GastbeitragTamaz Georgadze, Raisin

Der große Wurf für einen integrierten Finanzbinnenmarkt

Die Verbraucher sind in der EU gut geschützt – in einigen Bereichen so sehr, dass die Rahmenbedingungen sich zu zu einer formalistischen Überlastung mit begrenztem Mehrwert entwickelt haben.

Der große Wurf für einen integrierten Finanzbinnenmarkt

GASTKOMMENTAR

Der große Wurf für einen integrierten Finanzbinnenmarkt

Mehr Mut 16 Jahre nach der Finanzkrise

Der EU-Finanzsektor hat seit der Finanzkrise vor 16 Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Die verschiedenen Institutionen und Rahmenbedingungen dämmen systemische Risiken ein und gewährleisten Sicherheit für Finanzinstitute. Daten der EZB zeigen: Das Kreditrisiko europäischer Banken hat sich enorm verbessert. Selbst in der Pandemie und nach dem Kriegsbeginn Russlands gegen die Ukraine blieb der Anteil der Rückstellungen für uneinbringliche Forderungen europäischer Banken gering. 2025 soll der Anteil bei gerade mal 0,4% der Kredite liegen – weniger als einem Viertel dessen, was zur Finanzkrise vorgehalten wurde.

Zuletzt zeigte sich im Zusammenhang mit der Schieflage der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse, dass andere Märkte bei der krisenfesten Neuaufstellung deutlich hinter der EU zurückbleiben. Konsumentinnen und Konsumenten in der EU sind geschützt – in einigen Bereichen so sehr, dass die Rahmenbedingungen nicht mehr nur schützen, sondern es zu einer formalistischen Überlastung mit begrenztem Mehrwert für Verbraucherinnen und Verbraucher kommt.

Länderübergreifende Angebote

Während Stabilität und Schutzmaßnahmen verbessert wurden, bleibt der Wettbewerb innerhalb der EU und das länderübergreifende Angebot von Finanzdienstleistungen weiterhin zurück. Dabei bietet die EU eine riesige Chance: Allein der Einlagenmarkt ist über 17 Bill. Euro Euro groß. Zudem gibt es eine Menge innovativer Unternehmen, die für mehr Wirtschaftlichkeit und dabei für mehr Wettbewerb und Verfügbarkeit von Produkten sorgen. Sie verhelfen zu einem tieferen Binnenmarkt – sei es bei der Verbindung von Banken mit Endkundinnen und -kunden, dem Verbreiten von Angeboten über Ländergrenzen hinweg oder auch indem sie den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern.

Regulierungsdichte wirkt sich negativ aus

Die aktuellen Herausforderungen auf dem europäischen Finanzmarkt sind Teil eines grundlegenden Problems: Die Dichte an Regulierung behindert nicht nur den Wettbewerb im gemeinsamen Binnenmarkt, sondern wirkt sich auch negativ auf die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher aus. Sie könnten von mehr Wettbewerb und einer größeren Auswahl an Finanzprodukten aus dem EU-Ausland profitieren, doch die derzeitige Regulierung schafft gleichermaßen unnötige Hürden für Unternehmen und Konsumentinnen bzw. Konsumenten. Um den europäischen Finanzmarkt wirklich wettbewerbsfähig zu gestalten, braucht es einen großen Wurf regulatorischer Vereinfachung mit dem Ziel einheitlicher Rahmenbedingungen.

Grenzüberschreitend anbieten

Ein konkretes Beispiel für sinnvolle Anpassungen wäre die Einführung von Regelungen, die es Unternehmen ermöglichen, einmal zugelassene und in einem EU-Mitgliedstaat konforme Dienstleistungen ohne zusätzliche lokale Anforderungen grenzüberschreitend anzubieten. Die Rechtslage könnte sich dabei nach der Niederlassung des Anbieters richten, wodurch das Vertrauen in EU-ansässige Unternehmen und die einzelnen Mitgliedsstaaten gestärkt würde.

Hürden in einfachen Kategorien wie Sparprodukten

Auf Konsumentenseite führt die aktuelle Regulierung zu einer Überflutung an Produktinformationen und AGBs, wodurch Transparenz verringert wird und es Verbraucherinnen und Verbrauchern erschwert wird, fundierte Entscheidungen zu treffen. Besonders in der einfachen Kategorie der Sparprodukte zeigen sich Hürden und mangelnde Standards. Selbst wenn Harmonisierung besteht, mangelt es an Homogenität. So ist die Vollendung der Bankenunion durch die Einführung einer einheitlichen EU-Einlagensicherung (EDIS) ein Faktor, den der Binnenmarkt braucht, um zu einem echten integrierten Markt zu werden.

Deutlich wird das auch beim Wettbewerb um Einlagen: Trotz der Verbreitung von Zinsplattformen lagen 2024 nur rund 2% der deutschen Einlagen bei Banken der Eurozone außerhalb Deutschlands. Obwohl das ein verhältnismäßig hoher Anstieg ist, ist die Entwicklung (+15 Basispunkte zum Halbjahr zuvor) hier lähmend langsam.

Binnenmarkt muss vertieft werden

An der Tiefe des gemeinsamen Binnenmarkts zu arbeiten ist unbedingt notwendig, denn solange Unternehmen ihr Angebot in 27 Einzelstaaten etablieren müssen, ist die Rede von Konkurrenz, in der die EU zu China und den USA steht, kein ehrlicher Anspruch.

Regulierung produziert Kosten

Im Konkreten sind es für Banken Gesetze wie der Digital Operational Resilience Act, das Geldwäscherecht, Umweltreportings, das Bankaufsichtsrecht und das extensive Datenschutzrecht, die kleineren Banken unverhältnismäßige Anstrengungen auferlegen. Diese Institute sind oft nicht in der Lage, die umfangreichen technischen und regulatorischen Anforderungen zu erfüllen, ohne unverhältnismäßig hohe Kosten und personellen Aufwand zu tragen. So wird der Wettbewerb zugunsten großer Institute verzerrt. Diese Belastung kann die Wettbewerbsfähigkeit erheblich beeinträchtigen und das Risiko von Marktkonsolidierungen erhöhen, wodurch die Vielfalt und die Auswahl an Bankdienstleistungen für Verbraucherinnen und Verbraucher verringert wird.

Gezielte Reform angehen

In den kommenden Jahren eröffnen sich viele Chancen für die EU-Finanzindustrie, sich in einer zunehmend digitalen Weltwirtschaft zu behaupten. Technologischer Fortschritt, veränderte Verbrauchererwartungen und die Nachfrage nach flexiblen, länderübergreifenden Lösungen sind starke Treiber für einen gemeinsamen europäischen Finanzmarkt.

Eine gezielte Reform der EU-Regulierung – mit einem Bekenntnis zum einheitlichen Binnenmarkt – wäre der notwendige Schritt, um den europäischen Finanzmarkt wettbewerbsfähig und zukunftssicher zu gestalten.

Tamaz Georgadze

Gründer und
CEO von Raisin.

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