Vom Sekundär- zum Primärmarkt

Fintechs vor Börsenfrühling

Fintechs drängen wieder an die Börse. Vor allem aus den Sektoren Payment und Neobanken stehen Kandidaten bereit. Klarna könnte als Eisbrecher fungieren.

Fintechs vor Börsenfrühling

Finanz-Start-ups stehen vor Börsenfrühling

Interesse aus dem Sekundärmarkt ein gutes Omen – Klarna und Ebury könnten die Eisbrecher-Transaktionen werden – Dünne Pipeline in Deutschland

Von Björn Godenrath, Frankfurt
Von Björn Godenrath, Frankfurt

Nach der langen Flaute drängen im kommenden Jahr wieder einige Fintechs an die Börse. Funktioniert die Eisbrecher-Transaktion, motiviert das weitere Aspiranten. Für die Start-ups kommt es beim IPO zum Lackmustest: Können sie ihre Bewertungen aus Funding-Runden und dem Sekundärmarkt bestätigen?

Kaum eine zweite Branche hat das Auf und Nieder der Kapitalmarktzyklen so intensiv erlebt wie die Fintechs. Von Euphorie über die gigantischen Möglichkeiten eines Digital Banking getrieben, erreichten Start-ups wie Adyen, N26 und Stripe hohe Bewertungen – und zogen in ihrem Fahrwasser auch Nachahmer mit. Das Geld wurde den Fintechs quasi hinterhergeworfen. Das änderte sich abrupt, als inmitten der Turbulenzen der japanischen Softbank-Gruppe die Blase platzte und der Ausweg Börse verbarrikadiert war.

Secondaries für Mitarbeiter und Gründeranteile

Seitdem ist Funding- und IPO-Flaute angesagt. Viele Fintechs konnten aber den Kopf über Wasser halten und setzten die Skalierung mit verbessertem Kostenmanagement fort. Die Altaktionäre, also Gründer, Mitarbeiter und Wagniskapitalgeber, konnten Kapital oft nur noch zu geringerer Bewertung des Unternehmens einwerben, was zu einer viel zu hohen Verwässerung geführt hätte.

Doch Stück für Stück öffnete sich zumindest für Umplatzierungen eine neuer Weg: Ab 2022 entstand ein zunehmend liquider Sekundärmarkt für Start-up-Anteile, der es den Altaktionären erlaubte, ihre Anteile schrittweise zu verkaufen, um die Zeit bis zu einem Börsengang zu überbrücken. Viele Mitarbeiter waren in den guten Zeiten bereit gewesen, zu vergleichsweise geringen Gehältern zu arbeiten, um statt dessen Aktienoptionen zu erhalten. Um die Belegschaft bei der Stange zu halten, arrangierten eigentlich längst börsenreife Giganten wie Stripe große Secondary-Transaktionen.

Auch Early Stage hat Zugang

Einer Bestandsaufnahme von Launchbay VC zufolge war Fintech Anfang 2024 der aktivste Sektor im Sekundärmarkt. Revolut, Klarna und Stripe hatten die höchsten Handelsvolumina, zusammen mit Größen wie Space X und OpenAI. Selbst Tech-Start-ups aus Early-Stage wie Stability AI, Copper und Vanta ließen sich auf Secondaries-Plattformen listen. Denn es ist elementar, dass Investoren in allen Funding-Phasen Zugang zu einem liquiden Markt haben – wofür auf der Investorenseite auch die Auflage von Secondaries-Fonds sorgte.

Revolut macht vor, wie es geht

Mit dem Sekundärmarkt haben die Fintechs ein Ventil gefunden für Exit-Bedürfnisse vor dem Primärmarkt-Listing – wenn dafür überhaupt noch Bedarf besteht. Denn wie das Beispiel Revolut zeigt, ist der Pre-IPO-Prozess gar nicht so unähnlich zum IPO: Die britische Neobank hatte Morgan Stanley als Investmentbank für die Transaktion engagiert – und die holte mit Coatue, D1 Capital Partners und Tiger Global große Venture-Fonds heran, die bereit waren, zu einer Bewertung von 45 Mrd. Dollar zu zeichnen. Allerdings ist bei Private-Market-Transaktionen unklar, ob es in Klauseln Nebenabsprachen gibt wie Liquiditätspräferenzen, die es den Investoren leichter machen, zu hohen Bewertungen zu zeichnen.

Revolut kann jedenfalls eine steigende Bewertung zeigen, denn im Jahr 2021 wurde die Neobank noch mit 33 Mrd. Dollar bewertet. Die Briten haben mittlerweile ihre (vorläufige) Banklizenz im Heimatmarkt erhalten und zeigen ein gutes Umsatzwachstum und einen satten Vorsteuergewinn. Ein Listing könnte im kommenden Jahr Thema sei, aber die Neobank ist in einer komfortablen Position und muss sich nicht drängen lassen.

Klarna will es wissen

Deutlicher ist Klarna für einen Börsengang im Frühjahr 2025 positioniert. CEO Sebastian Siemiakowski hat die Firma als Pionier mit KI-Funktionen auf der Kostenseite verschlankt und sich im Frühherbst gegen eine organisierte Secondaries-Runde entschieden – wobei Goldman Sachs schon mandatiert gewesen sein soll, eine Runde zu einer Bewertung von mindestens 10 Mrd. Dollar arrangieren.

Es finden aber ständig Secondary-Transaktionen auf verschiedenen Plattformen wie Carta, Caplight und Equitybee statt. Dass sich Klarna frei fühlt, auf eine große Sekundärmarktrunde zu verzichten, dürfte als Zeichen des Selbstbewusstseins gedeutet werden. Ein Going Public findet voraussichtlich am Londoner oder New Yorker Markt statt.

30 Namen auf der Liste

In der europäischen IPO-Pipeline befinden sich laut der Investmentbank Drake Star zufolge knapp 30 Kandidaten, wobei nur für die wenigsten (neben Klarna und Revolut) konkrete Schritte absehbar sind. Einige Namen sind aber fix: So hat die Santander-Tochter Ebury schon ihre „intention to float“ für das kommende Jahr bekundet. Goldman Sachs ist für die Transaktion bereits mandatiert und hat die indikative Bewertung auf rund 2 Mrd. Pfund taxiert.

Es ist gut vorstellbar, dass Klarna oder Ebury den Eisbrecher geben und bei einem gelungenem Listing dann sofort die nächsten an den Markt wollen. Solche Emissionen sollten Interesse auch bei gewöhnlichen Anlegern finden, was die Aufgabe für die Investmentbanken leichter macht bei der Zuteilung. Vor allem Fintechs mit Retailgeschäft dürften ziehen, haben sie doch in der Regel eine bekannte Marke – und können Kunden zu Miteigentümern machen.

IPO-Pläne hegt auch die US-Neobank Chime. Das Listing wird für 2025 angestrebt, Morgan Stanley ist mandatiert. Bei der Bewertung wird Chime aber Abstriche machen müssen: In der letzten Fundingrunde 2021 noch mit 25 Mrd. Dollar bewertet, lag die Bewertung im Sekundärmarkt zuletzt in einer Spanne von 5 bis 8 Mrd. Dollar. Eine interne Bewertung habe 16 Mrd. Dollar ergeben, so ein Investor im Januar gegenüber „Fortune“.

Neobanken haben sich gemausert

Sollte für N26 ein Börsengang auf die Agenda rücken, wären die Berliner mit der sogenannten Bewertungsschere konfrontiert. Die Berliner hatten sich im Oktober 2021 noch 900 Mill. Dollar zu einer Bewertung von 9 Mrd. Dollar gesichert. Dann drehte der Markt. Die Neobank musste an ihrer Profitabilität arbeiten und von der BaFin monierte Mängel abstellen.

Doch vor dem Hintergrund, dass Revolut eine um 33% auf 45 Mrd. Dollar gestiegene Bewertung zeigte, sollten auch die Berliner in ihre alte Bewertung reinwachsen können. Da Revolut der deutschen Neobank weit enteilt ist, darf N26 aber nicht auf dieselben Multiples hoffen wie die Briten. Eher dürfte die britische Neobank Monzo ein Maßstab sein. Das Fintech nahm im März 320 Mill. Pfund zu einer Bewertung von 3,6 Mrd. Pfund auf. Am Sekundärmarkt stand die Bewertung zuletzt bei rund 5,9 Mrd. Pfund.

Für N26 gibt es keine verlässliche Sekundärmarkt-Bewertung. Der von Altaktionär Allianz X Mitte 2023 ventilierte Exit zu einer kolportierten Bewertung von 3 Mrd. Euro fand jedenfalls nicht statt.

Vom Spac zum vollwertigen IPO-Prozess

Aus dem Krypto-Sektor sind vor allem zwei Börsenaspiranten bekannt: Als im Sekundärmarkt Tauwetter einsetzte, ging der Krypto-Händler Etoro vorweg und machte im März IPO-Pläne an der Nyse oder in London zu einer indikativen Bewertung von mehr als 3,5 Mrd. Dollar publik. Mit einem Spac-Listing waren die Israelis 2022 gescheitert. Eine Auseinandersetzung mit der SEC konnte im September beigelegt werden, nachdem sich Etoro verpflichtete, den US-Handel auf Bitcoin, Ether und Bitcoin Cash zu beschränken.

Stablecoin-Emittent Circle hatte seinen Börsenplänen im September mit Verlegung der Konzernzentrale von Boston nach New York Nachdruck verliehen. Im Januar wurden Unterlagen für ein Listing bei der SEC eingereicht, zur Jahresmitte sackte die Bewertung aber auf 5 Mrd. Dollar ab. Beim gescheiterten Spac-Listing 2022 hatte die mit Coinbase verbundene Circle eine Bewertung von 9 Mrd. Dollar angestrebt, das letzte Funding erfolgte zu 7,7 Mrd. Dollar. Circle hat zwar gegenüber der Offshore angesiedelten Tether an Boden verloren, ist aber mit der europäischen E-Money-Lizenz (Micar) gerüstet für die regulatorische Zukunft.

Der deutsche IPO-Hoffungsträger

Aus dem deutschen Fintech-Sektor wird allein Raisin ein Börsengang im kommenden Jahr zugetraut. Der Berliner Einlagenbroker ist profitabel, was derzeit als Conditio sina qua non gilt für ein Listing. Grundlage dafür war 2023 das Turbowachstum von 74% auf 57 Mrd. Euro an Assets auf der Plattform. Vor allem die US-Tochter zog Einlagen an – wobei ein funktionierendes US-Geschäft schon fast ein Alleinstellungsmerkmal von Raisin ist. Ein Listing in Frankfurt wäre wahrscheinlich – auch wenn offen ist, ob Raisin wirklich so schnell an die Börse drängt.

Neobroker brauchen noch

Die beiden Neobroker Trade Republic und Scalable Capital dürfte es hingegen frühestens ab 2026/27 an die Börse ziehen. Trade Republic ist nach Erhalt der Banklizenz und dem Hochfahren eigener Infrastruktur sowie den Problemen im Kundenservice voll auf operative Umsetzung fokussiert. Zudem muss ab Mitte 2026 der Wegfall des Rückvergütungen für vermitteltes Börsengeschäft (Payment For Order Flow) kompensiert werden, was beide Neobroker wohl über den Aufbau eigener Markt Maker anpacken werden.

Scalable soll zudem mittendrin sein bei der Beantragung einer eigenen Banklizenz. All das bindet Kapazitäten, was sich nicht mit einem IPO verträgt. Aber angesichts der Zuwächse bei Kunden- und Investmentvolumen sowie den politischen Plänen für ein Altersvorsorgedepot sollte die IPO-Story der Neobroker noch lange attraktiv sein.

Kommt das IPO-Rad wieder in Schwung, könnten aber auch strategische Käufer auf den Plan treten und Börsenkandidaten wegkaufen. Auch Private Equity hatte schon in Later-Stage-Tech investiert und könnte auf beiden Seiten tätig werden: Buy-and-Build fortsetzen oder erste Portfolio-Fintechs an die Börse bringen oder an andere PE-Fonds verkaufen. Mit sinkenden Zinsen sind solche Deals wieder einfacher zu stemmen.

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