Taxonomie

Erneuter EU-Streit über Nachhaltigkeit von Atomkraft

Der Streit ist nicht neu, aber noch immer ungelöst: Soll die Atomkraft von der EU ein Nachhaltigkeitssiegel erhalten? Aus fünf Ländern – einschließlich Deutschland – erhielt die EU-Kommission jetzt einen Brandbrief.

Erneuter EU-Streit über Nachhaltigkeit von Atomkraft

ahe Brüssel

Die mögliche Einstufung der Atomenergie als „nachhaltig“ sorgt in der EU erneut für Diskussionen. In einem Brandbrief an die Europäische Kommission warnten jetzt Bundesumweltministerin Svenja Schulze sowie ihre Ministerkollegen aus Österreich, Dänemark, Luxemburg und Spanien vor schwerwiegenden Folgen einer solchen Einstufung für das Klassifizierungssystem für nachhaltige Investitionen (Taxonomie), das in Europa derzeit aufgebaut wird. „Wir erkennen das souveräne Recht der Mitgliedstaaten an, sich als Teil ihrer nationalen Energiesysteme für oder gegen Atomkraft zu entscheiden“, heißt es in dem Schreiben. „Wir befürchten jedoch, dass die Einbeziehung der Kernenergie in die Taxonomie ihre Integrität, Glaubwürdigkeit und damit ihre Nützlichkeit dauerhaft beeinträchtigen würde.“

Viele Sparer und Anleger würden das Vertrauen in als „nachhaltig“ vermarktete Finanzprodukte verlieren, wenn sie befürchten müssten, mit dem Kauf dieser Produkte Aktivitäten im Bereich der Kernenergie zu finanzieren, warnten die Minister. Hintergrund des Briefes ist unter anderem ein Gutachten des Joint Research Centre (JRC) für die Kommission, das zu dem Ergebnis gekommen war, dass Atomkraft trotz des ungelösten Atommüllproblems die Nachhaltigkeitsziele der EU nicht signifikant beeinträchtigt. Die EU-Kommission will im vierten Quartal entscheiden, wie bei der Ausgestaltung der Taxonomie mit dem Streitthema Kernenergie umgegangen wird.

Sven Giegold, der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, bezeichnete eine mögliches Nachhaltigkeitslabel für Atomenergie als „grotesk“. Die EU-Kommission dürfe sich ihre Pläne nicht länger von der Atomlobby und deren Verbündeten im Elysée-Palast diktieren lassen, monierte er.

Dem JRC wird eine Nähe zur Atomindustrie nachgesagt. Die Minister sprachen in ihrem Brief an Brüssel von „schwerwiegenden methodischen Mängeln“ im JRC-Bericht. Die bei der EU-Kommission angesiedelte Expertengruppe Scientific Committee on Health, Environmental and Emerging Risks hatte das JRC-Gutachten in der letzten Woche ebenfalls als in Teilen vereinfachend und unvollständig kritisiert. Giegold betonte, die Kommission dürfe dies nicht einfach vom Tisch wischen.

In ihrem Brief an Brüssel verweisen unterdessen die Minister aus den fünf Ländern darauf, dass erst kürzlich auch mehrere renommierte institutionelle Investoren sich gegen die Einbeziehung der Atomkraft in die Taxonomie ausgesprochen hätten. „Diese Marktstimmen sollten gehört werden“, hieß es.