Bundesbank muss Kreditregister-Meldungen verschieben
Von Bernd Neubacher, Frankfurt
Drei Jahre nach Einführung überfordert das granulare statistische Kreditmeldewesen Anacredit Deutschlands Banken. Wie die Deutsche Bundesbank am Dienstag den Banken per Rundschreiben erklärt hat, verschiebt sie, einen Tag vor Ende der Frist, den Stichtag für korrigierende Meldungen der Institute von Ende Juni um vier Monate auf Ende Oktober. Banken und Software-Häuser, die auch bis dahin nicht zu Rande kommen, sollen sich bis Ende September melden, „damit ein individueller Aktionsplan aufgestellt werden kann“. Eine weitere Fristverlängerung scheide wegen „Handlungsbedarf zur Verbesserung der Datenqualität aus“.
Die Verschiebung, der eine Intervention der Deutschen Kreditwirtschaft, des Zusammenschlusses der Spitzenverbände, vorausgegangen war, wirft ein Schlaglicht auf die Komplexität und Fallstricke regulatorischer und aufsichtlicher Großprojekte im Allgemeinen und auf das 2018 eingeführte Kreditregister Anacredit im Speziellen. Das Vorhaben Analytical Credit Datasets verlangt Banken europaweit fürs Erste die Meldung detaillierter Daten zu allen Ausreichungen an juristische Personen mit einem Volumen ab 25000 Euro ab. Doch die Bewältigung von Fehlermeldungen der Aufsicht, insbesondere wegen „Dubletten in den Vertragspartner-Stammdaten und vereinzelt auch in den Kreditdaten-Meldungen“, wie die Bundesbank schreibt, hat die Kreditwirtschaft in den vergangenen Monaten zunehmend vor Probleme gestellt. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung beklagt ein Geschäftsleiter vor allem den mit ständig um die Meldeschwelle von 25000 Euro schwankenden Krediten verbundenen Aufwand.
Bundesbank als Beraterin
Teils sei die Bundesbank in die Situation eines Beraters geraten, der Banken zu Meldungen verhilft, die den Vorstellungen der Europäischen Zentralbank (EZB) genügten, wird kolportiert. Dass es drunter und drüber ging, wird im Markt aber auch an der Aufsicht festgemacht: Vielfach hätten unklare Fehlermeldungen der Aufsicht Rückfragen nach sich gezogen. Inzwischen hofften Banken nur mehr, einzelne der monatlichen Meldestichtage endlich abschließen zu können. Einer größeren Bank habe die Bundesbank bis Jahresbeginn von bis dahin abgegebenen 28 Meldungen erst drei als „final in Ordnung“ zurückgemeldet. Der Eindruck einer Dauerbaustelle sei „nicht verkehrt“, sagt ein Beteiligter.
Mühsam, aber nötig
In den Reihen der Aufseher hält man dagegen: Nach der Lesart dort ist der Aufbau von Anacredit ein aufwendiger, aber notwendiger Einstieg ins Zeitalter der Mikrodaten. Demnach ist Anacredit ein Erfolg. Schon jetzt werde das Register von Zentralbanken, Aufsehern sowie dem Europäischen Systemrisikorat ESRB rege genutzt. In der Pandemie habe es sich bewährt, da es detaillierte Lagebilder über Zweitrundeneffekte der Pandemie auf die Kreditwirtschaft sowie zur Wirkung der fiskalpolitischen Hilfen erlaubte. Dies habe dazu beigetragen, die Folgen des Coronavirus für die Finanzierung der Realwirtschaft sowie für die Finanzstabilität zu minimieren. Im Gesundheitswesen wäre man im vergangenen Jahr froh gewesen, hätte ein Pendant zu Anacredit bereitgestanden, wird argumentiert. Auch seien im Zuge von Green Finance etwa Informationen zum CO2-Fußabdruck in Anacredit integrierbar, was auch angesichts der Überprüfung der EZB-Strategie von Belang sei. Auf Sicht könnte die Zentralbank dank Anacredit wiederum Banken Informationen über die übrigen Kreditengagements von Kunden bereitstellen. Der Weg zum granularen Datenhaushalt ist allerdings steinig. Selbst in der Bundesbank wird konzediert, dass der Aufbau eines Systems, das monatlich Milliarden von Datenpunkten verarbeitet, die IT an ihre Grenzen geführt habe. Und als vor Jahren der bundesweit dominierende Meldesoftware-Anbieter Bearing Point seine liebe Not mit der Einführung seines Produkts Avaloq360 hatte, erklärte man dies nicht nur mit hausgemachten Problemen, sondern auch mit der Komplexität von Anacredit.
Erschwert hat das Prozedere zudem, dass die Beteiligten, als das Vehikel schon Fahrt aufgenommen hatte, noch munter an dessen Schrauben drehten. So wechselte man, um die Zahl der Fehlermeldungen zu verringern, vom „Zeitstrahl-“ aufs „Zeitpunktprinzip“: Einmal gemeldete Datenpunkte sollten nicht mehr bis auf Weiteres Gültigkeit haben, sondern nur mehr bis zum nächsten Monatsstichtag. Eine mit der Sache vertraute Person nennt dies inzwischen „die größte Baustelle der vergangenen 18 Monate“.
„Superkomplex“
Der Prozess sei „superkomplex“, meint ein anderer Insider. Konzipiert worden sei er zudem von Leuten, die keine Erfahrung damit hätten, was es operativ bedeute, im Meldewesen etwa sechs Monate zurückliegende Fehler zu bereinigen. Als Einstieg in die granulare Datenwelt zeige Anacredit derzeit allen daran Beteiligten, was in den kommenden Jahren noch auf sie zukommen werde. Das Prinzip sei gut, aber die Umsetzung werde so nicht funktionieren. Vielmehr müsse sich die Aufsicht enger mit den Banken und den Meldesoftware-Anbietern abstimmen.
Ein anderer Beobachter führt die Massen an Korrekturmeldungen, welche Banken und Aufseher derzeit in Atem halten, wiederum auf die in Anacredit angelegten Anfänge eines granularen Meldesystems zurück: Mikrodatenbanken seien nicht fehleranfälliger, nur fehlertransparenter, sagt er. Solange aber Banken ihre Daten selbst veredelten, seien Konsistenz und Qualität nicht so gut zu beurteilen. So hätten die Aufseher durch Anacredit bereits festgestellt, dass ein und dasselbe Unternehmen, das Kunde bei verschiedenen Banken ist, von diesen jeweils unterschiedlich gemeldet wird, auch weil diese Banken unterschiedliche Datenquellen nutzen. Früher seien diese Daten inkongruent aggregiert worden.
Noch hakt es in der Praxis mehrfach, wie bei Beobachtern beklagt wird. So sei die Vergabe von Codes für das von den Aufsehern aufgebaute Register of Institutions and Affiliates Database (RIAD) bislang nicht in Gang gekommen. Der Code erfülle für das Europäische System der Zentralbank vor allem einen internen Zweck, heißt es dazu aus der Bundesbank. Um die Kennung im Austausch mit den Instituten in Deutschland zu nutzen, sei aus Gründen des Datenschutzes zunächst eine nationale Regelung für ein Rückmeldeverfahren von Kredit- und Stammdateninformationen an die Banken nötig. Näheres dazu werde im zweiten Halbjahr mitgeteilt.
Noch offen ist nach Angaben von Beobachtern zudem der Umgang mit ausländischen Niederlassungen eines Vertragspartners, die ab 1. September zu melden seien. Laut EZB-Verordnung obliegt dies den Banken, ist dazu aus der Zentralbank zu hören. Um diese zu entlasten, habe die Bundesbank zunächst geprüft, ob sie die Aufgabe als Service selbst übernehmen könne. Dies habe sich aus technischen Gründen als nicht realisierbar herausgestellt. Thema sei zudem immer wieder die Abbildung von Investmentfonds und Verwaltungsgesellschaften, was die Vorgaben und deren technische Umsetzung angehe, wird im Markt zudem kritisiert. Damit soll sich dem Vernehmen nach eine „institutionsübergreifende Arbeitsgruppe“ aus Bundesbank, BaFin, Bundesfinanzministerium sowie Banken beschäftigen, die allerdings erst noch eingerichtet werden muss.
Unterdessen signalisiert man auf Seiten der Aufsicht, dass Deutschland im europäischen Vergleich mit seinem Meldeverfahren zu Anacredit hinterherhinke. Diese Schwierigkeiten rührten auch daher, dass es hierzulande noch keine einheitliche Unternehmenskennung gebe – der Einführung eines Basisregisters hat der Bundesrat eben erst zugestimmt. Andere Länder in der Peripherie Eurolands sind da schon deshalb weiter, weil sie im Zuge der Staatsschuldenkrise entsprechende Systeme als Voraussetzung für Hilfen einrichten mussten, wie berichtet wird. Strategisch sei dabei auch zu fragen, warum die Bundesrepublik so oft an Digitalisierung scheitere, sei es infolge von Datenschutzregeln, Unterausstattung oder mangels langen Atems. Ein kurzer Atem lässt sich der Aufsicht bei Anacredit nicht attestieren: Initiiert wurde das Vorhaben von der EZB schon vor zehn Jahren. Das Register soll den Auftakt für ein integriertes Bankmeldesystem bilden, in welchem Banken der Aufsicht nicht mehr auf Anfrage Berichte, sondern nur mehr Rohdaten liefern, aus denen sich die Behörde ihre Berichte selbst zusammenstellt. Am sogenannten Banks Integrated Reporting Dictionary (BIRD) doktert eine Arbeitsgruppe der EZB nunmehr allerdings auch schon seit mehreren Jahren ohne greifbare Ergebnisse herum. Anstatt harmonisierte Vorgaben zu erarbeiten, würden dort derzeit eher nationale Sonderwünsche realisiert, ist zu erfahren.
Der Druck nimmt zu
Außer Zweifel steht, auch vor dem Hintergrund einer mageren Bilanz im internationalen Vergleich, dass der Druck auf deutsche Banken, die Qualität ihrer Meldungen zu erhöhen, zunehmen wird. Die Dubletten in den Stamm- und Kreditdaten verursachten „im System der Deutschen Bundesbank erhebliche Probleme“ und verhinderten, dass die fraglichen Kreditdatensätze an die EZB übertragen werden können, teilt die Bundesbank den Kreditinstituten per Rundschreiben mit: „Dies schränkt wiederum insoweit die Datengrundlagen für die Analysen der pandemiebedingten Fiskalmaßnahmen ein, so dass dringender Handlungsbedarf besteht und die EZB rasche Verbesserungen erwartet.“ Auf Anfrage gibt sich die Notenbank derweil konziliant. Die Erhebung der Daten für Anacredit sei dezentral organisiert, die nationalen Zentralbanken priorisierten diese im Rahmen der Anacredit-Verordnung der EZB. Obgleich sich die Datenqualität seit Start der Erhebung bereits deutlich verbessert habe, gebe es nach wie vor Verbesserungsbedarf in einigen Mitgliedstaaten. Dies sei bei Einführung einer statistischen Erhebung dieses Ausmaßes indes „nicht ungewöhnlich“.