Der geforderte ESG-Anleger
Von Jan Schrader, Frankfurt
Die Geldanlage verlangt ohnehin schon die Aufmerksamkeit der Anlegerinnen und Anleger – doch mit der Fülle der Nachhaltigkeitsmerkmale komme noch „eine Schippe Komplexität“ hinzu, sagt Magdalena Kuper, Nachhaltigkeitsexpertin beim deutschen Fondsverband BVI. „Ich glaube, es führt kein Weg daran vorbei, dass sich Anleger, für die Nachhaltigkeit etwas bedeutet, sich einfach stärker mit dem Thema befassen“, sagte sie am Donnerstag in einer Podiumsdiskussion auf der digitalen Konferenz des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen (IFF).
Die Kapitalmarktjuristin sprach damit einen Konsens unter ESG-Experten aus. Die Geschichte eines Finanzanbieters, also den „Track Record“ in Sachen Nachhaltigkeit, solle ein Anleger genau in den Blick nehmen, mahnte Bernd Villhauer, Wirtschaftsethiker und Geschäftsführer vom Weltethos Institut in Tübingen, während Georg Schürmann, Deutschlandchef der niederländischen Nachhaltigkeitsbank Triodos, auf das Fondssiegel des Forums Nachhaltige Geldanlagen, auf die Analysefirma Morningstar sowie auf die Initiative Fair Finance Guide verwies. Unter einem grünen Mäntelchen werde am grauen Kapitalmarkt Hochriskantes, mitunter Betrügerisches beworben, warnte schließlich Magdalena Senn, Referentin für nachhaltige Finanzmärkte der Bürgerbewegung Finanzwende. Die betroffenen Anleger seien vermutlich zu unbedarft gewesen, sagte die NGO-Vertreterin.
„Greenwashing bei nachhaltigen Finanzprodukten“ lautete das Thema der Diskussion. Um nicht überzogenen oder irreführenden Versprechen aufzusitzen, so zeichnete sich als Konsens der Runde ab, seien Anleger gefragt. Wenn Finanzberater ab August die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kundschaft erfragen, bauen sie bereits auf einer eingeübten Praxis auf, wie BVI-Expertin Kuper sagte. Doch erst allmählich gewöhnten sich Branche und Anleger daran. Kuper sprach von einem „Lernprozess“. Immerhin erleichterten nach und nach standardisierte Fondsangaben die Information. Die Anlegerschar habe unterschiedliche Vorstellungen zur Nachhaltigkeit, ergänzte Schürmann, der eine wolle ein „dunkelgrünes“ Produkt, während sich der andere nur auf Mindestkriterien beschränke. Notwendig sei ein Bewertungssystem, das Abstufungen vorsehe, so wie dies zum Teil bereits der Fall sei. „Wir brauchen eine viel bessere Ausbildung in verschiedenen Bereichen“, erklärte schließlich Weltethos-Geschäftsführer Villhauer mit Blick auf die Finanzbranche selbst. Mehr Fachwissen rund um Nachhaltigkeit in der Branche könne der Gefahr überzogener Versprechen vorbeugen.
„Aneinander vorbei“
Über das Ausmaß überzogener ESG-Versprechen herrscht derweil keine Einigkeit. Der Begriff werde „inflationär“ eingesetzt, sagte Kuper und nahm damit die Branche gegen verbreitete Kritik in Schutz. „NGOs füllen das Deutungsvakuum derzeit am lautstärksten“, hielt sie als These zur Diskussion fest. Kritischer äußerten sich Finanzwende-Expertin Senn und Weltethos-Geschäftsführer Villhauer und verwiesen dabei auf die jüngste Razzia bei der DWS. Mutmaßlichem Prospektbetrug müsse nachgegangen werden. „Die Entwicklung, dass genauer hingeschaut wird, ist total wichtig“, sagte Senn. Das Problem des Greenwashings reiche aber darüber hinaus, denn allzu oft investierten nachhaltige Fonds ähnlich wie konventionelle Produkte. Das belege noch lange kein Greenwashing, entgegnete Kuper und verwies auf ein Kernproblem im Diskurs. „Man redet aneinander vorbei.“
Doch häufig sind sich die Experten einig. Atomkraft als nachhaltig deklarierte Technologie zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen sehen sie skeptisch. Auch machen sie fehlende europäische oder globale Standards zur Nachhaltigkeit als ein Kernproblem aus. Als die Debatte schließlich auf die geplante EU-Taxonomie einbog, warf eine Zuhörerin ein, dass Anleger mit derartigen Details und Fachbegriffen überfordert seien. Auch konkrete Angaben machen das Thema alles andere als leicht verständlich.