Londons Corona-Regeln

Die City, die nicht schlafen will

In der City of London sucht man nach Wegen, um die neuen Corona-Restriktionen zu umgehen. Vieles lässt sich eben doch nicht vom heimischen Küchentisch aus erledigen.

Die City, die nicht schlafen will

Von Andreas Hippin, London

Viele große Banken haben nicht vor, ihre Büros in London zu schließen, obwohl Premierminister Boris Johnson dazu aufgefordert hat, „wenn möglich“ ab Montag von zu Hause aus zu arbeiten. Kanzleien erhalten unzählige Anfragen von Firmen, die wissen wollen, wie sie die neuen Regeln zur Eindämmung der Sars-CoV-2-Variante Omikron umgehen können. Verbände wollen von Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng wissen, wie lange die Restriktionen dieses Mal aufrechterhalten werden sollen. Anfang des Jahres hatte ein komplexes mehrstufiges System von lokalen Ausgangsbeschränkungen den nationalen Lockdown abgelöst, bis Johnson den 19. Juli zum „Freedom Day“ erklärte.

Auch nach der Lockerung der meisten Corona-Restriktionen war die U-Bahn in die City lange Zeit leerer als vor der Pandemie. Es kostete viele Firmen große Mühe, eine nennenswerte Zahl von Angestellten zur Rückkehr in die Bürotürme zu bewegen. Goldman Sachs versüßte ihren Mitarbeitern im Sommer den Schritt mit Luxus-Eiscreme von Hackney Gelato und kostenlosen Mahlzeiten.

Entgangener Nutzen

Die City, die nie schläft, will sich dieses Mal offenbar nicht widerstandslos ins Bett bringen lassen. Zu groß ist der entgangene Nutzen. Der persönliche Kontakt ist wichtig, nicht nur für Berufsanfänger, die ihre Kollegen auch einmal persönlich kennenlernen sollten. Sie müssen das Marktgeschehen im Underwriting Room der Versicherungsbörse Lloyd’s of London persönlich erleben. Zu Hause am Bildschirm fühlen sich viele abgehängt. Übernahmen und Fusionen lassen sich nur schlecht virtuell aus einer Gartenhütte im Londoner Südwesten verhandeln. Rentenhändler benötigen eine komplexe und sehr leistungsfähige IT-Infrastruktur, wie es sie nur in modernen Handelsräumen gibt.

Und Risikomanagern und der wachsenden Schar von Compliance-Anwälten wird heiß und kalt, wenn sie daran denken, was alles schiefgehen kann, wenn Mitarbeiter Kundentransaktionen am heimischen Schreibtisch abwickeln. Schließlich können sie nicht wissen, welche anderen Fenster an ihren Bildschirmen noch offen sind, oder wem sie über ihr privates Handy Textnachrichten schicken. Da trifft es sich gut, dass die jüngste Guidance der Regierung vergleichsweise schwammig daherkommt. „Wenn möglich“ bedeutet schließlich, dass geschäftskritische Meetings auch weiterhin stattfinden können, oder?

Dass Johnson die Menschen ermutigte, an Weihnachtsfeiern teilzunehmen, blieb nicht unbeachtet. Schließlich wird ihm sogar von Abgeordneten seiner Partei vorgeworfen, „Plan B“ nur aktiviert zu haben, um von möglichen Verstößen gegen die Corona-Regeln in der Downing Street im vergangenen Jahr abzulenken. Weihnachtsfeiern wird es in der City nicht viele geben. Zahlreiche Banken und Broker sagten ihre Events bereits ab. Konferenzen wurden bereits bis ins kommende Jahr hinein storniert.

Das Ausbleiben der Mitarbeiter der Finanzbranche ist fatal für das Gastgewerbe, das in der Square Mile gerade zur Erholung angesetzt hatte. Doch anders als beim letzten Mal haben die betroffenen Firmen keine Möglichkeit, ihre Belegschaft in Kurzarbeit zu schicken oder Hilfskredite in Anspruch zu nehmen. Entsprechend laut sind die Rufe nach erneuten Staatshilfen. Vor sinkenden Berufspendlerzahlen wird unvermeidlicherweise auch Transport for London getroffen. Denn anders als vergleichbare Nahverkehrsunternehmen in Paris oder New York, wo lediglich gut ein Drittel der Kosten durch Beförderungsentgelte bestritten werden muss, liegt dieser Anteil in London doppelt so hoch.

Und so mögen viele Firmen der Finanzbranche ihre Gebäude für dringende Meetings offenhalten oder Mitarbeitern in bestimmten Fällen die Arbeit aus dem Büro ermöglichen. Das wird aber den wirtschaftlichen Schaden kaum abfedern, der London durch „Plan B“ entsteht.

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