Experten sehen „Schubumkehr“ im Immobilienmarkt
Der jüngste Zinsanstieg macht sich auch in der deutschen Wohnungswirtschaft schon deutlich bemerkbar. Nach Angaben von Jochen Schenk, Vizepräsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), ist der Bausektor in den zurückliegenden Monaten weitgehend zum Erliegen gekommen. Er verwies auf einer vom ZIA organisierten Konferenz in Berlin darauf, dass die Neuanträge für Baufinanzierungen Ende 2022 um 43% gegenüber dem Vorjahresniveau gesunken seien: „Das ist ein Negativrekord.“
Nach Einschätzung von Schenk liegen die Ursachen neben der Zinswende vor allem in der Regulierung und den spürbar erhöhten Kapitalanforderungen an institutionelle Akteure für Immobilieninvestments. Unter anderem seien Banken gezwungen, vorsichtiger zu agieren. Schenk verwies unter anderem auf die Wohnimmobilienkreditrichtlinie, die Aktivierung des antizyklischen Kapitalpuffers oder die Einführung des sektoralen Systemrisikopuffers.
„Diese Maßnahmen sollten allesamt aufgrund der neuen Gegebenheiten überdacht werden“, forderte der ZIA-Vizepräsident und erhielt Unterstützung von Jens Tolckmitt, dem Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Pfandbriefbanken (VDP). Die Fundamentalfaktoren der deutschen Immobilienwirtschaft seien intakt, betonte Tolckmitt auf der Konferenz. Die Regulierung stehe aber „in krassem Gegensatz dazu, die aktuellen Herausforderungen zu meistern“.
Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling sprach von einer „Schubumkehr“, die es derzeit am Wohnimmobilienmarkt gebe. Die Preise stiegen nach jahrelanger Boomphase nicht weiter an und seien „etwas rückgängig“. Immer weniger Haushalte könnten sich die Finanzierung von nach wie vor sehr teuren Wohnimmobilien leisten. Die steigende Inflation beeinträchtige zudem die Schuldentragfähigkeit von Haushalten und Unternehmen. „Insofern könnte es sein, dass es zu mehr Kreditausfällen und zu mehr Verlusten kommt“, warnte der Bundesbank-Vorstand.
Von einer Abschwächung der Regulierungsanforderungen wollte Wuermeling allerdings nichts wissen. Er verwies auf die Bedeutung der Immobilienbranche für die Banken. Wohn- und Gewerbeimmobilienkredite ständen für mehr als 20% der Bilanzsumme und 40% der Kreditvergabe der deutschen Banken. Der Immobilienmarkt sei daher auch für die Bundesbank im Rahmen der Bankenaufsicht „von zentraler Bedeutung“.
Wuermeling begrüße daher, dass die Banken weiter Vorsicht walten ließen und ihre Kreditrichtlinien verschärft hätten. Neue Regulierungen wie die Nachschärfung von Basel III sollten zudem wie auf internationaler Ebene vereinbart umgesetzt werden. Von der EZB erwartet er zugleich weitere Zinsschritte.