Globaler Wohlstand

Europa fällt im Wettlauf der Geldvermögen zurück

Auch künftig dürften die Geldvermögen in Deutschland und Europa steigen. Doch in anderen Weltregionen nimmt der Wohlstand schneller zu – wahrscheinlich auch in Zukunft.

Europa fällt im Wettlauf der Geldvermögen zurück

Das zurückliegende Jahr war schmerzhaft für Anleger, denn die Inflation zehrte weltweit an den realen Werten und die Börsenkurse brachen ein. Doch dürfte es sich dabei nur um einen kurzen Rücksetzer handeln, ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht. Die Zinsen ziehen allmählich an, die Kapitalmärkte werden sich früher oder später erholen, für die Inflation zeichnet sich ein Rückgang ab. Rund 167 Mrd. bis 209 Mrd. Euro werden die deutschen Haushalte im neuen Jahr anlegen, wenn eine Sparquote von 8 bis 10 % unterstellt wird und das verfügbare Einkommen aus dem Jahr 2021 ungefähr stabil bleibt. Die Voraussetzungen für Wachstum sind gut.

Schon in der Vergangenheit ging es ungeachtet etlicher Krisen langfristig bergauf. Die Geldvermögen der privaten Haushalte wuchsen laut Bundesbank seit der Jahrtausendwende um durchschnittlich 3,4% pro Jahr und stiegen somit bis Mitte des zurückliegenden Jahres um mehr als das Doppelte auf 7,5 Bill. Euro an. Inflationsbereinigt blieb unterm Strich immerhin eine Wachstumsrate von 1,7%. Die Menschen in Deutschland besitzen heute im Durchschnitt pro Kopf 89 100 Euro, nach Abzug von Schulden bleiben 64300 Euro übrig. Die Bundesbürger besitzen damit ein ähnlich hohes Geldvermögen pro Kopf wie Österreicher, Italiener und Franzosen. Sachwerte, insbesondere Immobilien, kommen noch hinzu.

Doch das Wachstum reicht nicht, um den Anteil an den globalen Vermögen zu halten. Insgesamt wuchs der Bestand an Bankeinlagen, Versicherungen und Wertpapieren anderswo in der Welt deutlich schneller als in Deutschland und Westeuropa. So macht die Allianz in ihrem jüngsten Global Wealth Report für die vergangenen zehn Jahre bis Ende 2021 gerechnet in Euro eine Wachstumsrate von 7,1% aus, während Westeuropa lediglich auf 4,6% kommt.

Zwei Triebfedern stehen hinter der Gewichtsverschiebung: erstens der Aufstieg der Schwellenländer, der die vergangenen Jahrzehnte geprägt hat und auch künftig kein Ende findet. Vor allem in China ist eine breite Mittelschicht entstanden, die Ersparnisse angehäuft haben. Und auch im übrigen Asien, in Osteuropa, Lateinamerika und perspektivisch in Afrika werden mehr Menschen den wirtschaftlichen Aufstieg wagen und erstmals etwas Geld beiseitelegen, während in den Industrieländern mehr und mehr Menschen in den Ruhestand wechseln und die Sparquote womöglich sinkt. Allerdings wächst das Geldvermögen in Schwellenländern phasenweise auch mal weniger stark als in den Industriestaaten. Das war zeitweise nach dem Jahr 2016 der Fall.

Die zweite Triebfeder sind die hohen Aktienvermögen. Doch in Deutschland ist der Anteil gering. Zur Jahresmitte hielten die privaten Haushalte laut Bundesbank rund 608 Mrd. Euro in börsennotierten Aktien und 849 Mrd. Euro in Fonds. Damit liegen gerade einmal rund ein Fünftel der Vermögen in eher renditeträchtigen Anlagen. Nach Rechnung der Allianz liegt der Wertpapieranteil in Deutschland inklusive einiger weiterer Posten per Ende 2021 bei 28% und bei 30% in der gesamten Region Westeuropa. In Nordamerika wiederum, maßgeblich geprägt durch die USA, machen Wertpapiere 55% aus. Solange Aktienmärkte mittel- bis langfristig mehr abwerfen als zinslastige Kapitalanlagen, wird das Vermögen in den USA also voraussichtlich stärker wachsen als in Deutschland und Westeuropa. Im zurückliegenden Jahrzehnt hat Nordamerika seinen Anteil am globalen Geldvermögen wegen der stark gestiegenen Börsenkurse sogar noch ausgebaut (siehe Grafik). Das gerade abgelaufene Jahr wird vor allem für die USA einen hohen Wertverlust der Vermögen mit sich bringen, denn gerade die amerikanischen Aktienmärkte brachen ein. Doch auch dieser Effekt dürfte nur von kurzer Dauer sein.

Schwung lässt nach

Wie stark der Anteil Westeuropas an den globalen Geldvermögen sinkt, ist allerdings nur schwer kalkulierbar. Wüchsen die Geldvermögen weltweit ab dem neuen Jahr wieder so rasch wie im Durchschnitt der zehn Jahre bis Ende 2021, würden sich die globalen Gewichte erneut massiv verschieben. China zöge mit einer gewaltigen Wachstumsrate von 15,0% pro Jahr an Westeuropa vorbei und würde im Jahr 2031 annähernd ein Viertel der globalen Vermögen auf sich vereinen (siehe Szenario 1).

Doch so einfach läuft die Rechnung nicht, wenn das Wachstum von Wirtschaft und Geldvermögen in China einen Sättigungspunkt erreicht. Arne Holzhausen, der mit seinem Team bei der Allianz bereits seit vielen Jahren die globalen Geldvermögen beobachtet, sieht auch das Wirtschaftsmodell Chinas wegen politischer Spannungen in Gefahr. Auch wachse das Geldvermögen in den kommenden Jahren weltweit vermutlich nicht mehr so rasant wie im zurückliegenden Jahrzehnt, nachdem die Notenbanken ihre ultraexpansive Geldpolitik – Holzhausen spricht von „Doping“ – zurückgefahren haben. Seine Prognose: Auch künftig wird das Geldvermögen in anderen Weltregionen stärker wachsen als in Europa, doch fällt der Unterschied dabei nicht mehr so deutlich aus wie in den zurückliegenden Jahren. Auch insgesamt nehmen demnach die Wachstumsraten ab.

Auch wenn der Schwung anderswo nachlässt, wird der Anteil der Geldvermögen in Westeuropa mutmaßlich abnehmen. Das legen zwei weitere beispielhafte Szenarien nahe. Ein lang anhaltender Bärenmarkt an den Börsen etwa würde die Wachstumsraten der Vermögen überall auf der Welt bremsen. Das spürten wegen der hohen Aktienbestände insbesondere die Menschen in den USA, während Europa vergleichsweise glimpflich davonkäme. Doch selbst ein Rückgang der Wachstumsrate in Nordamerika um vier Prozentpunkte – verglichen mit lediglich einem Prozentpunkt in Westeuropa – und ein ebenfalls stärkerer Rückgang in den Schwellenländern ändern wenig am relativen Gewichtsverlust Westeuropas (siehe Szenario 2). Und auch eine unterstellte Schwellenlandkrise, die unter anderem zu einer Halbierung der Wachstumsrate der Geldvermögen in China, Osteuropa und Lateinamerika führt, wäre im Ergebnis für die hiesige Region ähnlich (siehe Szenario 3).

Langer Marsch

Bis die Menschen in Schwellenländern aufgeholt haben, werden wohl aber noch einige weitere Jahrzehnte vergehen. Umgerechnet 1 300 Euro per Ende 2021 besitzen Menschen in Indien nach Abzug von Schulden, Russland kam auf 7 100 Euro, Brasilien auf 8 900 Euro. China stellt mit 15 400 Euro pro Kopf nach globalen Maßstäben einen Großteil der Mittelschicht. Die Bürger des Riesenlandes liegen damit bereits vor den allermeisten anderen Schwellenländern.

Die Spanne der reifen Industrieländer reicht weit: Spanien liegt mit 40 500 Euro eher hinten, Dänemark, Schweden und Taiwan mit 183 600 Euro, 146 500 Euro und 138 200 Euro weiter vorn. Die USA und die Schweiz bilden mit 259 800 Euro und 237 100 Euro erneut die Spitze. Norwegens Wohlstand bewegt sich ebenfalls in dieser Größenordnung, doch liegt das Vermögen des Landes überwiegend im billionenschweren Ölfonds und zählt nicht zum privaten Geldvermögen.

In vielen Ländern fangen Menschen gerade erst an, Ersparnisse aufzubauen. Nigeria, Pakistan und Indonesien etwa zählen jeweils mehr als 200 Millionen Einwohner, haben in der globalen Statistik aber bisher noch kein Gewicht. Das könnte sich ändern: Finanzielle Inklusion nimmt aber fast überall auf der Welt allmählich zu, nach Daten der Weltbank besitzen immer mehr Menschen ein Konto. Gelänge weiteren Regionen der wirtschaftliche Aufstieg, wäre das eine gute Nachricht für die Welt.

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