Es ist bisher nur ein Anfang
Auf den ersten Blick sehen die Zahlen beeindruckend aus: 86% der deutschen Versicherer verfügen über eine Nachhaltigkeitsstrategie. 88% der Kapitalanlagen der Branche werden nach ESG-Kriterien gemanagt. In seinem zweiten Nachhaltigkeitsbericht feiert der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sich selbst und die Branche für die Fortschritte in Sachen Klimaschutz & Co: „Wir kommen gut voran“, attestiert die Branchenvereinigung der Assekuranz.
Ein bisschen mehr Selbstkritik wäre jedoch nicht falsch. Denn diese beiden abgefragten Punkte sollten mittlerweile Selbstverständlichkeiten sein. Der eigentliche Skandal sind die 31 Versicherer in Deutschland, die nach eigenen Angaben immer noch keine Nachhaltigkeitsstrategie haben. Dass es sich um eher kleine Anbieter handelt, die zusammen nur auf 3,5% Marktanteil kommen, macht die Sache nur etwas besser. Unternehmen, die weitere 10% des Marktes abdecken, machten keine Angaben. Es wäre wünschenswert, wenn der GDV Ross und Reiter nennen würde bzw. die Veröffentlichung der Namen für den nächsten Nachhaltigkeitsbericht in Aussicht stellen würde. Denn nur so kann gezielt Druck ausgeübt werden.
Kritisch hinterfragt werden muss auch die hohe Quote von Kapitalanlagen, bei denen die Versicherer nach eigenen Angaben Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen. Über die Qualität der ESG-Kriterien sagt das rein gar nichts aus. Wer laxe Standards ansetzt, erreicht schon, ohne irgendetwas zu tun, eine hohe Quote mit ESG-Label im Portfolio. Da bleibt im Zweifel einiges an Spielraum für grüne Schönfärberei.
Indes: Es ist ein Anfang. Ein statistischer Überblick über die Nachhaltigkeitsbemühungen der Versicherungsbranche ist ein wichtiger Beitrag zur Transparenz. Wünschenswert wäre allerdings, dass der GDV sein Zahlenwerk verfeinert und stärker differenziert. Für die Berücksichtigung von ESG-Kriterien in den Kapitalanlagen beispielsweise sollten bestimmte Mindeststandards für die gelten, die in diese Statistik aufgenommen werden wollen. Die Datenlage bleibt vorläufig auch in anderer Hinsicht ein Problem: Nur für ein Fünftel der Kapitalanlagen konnten die Versicherer ihren CO2-Fußabdruck konkret ausweisen – für den Rest fehlen Informationen.
Immerhin sehen auch unabhängige Stellen zum Teil ordentliche Nachhaltigkeitsansätze in der hiesigen Assekuranz: Die NGO Urgewald sieht die Allianz ganz vorne, was den Ausschluss der Versicherung fossiler Energien angeht. Und das ist durchaus ein gutes Zeichen, wenn der Branchenprimus, an dem sich viele orientieren, voranschreitet.