ESG-Serie

Die Eidgenossen probieren es mit eigenem Label

Die Schweiz will ein eigenes Gütesiegel für klimaverträgliche Finanzanlagen schaffen. Damit gehen die Eidgenossen den industriepolitischen Grundsatzdiskussionen aus dem Weg, wie sie das EU-Klassifizierungssystem provoziert hat.

Die Eidgenossen probieren es mit eigenem Label

Von Daniel Zulauf, Zürich

Die Schweiz will ein eigenes Gütesiegel für klimaverträgliche Finanzanlagen schaffen. Damit gehen die Eidgenossen den industriepolitischen Grundsatzdiskussionen aus dem Weg, wie sie das EU-Klassifizierungssystem und insbesondere die EU-Kom­mission mit der Aufnahme von Atomstrom und Energie aus Gaskraftwerken in die Taxonomie gerade provoziert hat.

Während die EU-Regulierung für das Europa-Geschäft der international ausgerichteten Schweizer Fi­nanzdienstleister selbstredend maßgebend ist, orientiert sich das Land beim eigenen Regulierungsansatz eng an den Empfehlungen des Regulierungsarmes der G20-Länder (FSB Task-Force for Climate-Related Financial Disclosures, TFCD). „Das Momentum liegt derzeit klar bei dem globalen, auf Freiwilligkeit basierenden Referenzrahmen des TFCD und den Netto-null-Allianzen“, sagt Hans-Ruedi Mosberger, der für die Schweizerische Bankiervereinigung das Nachhaltigkeitsthema verantwortet. Ein weltweit verbindliches Regelwerk ist ganz im Sinne kleiner, offener Volkswirtschaften wie der Schweiz. Im Nachhaltigkeitsthema hat die Regierung zusammen mit der Finanzbranche eine Chance identifiziert, die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes zu stärken. „Der Weg zum Ziel ist eine rasche und glaubwürdige Umsetzung der klimabezogenen Offenlegungsstandards gemäß TCFD“, sagt Mosberger.

Dementsprechend unterstützen die Schweizer Banken und Vermögensverwalter die recht ehrgeizig anmutenden Pläne des Finanzministeriums, mit denen das Land ein Gütesiegel oder Klima Score für die Klimaverträglichkeit von Finanzanlagen schaffen will. Dieses soll Anlegern Auskunft darüber geben, inwieweit ihre Investitionen mit dem Ziel des Pariser Klimagipfels in Einklang steht, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Hinter dem impliziten Temperaturanstieg, wie ihn unter anderen auch der Indexanbieter MSCI seit November für weltweit fast 3000 Unternehmen anzeigt, stehen aber komplexe Berechnungen, die zudem auf vielfältigen, zukunftsgerichteten Annahmen basieren. Außerdem stellt das System auf den Versprechungen der Firmen zum Zeitplan des CO2-Ausstieges ab.

So können unterschiedliche Berechnungsmethoden zu großen Differenzen in den Ergebnissen führen. Das Schweizer Finanzministerium will diesem Problem mit Hilfe einer Zertifizierung vergleichbarer Berechnungsmethoden beikommen. Peter Zollinger, Leiter Impact Research bei der auf nachhaltige Anlagen spezialisierten Zürcher Globalance Bank, findet den Schweizer Ansatz mutig. „Ich glaube nicht an die absolute Genauigkeit von Modellen und ziehe pragmatische Ansätze wie den alle Investitionen umfassenden impliziten Temperaturanstieg den technokratischen Taxonomie-Bestrebungen vor“, sagt der Banker, der am Runden Tisch des Bundes zur Entwicklung des Klima-Benotungssystems mitwirkt. Das System soll nach Maßgabe des für das Projekt zuständigen Staatssekretariates für Internationale Finanzfragen noch 2022 zur Anwendungsreife gebracht werden. Manche Beobachter halten den Zeitplan angesichts der Komplexität des Vorhabens für allzu ehrgeizig. Das Tempo sei aber ein entscheidender Faktor, um den angestrebten Wettbewerbsvorteil für den Finanzplatz zu erlangen, gibt Mosberger zu bedenken.

Bei dem Ziel hoffen die Schweizer auch auf eine rasche Anerkennung des eigenen „Climate Scores“ durch den Londoner Finanzplatz. Seit dem Brexit befinden sich die beiden Finanzplätze auf einem Kurs der gegenseitigen Annäherung. Die Länder planen den Abschluss eines umfassenden Dienstleistungsabkommens in nützlicher Frist.

Derweil forciert die Schweizer Regierung auch die Schaffung verbindlicher Regeln über die Klimaberichterstattung von großen inländischen Unternehmen. Eine entsprechende Vorlage soll bereits im April in die öffentliche Anhörung gehen. Angesprochen sind Unternehmen ab 500 Beschäftigten, welche im Einklang mit dem Vorgehen der EU die Risiken klimarelevanter Tätigkeiten sowohl für die eigene finanzielle Situation als auch für die Umwelt bzw. für das Klima darstellen sollen. Die Regierung orientiert sich dabei auch am eigenen Gegenvorschlag, den das Parlament als Gegenvorschlag zu der im Herbst 2020 vom Schweizer Stimmvolk nur knapp verworfenen Konzernverantwortungsinitiative aufgesetzt hatte.

Das vom Schweizer Volk im vergangenen Jahr ebenfalls verworfene CO2-Gesetz war dagegen ein Rückschlag auf dem Weg der Schweiz zu einem globalen Hub für nachhaltige Finanzanlagen. Umso stärker versucht die Regierung die Branche nun zur Eigeninitiative anzustiften. Der rasche Beitritt von Finanzdienstleistern zu globalen „Netto-null-Allianzen“, in denen sich die Mitglieder auf die Einhaltung verbindlicher Ziele verpflichten, ist denn auch ein erklärtes politisches Ziel.

Zuletzt erschienen:

Frankreichs ambivalente Rolle (3. Februar)