Im Interview:Oliver Bilal, Invesco

„Da sind auch noch sehr viele Witwen“

Der Invesco-EMEA-Vertriebschef Oliver Bilal setzt nicht nur auf Tokenisierung. Er hat auch eine wichtige Anlegergruppe im Visier: Witwen.

„Da sind auch noch sehr viele Witwen“

Im Interview: Oliver Bilal

„Da sind auch noch sehr viele Witwen“

Der EMEA-Vertriebschef der Fondsgesellschaft Invesco über neue Anlegergruppen, Tokenisierung und ESG

hip London

Der Invesco-EMEA-Vertriebschef Oliver Bilal setzt nicht nur auf Tokenisierung. Da tut sich bislang bei Geldmarktfonds am meisten. Er hat auch eine wichtige Anlegergruppe im Visier: Witwen. Denn nicht nur Kinder erben die Familienvermögen.

Herr Bilal, hat sich die Entwicklung bei der Tokenisierung von Investments verlangsamt?

Die Entwicklung hat sich nicht verlangsamt, ganz im Gegenteil. Es gibt viele neue Projekte, viele Initiativen. Sehr interessant finde ich die Zusammenarbeit von Mirae Asset Securities und Polygon Labs, die Infrastrukturanlagen über tokenisierte Wertpapiere anbieten.

Was ist daran so spannend?

Dass es um reale Sachwerte geht, die extrem schwierig zu verbriefen und in die traditionellen Investmentvehikel zu bringen sind. Dass man durch Tokenisierung konzeptionell Fungibilität herstellen kann.

Bei Geldmarktfonds tut sich am meisten. Das hängt vor allem damit zusammen, dass tokenisierte Geldmarktfonds als Sicherheitsleistung für die Terminbörsen darstellbar sind.

Oliver Bilal, Invesco

Wo gibt es die meisten Innovationen?

Bei Geldmarktfonds tut sich am meisten. Das hängt vor allem damit zusammen, dass tokenisierte Geldmarktfonds als Sicherheitsleistung für die Terminbörsen darstellbar sind. Alle großen Player, von J.P. Morgan über Goldman Sachs bis hin zu Blackrock, sind dort aktiv.

Und Invesco?

Wir sind es auch. Wir haben in den USA auch mehrere Projekte laufen.

Geht es bei der Regulierung voran?

Meine Perspektive ist, dass durch die Neufindung in Brüssel nach den Wahlen eine Menge Neusondierungen erfolgen. Meine Wahrnehmung ist allerdings, dass bei der Regulierung sechs Monate vor und sechs Monate nach Wahlen Stillstand herrscht.

Der Token könnte vergleichbare Kraft und Potenzial entfalten wie die Aktie vor mehr als 100 Jahren, wenn es um Sachwerte geht.

Oliver Bilal, Invesco

Was versprechen Sie sich von der Tokenisierung?

Es ist richtig, dass man sich überlegt, wie man Anteile und Mitspracherechte vervielfältigen kann. Die Idee der Aktie war sehr erfolgreich. Der Token könnte vergleichbare Kraft und Potenzial entfalten wie die Aktie vor mehr als 100 Jahren, wenn es um Sachwerte geht. Da ließe sich auch der Kreis zu vielen interessanten Projekten in Sachen Nachhaltigkeit schließen.

Wie das?

Anleger könnten ganz individuell, völlig personalisiert darüber nachdenken, wie sie in ihrem direkten Umfeld bestimmte Projekte mitfinanzieren wollen. Das könnte ihnen eine Investmentrendite bringen oder Vorteile beim eigenen Energiekonsum. Sie könnten etwa den Windpark vor der eigenen Tür mitfinanzieren.

Man könnte also ganz lokal sein Geld anlegen?

Es gab auch einmal ein Projekt von einem Immobilienentwickler, der vor seinen Objekten sein Werbebanner mit QR-Code aufgestellt hat. Den konnte man einscannen und direkt einen Anteil am jeweiligen Objekt erwerben. Immobilien werden ein spannender Sektor bleiben, mit allen sozialen Trends, die wir haben.

Braucht man da nicht eine Menge Sachkenntnis?

Wer zehn Jahre auf dem Weg zur Arbeit an so einem Objekt vorbeigeradelt ist, wird eine ziemlich gute Vorstellung davon haben, was da Erfolg haben könnte. Da wird es aufgrund der Nähe, Stichwort Home Bias, immer wieder den einen oder anderen geben, der investiert. So etwas durch Technologie zu ermöglichen, finde ich sehr spannend.

Wäre das nicht das Ende der Assetmanagementbranche?

Wir arbeiten im Haus natürlich an einem Wertversprechen, das sehr wohl in diese neue Welt passt. Wir haben uns in den letzten Jahren sehr viel darüber unterhalten, wie die Jüngeren, in deren Richtung der Vermögenstransfer zwischen den Generationen läuft, eigentlich investieren.

Was ist dabei herausgekommen?

Uns fiel auf, dass es noch etwas zwischen den Babyboomern und Generation Y und Z gibt. Da sind auch noch sehr viele Witwen, die prozentual einen großen Teil erben. Dadurch kommt ein Gender-Aspekt dazu. Und es zeigte sich, dass nicht nur die Kaufentscheidung anders läuft, sondern auch das Investment ein anderes sein wird.

Vorurteilsbeladen würde ich behaupten, dass Frauen konservativer sind.

Mehrere Studien sagen, dass Frauen weniger risikofreudig investieren würden. Sie würden zu weniger volatilen und risikobehafteten Assets tendieren. Das hat weitreichende Konsequenzen für die Portfolioallokation. Es gibt aber noch einen weiteren Punkt, der sich aus dem Research ergibt.

Und der wäre?

In Großbritannien wurde die Entwicklung sehr stark von unabhängigen Finanzanlageberatern angetrieben. Dabei traf der Berater offenbar den investierenden Ehemann, um das Portfolio über einer Tasse Tee zu diskutieren, sprach aber in der Regel nicht mit der Frau. Wenn sie denn anwesend war, fand der Blickkontakt zum Mann statt, nicht zu beiden. Die Gespräche wurden sehr eingleisig geführt.

Was wird das für Konsequenzen haben?

Wird sich so eine Witwe dem Finanzberater gegenüber zur Loyalität verpflichtet fühlen? Die Umstiegskosten sind gering. Hinzu kommt vielleicht das Interesse, einmal andere Wege auszuprobieren.

Was heißt das für Invesco?

Wir überlegen, wie wir als Assetmanager eine personalisierte Investmenterfahrung darstellen, die wir dem Anlageberater geben können, um ihm zu helfen, diese neuen Kunden anzusprechen. Seine alten werden ihm bald abhandenkommen. Die neuen kennt er noch nicht.

Ich würde selbstkritisch sagen, dass wir es als Branche bislang nicht geschafft haben, mit den regulierenden Behörden einen Rahmen zu schaffen, der nachhaltige Investments klar und einfach definiert und auf diese Weise Transparenz für den Investor schafft.

Oliver Bilal, Invesco

Was ist bei ESG passiert? Ist die schwache Nachfrage nur vorübergehend?

Ich würde selbstkritisch sagen, dass wir es als Branche bislang nicht geschafft haben, mit den regulierenden Behörden einen Rahmen zu schaffen, der nachhaltige Investments klar und einfach definiert und auf diese Weise Transparenz für den Investor schafft. Das ist uns noch nicht gelungen. Daran hatte die Fondsbranche einen Anteil, die regulierenden Behörden ebenso. Das Ergebnis war ein Komplexitätsgrad, der für Anlageberater und Investoren schwer zu durchschauen war.

Und die Nachfrageseite?

Die ist durch diese Entwicklung beeinträchtigt. Wirtschaftliche Unsicherheit hat sich stets negativ auf exogene Themen ausgewirkt. Dabei muss es sich nicht unbedingt um ESG handeln. Da werden vom Kunden klare Prioritäten gesetzt.

Wie wirkt sich das aus?

Sicherheit wird in Zeiten der Ungewissheit immer Ziel Nummer 1 sein. Da gibt es dann schnell den Reflex, Nachhaltigkeit als mögliche Kosten zu betrachten, die die Rendite schmälern. Das haben wir schon nach der Finanzkrise gesehen.

In welcher Form?

2008 war die erste größere Welle nachhaltiger Investments, gerade auch in Deutschland. Nach der Finanzkrise kam das komplett zum Stillstand, um sich nach der Erholung drei Jahre später voll zu entfalten. Sobald nach einer möglichen Kontraktion eine globale Wirtschaftserholung stattgefunden hat, dürfte das wieder so kommen. Ich würde es mir wünschen, weil ich es konzeptionell für den richtigen Weg halte.

Konzeptionell?

Kapitalmärkte sind ja eigentlich nichts anderes als die Kapitaltransformation. Die eigentliche Problematik liegt darin, dass wir bestimmte Kostenblöcke über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte einfach als exogen betrachtet haben. Doch plötzlich stellen Unternehmen fest, dass sich diese Kosten nicht mehr externalisieren lassen.  Man kommt einfach nur zur Realität zurück, dahin, wo man hätte schon längst sein müssen.

Die Kosten sind schwer zu berechnen?

Absolut. Aber da ist am Ende wahrscheinlich wieder der Markt die richtige Antwort, um den Preis zu finden. Wenn die Nutzung bestimmter Ressourcen Geld kostet, kann ich das verpacken und am Markt anbieten. Sie sind endlich. Da sollte sich anhand von Angebot und Nachfrage ein Preis bilden wie bei anderen Assetklassen auch.

Wenn man einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen will, ist das Bestreben, die private Altersvorsorge im Anspar- und Entsparprozess zu subventionieren, nicht ganz so ausgeprägt.

Oliver Bilal, Invesco

Was bedeuten die Wahlen in Großbritannien für Sie?

Wir sind, wie alle, sehr interessiert daran, wie die neue Regierung die Pensionsreformen weiter vorantreiben wird. Als Damoklesschwert hängt natürlich die mögliche Besteuerung über der Branche. Dazu gibt es offenbar viele Ideen.

Wie muss man sich das vorstellen?

Wenn man einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen will, ist das Bestreben, die private Altersvorsorge im Anspar- und Entsparprozess zu subventionieren, nicht ganz so ausgeprägt. Wir hoffen, dass dabei nicht aus dem Fokus gerät, dass die Altersvorsorge in alternden Gesellschaften wie England extrem wichtig ist und dass der liberale Rahmen erhalten bleibt.

Das Interview führte Andreas Hippin.

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