Demografie schürt Sorge um Geldvermögen
Von Jan Schrader, Frankfurt
Die Demografie, so heißt es oft, sei wie ein Tanker, der nur langsam seine Richtung ändert. Die Bevölkerungsentwicklung lässt sich daher vergleichsweise leicht vorhersehen. Die Zahl der Ruheständler im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung wird in einigen Jahren wahrscheinlich deutlich steigen. Die geburtenstarken Jahrgänge, die etwa ab 1955 bis 1972 mit jeweils mehr als einer Millionen Menschen vertreten sind, gehen in den kommenden Jahren nach und nach in den Ruhestand. Die Zahl der Menschen zwischen 20 und 66 Jahren sinkt bis 2035 von annähernd 52 Millionen auf etwas mehr als 46 Millionen, während die Zahl der Älteren ab 67 Jahren von 16 Millionen auf knapp 21 Millionen steigt, wie ein Szenario des Statistischen Bundesamtes unter moderaten Annahmen zeigt. Die Folgen für das gesetzliche Rentensystem sind deutlich: Die Bundesbank geht davon aus, dass im bisherigen System die Beitragslast steigt, das Versorgungsniveau hingegen sinkt, und zwar vorerst auch dann, wenn das Renteneintrittsalter über die Schwelle von 67 Jahren hinaus an die steigende Lebenserwartung angepasst würde.
Manche Beobachter erwarten, dass in dieser Gemengelage auch die Geldvermögen der privaten Haushalte unter Druck geraten – und damit Anbieter der Finanzbranche, seien es Banken, Versicherer oder Fondshäuser, auf ein geringes Wachstum zusteuern. Die Ratingagentur Moody’s warnt etwa die Fondsbranche: „Das organische Wachstum der verwalteten Vermögen, das bereits unter Druck steht, wird sich in den kommenden Jahrzehnten weiter verlangsamen.“ Die Analysten beziehen sich auf den US-Markt, doch sind die Vorzeichnen in Deutschland nicht besser. Die Beratungsfirma Kommalpha hält fest: „Es wird die demografische Entwicklung in Deutschland sein, die ab 2030 dafür sorgen wird, dass die Bilanzen von Versicherungen und Altersvorsorgeeinrichtungen kippen und die große Auszahlungsphase beginnt.“ Keinen Knick, wohl aber ein nachlassendes Wachstum sieht Kommalpha-Chef Clemens Schuerhoff für die Fondsbranche.
Forschung unklar
Andere sind skeptisch: Klaus Stiefermann von der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (ABA) glaubt nicht, dass sich die Entwicklung des Vermögens prognostizieren lässt: Zu viele Faktoren, neben den Vorlieben der Anleger etwa Weltkonjunktur, Politik und Regulierung, wirkten sich auf die Geldvermögen aus, darüber hinaus auch unvorhersehbare Ereignisse wie jüngst die Coronakrise. Auch die Forschung ist nicht eindeutig: „Wie Menschen für das Alter vorsorgen, ist zwar bereits gut erforscht“, sagt die Mannheimer Finanzmarktprofessorin Tabea Bucher-Koenen, Leiterin des Bereichs für internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). „Aber es gibt vergleichsweise wenige Erkenntnisse dazu, wie sie dann im Ruhestand mit dem Vermögen umgehen.“
Dabei war es das ZEW selbst, das bereits 2012 die Bundesregierung in einer Analyse davor gewarnt hatte, dass die Sparquote in Zukunft „deutlich“ sinken werde, da Menschen ihr Vermögen im Alter aufbrauchten. Die Sparquote beschreibt demnach im Laufe des Lebens ein Auf und Ab. Sie steigt während des Berufslebens an, sinkt in der Phase des frühen Ruhestands, ehe sie im hohen Alter wieder etwas steigt, etwa weil alte Menschen weniger konsumieren oder ein Erbe hinterlassen wollen. Wenn also geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand träten, dürfte die Sparquote also zunächst sinken.
ZEW-Forscherin Bucher-Koenen warnt aber davor, bisherige Muster in die Zukunft zu übertragen. So sei weder klar, wie sich etwa die vielen Sparer in der staatlich geförderten Riester-Rente im Ruhestand verhalten, noch wie sich die gewachsene Zahl der Haushalte, die Kapital für das Alter angespart haben, auf die Sparquote auswirkt. Ein hoher Wohlstand kann dazu führen, dass die Ruheständler ihr Vermögen behalten, wie Hendrik Budliger argumentiert, Gründer und Leiter des Schweizer Instituts Demografik, das Unternehmen und Behörden zur Demografie berät. In seinen früheren Berufsjahren bei einer Schweizer Privatbank habe er erlebt, wie vermögende Kunden auch im Ruhestand ihr Vermögen weiter aufgebaut hätten.
Einen Schub könnten die Kapitalbestände erhalten, wenn weitere Menschen für ihr Alter sparten. Denn trotz der Fortschritte in den vergangenen Jahren haben etwa vier von zehn Haushalten keine kapitalgedeckte Altersvorsorge aufgebaut, sagt ZEW-Forscherin Bucher-Koenen. Spielraum sieht Uwe Trautmann, der ehemalige Chef der Helaba Invest, auch für Altersvorsorgeeinrichtungen. Viele Unternehmen hätten ihre Pensionsverpflichtungen noch nicht ausfinanziert, argumentierte er kurz vor seinen eigenen Wechsel in den Ruhestand im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
Doch unabhängig davon, wie stark sich der demografische Wandel auf die Geldvermögen auswirkt: Mehr privates Kapital in der Altersvorsorge wäre wohl aus Sicht der meisten Ökonomen und Finanzvertreter sinnvoll. ABA-Sprecher Stiefermann formuliert das als rhetorische Frage: „Sind kapitalgedeckte Systeme nicht möglicherweise resistenter gegen demografische Entwicklungen als umlagefinanzierte?“