Credit Suisse und UBS kein Paar
Von Daniel Zulauf, Zürich
Die stark angeschlagene und niedrig bewertete Credit Suisse kann von Glück reden, dass eine Fusionswelle unter europäischen Finanzinstituten noch etwas länger auf sich warten lässt. Die Bank muss zuerst ihren eigenen Haushalt in Ordnung bringen, bis sie an eine Fusion mit einem starken Partner denken kann. Der renommierte britische Finanzanalyst Stuart Graham von Autonomous Research erklärt im Gespräch mit der Börsen-Zeitung, weshalb die im Herbst aufgekommenen Spekulationen um einen Zusammenschluss von Credit Suisse und UBS nicht aus der Luft gegriffen sind, aber dennoch im Sand verlaufen dürften.
„Ich bin mir sicher, dass UBS und Credit Suisse einige sehr kreative Köpfe beschäftigen, deren Aufgabe es ist, die Möglichkeiten eines Zusammenschlusses durchzudenken“, sagt der Londoner Finanzanalyst Graham angesprochen auf die Fusionsabsichten, die im Herbst des vergangenen Jahres gerüchteweise dem UBS-Präsidenten Axel Weber nachgesagt wurden.
Abenteuerliche Spekulation
Was schon damals nach einer reichlich abenteuerlichen Spekulation aussah, ist inzwischen fast undenkbar geworden. „Ich befürchte, dass die Überlegungen im Sand verlaufen werden“, konstatiert der britische Bankenkenner. „Ich gehe davon aus, dass es der Ehrgeiz von António Horta-Osório ist, die Bank zuerst aus eigener Kraft aus dem tiefen Loch herauszuführen, in das sie im Frühjahr gefallen ist.“
Der neue Credit-Suisse-Präsident Horta-Osório hat Ende April eine Bank übernommen, deren Börsenwert im Zug der beiden Großhavarien Archegos und Greensill auf mickrige 25 Mrd. sfr gefallen ist. Der Börsenwert von UBS ist mehr als doppelt so hoch. Der Bewertungsnachteil von Credit Suisse übersteigt den Größenunterschied der beiden Banken bei Weitem. „In einer solchen Situation würde sich kein Verwaltungsrat ohne Not in Fusionsgespräche begeben“, weiß Graham. Diese Not sei bei Credit Suisse wohl noch nicht groß genug, vermutet der er mit Blick auf deren immer noch gute Wettbewerbspositionen in verschiedenen Geschäftsfeldern.
Doch die Uhr läuft gegen die Schweizer Großbanken, meint der 54-jährige Analyst, der die Veränderungen in der europäischen Bankenlandschaft schon seit mehr als drei Dekaden im Auge hat. Grenzüberschreitende Zusammenschlüsse und Übernahmen im Bankensektor der Eurozone seien überfällig, sagt Graham. Die Profitabilität der Branche sei ungenügend und die Aussicht auf ein noch über Jahre hinaus andauerndes Ultratiefzinsumfeld lasse keine markante Verbesserung der Ertragsaussichten erwarten.
Vor diesem Hintergrund seien Maßnahmen zur Senkung der Kosten die einzige wirkungsvolle Handlungsoption. Die Möglichkeiten von Fusionen innerhalb der Euro-Länder seien im Großen und Ganzen ausgeschöpft. „Wir warten schon sehr lange auf den Tag, an dem die Welle der transnationalen Transaktionen im Bankensektor von Euroland losbricht“, sagt Graham. Er geht davon aus, dass diese Welle in den nächsten Jahren tatsächlich ins Rollen kommen wird.
Voraussetzung dafür ist allerdings die Fertigstellung der europäischen Bankenunion. 14 Jahre nach Ausbruch der internationalen Finanzkrise und knapp zehn Jahre seit dem Höhepunkt der europäischen Schuldenkrise ist dieses Schlüsselelement auf dem Weg zu einem integrierten europäischen Finanzmarkt immer noch anhängig.
Konkret fehlt noch eine Einigung der Euro-Staaten auf ein gemeinschaftliches Sicherungssystem für Bankeinlagen. Ohne eine solche Haftungsgemeinschaft bleiben die nationalen Einlagensicherungssysteme in den 19 Euro-Ländern maßgebend und in jedem Land sorgt die Aufsichtsbehörde dafür, dass die Banken genügend Kapital zur Deckung ihrer Einlagensicherungssysteme vorhalten. Durch dieses sogenannte Ring Fencing oder Abschotten der nationalen Regulierung verlieren grenzüberschreitenden Bankenzusammenschlüssen einen bedeutenden Teil ihres ökonomischen Vorteils, weil eine zentrale Steuerung und somit eine Optimierung des Kapitaleinsatzes verhindert wird.
Edis kein Spaziergang
Das heftig umstrittene Thema wurde auf der Eurogruppen-Sitzung vom vergangenen Donnerstag zum wiederholten Mal auf die lange Bank geschoben. Zwar glaubt auch Graham nicht, dass die letzte Meile auf dem Weg zur europäischen Einlagensicherung (Edis) ein Spaziergang wird. Aber immerhin gibt es inzwischen auch Ansätze, die dereinst auch für eine neue Regierung in Berlin akzeptabel sein könnten.
Graham sagt, von dieser „Edis-Option“ sei in den Kursen der europäischen Bankaktien noch gar nichts enthalten. Er erwartet, dass die Kurse dieser Aktien stark steigen würden, wenn der Abschluss der Bankenunion näher rücken und die Perspektiven für grenzüberschreitende Großbankenzusammenschlusse realistisch würden.
Ins Hintertreffen
Laut Graham kommen die 15 größten Banken im Euroraum zurzeit auf einen Marktanteil von gerade mal etwa 45%. So viel teilten in anderen Märkten bloß etwa vier Großbanken unter sich auf. In einem solchen Szenario könnten die beiden Schweizer Großbanken gegenüber der europäischen Konkurrenz weit ins Hintertreffen geraten. Rein rechnerisch könnte eine durchschnittliche Großbank der Eurozone in einem konsolidierten Markt einen Börsenwert (auf Basis der aktuellen Kurse) von um die 100 Mrd. Euro erreichen – etwa das doppelte einer UBS und das Vierfache einer Credit Suisse.
Für Graham ist es deshalb nur weitsichtig, wenn die Schweizer Großbanken schon jetzt Überlegungen anstellten, wie sie mit Blick auf eine dereinst vielleicht erstarkende Euro-Konkurrenz ihre eigene Wettbewerbsposition verbessern könnten. Die Fusionsidee sei eine prüfenswerte Variante, aber so gut sie auf dem Zahlenblatt eines Analysten auch aussehen möge, so komplex und schwierig sei es, in der Realität ein solches Unterfangen umzusetzen.
Während sich das Problem eines allzu großen Inlandgeschäfts einer fusionierten Großbank noch relativ einfach mit Hilfe einer Abspaltung lösen ließe, würde eine Verbindung der beiden Investmentbanken eine veritable Knacknuss werden, so Graham. „Man kann sich das komplexe technische Innenleben solcher, über viele Jahre gewachsener Investmentbanken wie eine Handvoll Spaghetti vorstellen“. Auf den ersten Blick seien Größenvorteile eines Zusammenschlusses zwar offensichtlich, aber dann flössen die Komplexität und die damit verbundenen Kosten eines solchen Fusionsprojektes in die Rechnung ein und diese könnte sich schnell auf eine Summe addieren, so dass für die Aktionäre kein Mehrwert mehr übrig bleibe. Im aktuellen Umfeld wären die Aktionäre kaum für ein derart riskantes Projekt zu gewinnen, ist Graham überzeugt. Der Handlungsdruck sei schlicht zu gering, zumal die Schweizer Großbanken unter Ausklammerung der jüngsten Pleiten immer noch deutlich höhere Renditen erwirtschafteten als eine durchschnittliche Großbank in der Eurozone.
Zeit für Kulturwandel
Für Horta-Osório sind das gute Aussichten. Der Portugiese hat Zeit, den dringend nötigen Kulturwandel zu schaffen, bürokratisches Missmanagement zu stoppen, das Vertrauen der Aufsichtsbehörden zurückzugewinnen und vor allem auch das Misstrauen wichtiger Kunden zu überwinden. Schnell seien diese Ziele aber nicht zu erreichen, gibt Graham zu bedenken. Die amerikanische Großbank Wells Fargo, die 2016 in einen Sumpf von Skandalen und Pleiten eintauchte, habe ganze vier Jahre gebraucht, um den Anschluss an die Konkurrenz zurückzugewinnen. So viel Zeit wird der Credit-Suisse-Präsident kaum haben.