Kreditwirtschaft

Drohende Rezession trifft Banken mit Verzögerung

Viele Geldhäuser gehen mit breiter Brust in die drohende Wirtschaftskrise. In einer neuen Serie geht die Börsen-Zeitung der Frage nach, wie es um die Stabilität der globalen Bankensysteme bestellt ist.

Drohende Rezession trifft Banken mit Verzögerung

Von Anna Sleegers, Frankfurt

Krise? Welche Krise? Das Spektrum der Themen, die Risikomanager der Banken in diesen Tagen um den Schlaf bringen können, ist breit. Neben dem massiven Anstieg der Inflation, die von den Notenbanken weltweit mit unterschiedlicher Vehemenz be­kämpft wird, belasten die anhaltenden Lieferkettenprobleme und der zunehmende Fachkräftemangel ihre Firmenkunden, vom Damoklesschwert eines Stopps der russischen Gaslieferungen mal ganz abgesehen. Zugleich mehren sich die Anzeichen, dass der dank der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) seit mehr als einem Jahrzehnt anhaltende Immobilienboom zu einem abrupten Ende kommen könnte. „In meinen 30 Jahren im Banking habe ich eine so unschöne Konstellation noch nie erlebt“, sagte Lutz Diederichs, Deutschland-Chef von BNP Paribas kürzlich.

Trotzdem konstatierte Andrea Enria, Chef der bei der EZB angesiedelten Bankenaufsichtsbehörde, auf einer Veranstaltung der österreichischen Finanzmarktaufsicht vor einigen Tagen eine „gewisse Zurückhaltung“ aufseiten der Banken, sich ernsthaft auf eine Diskussion über die Downside-Risiken der aktuellen makroökonomischen Aussichten einzulassen. Diese Zurückhaltung ist nachvollziehbar angesichts der überraschend starken Ergebnisse, mit denen die europäische Kreditwirtschaft das erste Halbjahr abgeschlossen hat – wohlgemerkt noch ohne den Rückenwind der zwischenzeitlich eingeleiteten Zinswende, die den Instituten in der zweiten Jahreshälfte vermutlich weiteren Auftrieb geben wird.

Gleichwohl stellt sich die Frage, wie lange die hiesigen Institute noch umhinkommen, die Risikovorsorge hochzufahren, wenn die Rezession immer lauter an die Türen klopft. Das haben die Korrespondentinnen und Korrespondenten der Börsen-Zeitung zum Anlass genommen, der Frage nachzugehen, wie gut die internationalen Bankensysteme in den USA, in Europa und Asien gerüstet sind für die aufziehende globale Krise, die nicht jedes Land auf dieselbe Weise treffen wird, aber keines unberührt lassen dürfte.

Der Sturm, der sich zusammenbraut, ist anderer Natur als die beiden letzten globalen Schocks. Anders als in der großen Finanzkrise 2008/09 sind die Banken nicht die Verursacher der Verwerfungen. Sie werden jedoch ihre Folgen zu spüren bekommen, auch weil die Notenbanken anders als damals und auch im Gegensatz zur Corona-Pandemie, deren Ausbruch vor zweieinhalb Jahren die internationalen Aufseher alarmierte, wegen der galoppierenden Inflation nur über begrenzte Möglichkeiten verfügen, die Konjunktur am Laufen zu halten. Wie Bankenaufseher Enria in seiner Rede hervorhob, ist der Anteil der faulen Kredite in den Portfolios der europäischen Banken bereits im zweiten Quartal auf fast 10% gestiegen. Das könne, so Enria weiter, einen Vorgeschmack auf die noch bevorstehenden wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs darstellen.

Gleichwohl sehen sich etwa die Commerzbank oder die Deutsche Bank bislang nicht bemüßigt, weitere Mittel für künftige Kreditausfälle zurückzustellen. Auch hier dürfte die vergleichsweise rosige Ausgangssituation gepaart mit der Aussicht auf steigende Zinserträge den Ausschlag für die allgemeine Gelassenheit geben. Wie aus dem jüngsten Monatsbericht der Bundesbank hervorgeht, fuhren Banken und Sparkassen im ersten Halbjahr dank einer mehr als halbierten Risikovorsorge von 7,0 Mrd. Euro im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg der Gewinne von 14,3 Mrd. Euro auf 27,1 Mrd. Euro ein.

Dickes Ende kommt erst noch

Trotz der nachvollziehbaren Freude über die bevorstehenden Zinseinnahmen ist den deutschen Bankmanagern klar, dass die Party nicht ewig weitergehen wird. So sagte etwa der nicht gerade als Pessimist verschriene Vorstandschef von ING Deutschland, Nick Jue, kürzlich auf einer Branchenkonferenz in Frankfurt, dass aktuell noch kein Anstieg der Ausfälle im Kreditgeschäft festzustellen sei, doch:  „Der Schmerz wird vielleicht etwas später kommen, bei der Risikovorsorge.“

Auch der Verband der deutschen Pfandbriefbanken (VDP) stellt sich aufgrund der Gemengelage aus steigenden Zinsen, steigender Inflation und makroökonomischer Unsicherheit auf einen Dämpfer ein: Erstmals seit 2009 könne es zu einem rückläufigen Finanzierungsvolumen für Wohnimmobilien kommen. Mit einem Anstieg der Kreditausfälle rechnen die meisten Banken indes erst im kommenden Jahr. Der Peak werde 2023/2024 erreicht werden, sagte etwa Helaba-Chef Thomas Groß kürzlich. Auch von der Deutschen Bank und aus dem Sparkassenlager ist zu hören, dass im kommenden Jahr die Risikovorsorge wohl wieder steigen wird.

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