Provisionsberatung

Europas Gespenster

In Brüssel taucht wieder das Thema provisionsbasierte Anlageberatung auf der politischen Agenda auf – wie ein Seeungeheuer, das sich nach langer Zeit mal wieder zeigt. Man muss kein Finanzlobbyist sein, um sich zu wünschen, dass es rasch wieder abtaucht.

Europas Gespenster

Aus Sicht der Kreditwirtschaft spuken seit Jahren zwei Gespenster durch Europa. Erstens die Finanzmarkttransaktionssteuer. Zweitens das Provisionsverbot für Finanzprodukte. Um beide Themen ist es zwischenzeitlich sehr ruhig. Dann tauchen sie auf einmal auf und sorgen für erschreckte Reaktionen – so wie das Ungeheuer von Loch Ness.

Um die Finanztransaktionssteuer entspannen sich direkt nach der Finanzkrise leidenschaftliche De­batten – getrieben von einem gesellschaftlichen Un­mut über die Akteure am Kapitalmarkt. Dann jedoch war es darum still geworden.

Die Kontroverse über das Für und Wider von provisionsbasierter Be­ratung wiederum loderte vor allem in den Auseinandersetzungen um Mifid II und um die Versicherungsvertriebsrichtlinie auf – also vor zehn Jahren. Damals ging es um die Frage, ob ein An­­bieter seine Beratung als „unabhängig“ bezeichnen dürfe, wenn zugleich Provisionen flössen. Und in welcher Form ein Berater seinen Kunden offenbaren müsse, inwieweit mit den Gebühren auch Vermittlungsprovisionen bezahlt werden. Nach heftigem, aber kurzem Schlagabtausch ruhte einige Jahre der See. Nun ist das Thema auf der politischen Agenda zurück – sogar in seiner radikalsten Form als Provisionsverbot. In Zusammenhang mit den Vorbereitungen für ein Ge­setzespaket zum Retail Investment wurde Nessie erneut ge­sichtet.

An den Argumenten für und wider ein Verbot provisionsbasierter Beratung hat sich wenig verändert. Gewiss, die Kritiker von Provisionen haben einen Punkt, wenn sie zu Recht vermuten, dass ein Privatanleger trotz aller regulatorischer Anpassungen auch heute noch nicht richtig wahrnimmt, dass die Beratung keineswegs für ihn kostenlos ist, sondern dass er dafür auf indirektem Weg mitzahlt. Die Alternative Honorarberatung ist aber nach wie vor nicht als flächen­deckende Lösung überzeugend.

Umfragen zufolge ist nur jeder sechste Bundesbürger bereit, ein Honorar für eine Beratung zu zahlen. Außerdem liegen die Vorstellungen über die Höhe eines solchen Honorars Dimensionen unter der marktüblichen Hausnummer. Vergessen wird oft zudem, dass die provisionsbasierte Beratung Kosten sozialisiert – und somit selbst denen einen Austausch über ihre Geldanlage mit Fachleuten ermöglicht, für die Altersvorsorge nur mit kleinen Beträgen möglich ist. Dieser Aspekt dürfte an Bedeutung in Zeiten gewinnen, in denen Sparfähigkeit und Anlagespielraum vieler Privater inflationsbedingt spürbar geringer werden.

Ein weiteres Argument dafür, dass Europa auch künftig provisionsbasierte Modelle akzeptieren sollte, ist der dramatisch gestiegene Bedarf an Beratung zur nachhaltigen Geldanlage. Denn anders als früher geht es nicht mehr nur um die Beachtung recht simpler Empfehlungen (etwa der Portfoliostreuung oder der mit steigendem Alter höheren Risikoaversion). Sondern es geht um komplizierte Entscheidungen bei gezielter Geldanlage nach ESG-Kriterien.

Bislang gibt es nur politische Signale, dass es das Streitthema Provisionsverbot wieder auf die offizielle Agenda der EU-Gesetzgeber schafft. Man muss nicht unbedingt ein Lobbyist der Kreditwirtschaft sein, um sich zu wünschen, dass das Ungeheuer von Loch Ness wieder abtaucht, bevor es sich richtig gezeigt hat.

 (Börsen-Zeitung,

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