Bundesbank-Konferenz

Digitalisierung als Game­changer? Von wegen!

Auf einer Bundesbank-Konferenz zur Digitalisierung klammern sich EU-Kommission, Aufsicht und Industrie an altbekannte Spielregeln: Sie wollen vor allem ihre Position gestärkt sehen.

Digitalisierung als Game­changer? Von wegen!

Von Jan Schrader, Frankfurt

Am üblichen Rollenspiel ändert die Digitalisierung nichts: Die Industrie klagt über Regulierung, die EU fordert einheitliche Regeln für Europa, die EZB will in der Bankenaufsicht den Ton angeben – und alle wünschen sich eine starke europäische Industrie. „Digitalisierung als ‚Gamechanger‘“ lautete der Titel der Fachtagung, zu der die Hochschule der Bundesbank am Freitag nach Frankfurt einlud. Die Digitalisierung stelle vieles auf den Kopf, lautet die Botschaft. Doch ihre Rolle nehmen die Akteure nach alten Spielregeln wahr.

Und so klagt die Fintech-Branche über das Zulassungsverfahren. Eine Lizenz bei der BaFin sei nur schwer zu bekommen, viele junge Fintechs orientierten sich zunächst im Ausland, wie Kevin Hackl vom Branchenverband Bitkom warnt. Die Zuhörerschaft foppt er mit einem erfundenen Beispiel: Die junge Gründerin des Fintechs „Compayon“, das Zahlungsdienste für mittelständische Unternehmen anbiete, starte das Geschäft zunächst lieber mit einer Lizenz im EU-Ausland, weil die Zulassung bei der BaFin so schwer zu erlangen sei. „Wir können es uns nicht leisten, wenn sich Talente überlegen, nicht in Deutschland zu gründen“, erklärt der Bereichsleiter für digitales Bank- und Finanzwesen. Die Geschichte von „Compayon“ habe er sich ausgedacht, schiebt er nach, doch das fiktive Beispiel sei realistisch. Wäre doch schön, wenn die Lizenz so einfach abliefe wie im digitalaffinen Litauen, lobt er. Dort behandele die Aufsicht die Start-ups wie Kunden.

Die EU wiederum wünscht sich einheitliche europäische Regeln, auf die sich freilich auch die Mitgliedsländer einlassen sollten. „Viele der digitalen Geschäftsmodelle sind nur erfolgreich, wenn sie hinreichend skaliert werden“, sagt Jan Ceyssens, Leiter der Digital Finance Unit der EU-Kommission. Ein fragmentierter Markt aber stehe dem Fortschritt im Weg. So sei es ein Nachteil, wenn sich Kunden je nach nationalem Regelwerk mal per Video, mal per Foto und mal per digitalen Personalausweis identifizieren müssten. Auch solle es keine „regulatorische Arbitrage“ geben, also die Möglichkeit, eine zu lasche Regulierung in bestimmten Ländern gezielt auszunutzen. Er foppt zurück: Litauen sei heute im Umgang mit Fintechs vorsichtiger geworden, sagte er an den Bitkom-Lobbyisten Hackl gerichtet.

Die EZB-Bankenaufsicht wiederum präsentiert sich als Meisterin der Daten. Es ergebe wenig Sinn, getrennte „lokale Datenpools“ – gemeint sind die Systeme der nationalen Notenbanken und Finanzaufseher – zu unterhalten, sagt Daniela Schackis, stellvertretene Generaldirektorin der EZB-Bankenaufsicht. Es gehe darum, die Informationen zu vereinheitlichen und zu nutzen. Die Aufsicht müsse digitale Projekte in möglichst vielen Bereichen umsetzen, um ernst genommen zu werden.

Bye-bye, Bankfiliale

Ein Vertreter der Kreditwirtschaft steht an diesem Vormittag nicht auf dem Podium. Und so widerspricht niemand, während die Teilnehmer die Zukunft der Bankfiliale schwarzmalen. Die junge Generation sei nicht mehr darauf angewiesen. „Für Kinder ist eine Bank im Smartphone und kein Gebäude mehr“, sagt der Bitkom-Vertreter Hackl. „Ich denke, dass in Zukunft die Menschen nicht in eine Filiale gehen werden“, sagt EZB-Vertreterin Schackis. Andere Branchen habe es schon zuvor erwischt, etwa Reisebüros.

Zugleich sind sich die Referenten einig, dass die europäische Industrie stärker sein müsse. EZB-Verantwortliche Schackis und EU-Kommissions-Vertreter Ceyssens bedauern, dass es keinen großen Cloud-Anbieter in Europa gebe und die Finanzindustrie auf US-amerikanische Häuser angewiesen sei. So nutze die EZB das Angebot von Amazon, sagt Schackis, es gehe eben nicht anders. Auch US-Häuser haben freilich ihre Berechtigung, solange sie sich europäischen Regeln unterwerfen, wie Ceyssens einschränkt. Auch er wünscht sich aber europäische Spieler. Und Alexandra Hachmeister, Bundesbank-Leiterin für Bildung und Zentralbankdialog, hebt das Projekt eines digitalen Euro auch als Chance für mehr europäische Souveränität im Wettbewerb mit den Global Playern im Zahlungsverkehr hervor.

Bitkom-Mann Hackl blickt derweil neidvoll auf die Fintech-Bewertungen in zweistelliger Milliardenhöhe in den USA, die in Deutschland noch nicht erreicht worden seien. Immerhin erzielten Adressen wie N26, Wefox und Mambu ein einstelliges Milliardengewicht, wie er ausführte. Und dann lobt er doch noch das Zulassungsverfahren der deutschen Finanzaufsicht. Die N26-Gründer Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal haben sich demnach bewusst für eine Banklizenz in Deutschland entschieden, weil sie auf diese Weise als seriöses Adresse wahrgenommen werden, wie er berichtet. BaFin-Vertreter hören das Lob aus der Industrie sicher gern.

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