Netzwerke fungieren. Die App steht in den gängigen App Stores kostenlos zur Verfügung. Dabei kommen neben dem privaten Umfeld auch andere Netzwerke in Frage. Hier wird es um die Einbindung des Arbeitsumfeldes, aber auch anderer Strukturen gehen, in denen Menschen zusammenkommen.

Unser Fazit

Der Hessenmonitor macht die Chancen und den Bedarf zur Förderung der Finanzkompetenz junger Menschen deutlich sichtbar. Ihre Stärkung ist eine prioritäre gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Hessen wird seinen eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzen – mit dem Ziel, innovative Ansätze zu entwickeln und flächendeckend Fortschritte zu erzielen. Es steht zu hoffen, dass die neue Bundesregierung ihren Beitrag leistet und andere Länder sich auch auf den Weg machen. Alle Akteurinnen und Akteure sind gefordert, diese Herausforderung kooperativ und lösungsorientiert anzugehen.

Von Christine Laudenbach, Alexander Lorz und Kamila Duraj
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