Nachhaltigkeit

Eigenkapitalerleich­terungen bei grünen Krediten nötig

Europa muss das Thema Klimaschutz angehen. Der Finanzsektor bietet einfache aber effiziente Möglichkeiten dafür.

Eigenkapitalerleich­terungen bei grünen Krediten nötig

Was für ein Paukenschlag: Mangelnde Ambitionen beim Klimaschutz verletzen die Freiheitsrechte gerade von jungen Menschen, so hat es das Bundesverfassungsgericht Ende April in einem bemerkenswerten Urteil herausgestellt. Und in der Tat: Je mehr Zeit vergeht, ohne dass die richtigen Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel getroffen werden, desto heftiger werden die Konsequenzen ausfallen. Desto stärker werden wir gegensteuern müssen. In Fachkreisen wird das „disorderly transition“ genannt – ein Szenario, in dem die Politik sehr schnell sehr drastische Maßnahmen ergreift. Jüngstes Beispiel hierfür ist die Bekämpfung der Corona-Pandemie.

So weit soll es nicht kommen. Vielmehr sollte die Transformation der Wirtschaft in Richtung Treibhausgasneutralität zwar schnell, aber nicht überstürzt stattfinden. Die Klimaschutzziele sind richtig, klar und ambitioniert: Die EU will ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55% senken und 2050 netto keine Treibhausgase mehr emittieren. Das geht nur mit und nicht gegen die Unternehmen. Und dafür muss die Wirtschaft nachhaltig umgebaut werden. Eine gigantische Aufgabe, für die immense Finanzierungsmittel benötigt werden. Allein in dieser Dekade will die EU Investitionen in Höhe von 1 Bill. Euro mobilisieren. Je nach Schätzung werden pro Jahr zusätzliche Finanzierungen von 260 bis zu 350 Mrd. Euro benötigt. Anders als in den USA ist der überwiegende Teil der Wirtschaft in Europa über Kredite finanziert – die Banken haben hier einen Riesen-Hebel in der Hand. Mehr Klimaschutz geht also nur mit den Banken.

Green Asset Ratio

Aber nicht nur Banken wollen ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, auch Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden sind aktiv und forcieren die nachhaltige Ausrichtung der Portfolien. Verstärkte Transparenzpflichten sollen aufzeigen, welche Strategien Banken zukünftig verfolgen, um mit Nachhaltigkeitsrisiken umzugehen. Künftig müssen Banken den Anteil taxonomiekonformer Assets veröffentlichen (Green Asset Ratio, GAR). Dabei könnte insbesondere die GAR zu einem Game-Changer werden, denn im Peer-Vergleich will keine Bank schlecht dastehen. Gesetzgebung und Regulatorik sprechen damit eine deutliche Sprache: Banken müssen viel stärker als bisher nachhaltige Finanzierungen bereitstellen, die sich dann auch in ihren Portfolien widerspiegeln.

Für die Wirtschaft heißt Transformation zusätzlicher Aufwand, sie muss Produkte, Produktionsprozesse und betriebliche Organisation anpassen. Kostenlos wird es den Wandel nicht geben. All das verringert erstmal die Profitabilität eines Unternehmens. Zudem wirkt es sich kurzfristig negativ auf den Unternehmenserfolg aus, da diese Aufwände für den Klimaschutz bilanziell oft nicht aktiviert werden können. Und der Erfolg der Investitionen wird sich erst zu einem späteren Zeitpunkt realisieren. Insofern haben Unternehmen, die sich nachhaltiger aufstellen, strukturell zunächst den Nachteil, geringere Gewinnmargen auszuweisen.

Bieten Banken nachhaltige Produkte an, gehen damit oft höhere regulatorische sowie administrative Anforderungen und somit höhere Kosten einher. Dabei erwarten Kunden konkurrenzfähige Kreditzinsen auch bei nachhaltigen Produkten. Höhere Kosten und Zinsabschläge tragen Banken derzeit selbst, zulasten der Marge. Innerhalb einer Bank besteht ferner Wettbewerb um das knappe Gut Kapital. Es wird genau geschaut, welche Finanzierungen sich am besten rechnen – unter Berücksichtigung der Eigenkapital- und Risikokosten.

Kapital freisetzen

Was also tun? Eine einfache, aber sehr effektive Lösung sieht aus unserer Sicht so aus: Die Politik setzt positive Anreize sowohl bei den Unternehmen als auch im Finanzmarkt, um schnell mehr Kapital in den Umbau der Wirtschaft zu lenken. Zum Beispiel könnte sie Kredite, die der Finanzierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten dienen, aufsichtlich privilegieren und entsprechende „grüne Eigenkapitalerleichterungen“ einführen. Im Aufsichtsrecht sollten dafür die Risikogewichte für derartige Finanzierungen im Kreditrisikostandardansatz pauschal reduziert werden.

Was würde damit erreicht? Kapitalkosten stellen einen wesentlichen Bestandteil der Kosten eines Kredites dar. Je höher die aufsichtlichen Eigenkapitalanforderungen, desto höher der Kreditzins. Niedrigere Eigenkapitalanforderungen erhöhen somit die Profitabilität von nachhaltigen Investitionen und sie gleichen die strukturellen Nachteile für Unternehmen aus, die sich gerade in der grünen Umbauphase befinden. Sie wirken aber auch in die Banken hinein und lenken den Fokus im internen Wettbewerb um Kapital auf nachhaltige Finanzierungen. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Durch die Privilegierung nachhaltiger Finanzierungen könnten die Folgen von Basel IV wirksam abgefedert werden. Vor allem aber würde Kapital freigesetzt, das dringend für den Umbau der Wirtschaft benötigt wird.

In Europa sind aktuell Kredite in Höhe von ca. 4,7 Bill. Euro an Unternehmen vergeben. Die europäische Aufsichtsbehörde EBA geht auf Basis ihrer Sensitivitätsanalyse davon aus, dass mehr als die Hälfte der Forderungen an Unternehmen klimarelevant sind, also Branchen mit hohen CO2-Emissionen betreffen. Der Bedarf an Transformation ist also hoch. Senkt man unter Anwendung der Basel-IV-Regeln die Risikogewichte für Unternehmen und KMUs um 20%, könnte nach unseren Berechnungen Potenzial für zusätzliche Kredite in Höhe von ca. 200 Mrd. Euro geschaffen werden. Und zwar selbst dann, wenn nur 20% der Kredite die Kriterien der EU-Taxonomie erfüllen.

Natürlich ruft die Forderung nach Eigenkapitalerleichterungen Mahner auf den Plan: Das Aufsichtsrecht dürfe nicht für politische Zwecke genutzt werden, die Eigenkapitalregeln müssten sich streng am ökonomischen Risiko orientieren. Am Ende drohe eine grüne Blase. Sind die Bedenken gerechtfertigt? Eher nein.

Um aufsichtsrechtlich einzusteigen: Zunächst einmal würde die Privilegierung nur im Kreditrisikostandardansatz greifen. Dieser ist im Gegensatz zu den Modellansätzen weitaus weniger risikosensitiv. Zum anderen bleiben die Kreditvergabestandards in den Banken unverändert hoch. Auch werden über die interne Risikosteuerung die Kreditrisiken weiterhin individuell und sorgfältig bewertet. Last but not least: Gesetzgeber und Regulatoren trimmen die Finanzwirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit – auch um ESG-Risiken zu mindern­ – das verdeutlicht die EU-Kom­mission auch mit ihrer neuen Sustainable-Finance-Strategie. Schlussendlich ist die Forderung nach Eigenkapitalerleichterungen auch unter Risikogesichtspunkten gerechtfertigt: Denn die ESG-Risiken dürften bei diesen Finanzierungen wesentlich geringer ausfallen.

Dass das Aufsichtsrecht schon heute nicht frei von politischen Zielen ist, zeigt sich zudem an den Privilegierungen für KMU- und Infrastrukturfinanzierungen. Spielraum ist vorhanden, der Wille, ihn zu nutzen und Veränderungen aktiv zu forcieren, muss allerdings auch da sein. Europas Weg beim Klimaschutz führt über den Finanzsektor. Niedrigere Eigenkapitalanforderungen als Stimulus für nachhaltige Finanzierungen wären da nur konsequent.