EZB: Zinsrisiko besser einkalkulieren
sto Frankfurt
Die Europäische Zentralbank hält die großen Banken der Eurozone grundsätzlich für gut gewappnet für die laufende geldpolitische Normalisierung, mahnt aber eine höhere Aufmerksamkeit der Institute für das Zinsrisiko in ihrem Aktiv-Passiv-Management an. Dies ist der Tenor eines Blogs, den Luis de Guindos, Vize-Präsident der EZB, und Andrea Enria, Vorsitzender der EZB-Bankenaufsicht, am Dienstag gemeinsam veröffentlichten.
Darin betonen sie, dass die EZB weiter die Zinsen anheben wird, um die Inflation zu bekämpfen, und mahnen die Kreditinstitute daher, sich auf mögliche längerfristige Auswirkungen der Normalisierung der Geldpolitik vorzubereiten. Denn Zinserhöhungen wirken sich auf die Bilanzen und Rentabilität der Banken aus sowie auf ihre Fähigkeit, Unternehmen und Haushalte mit Krediten zu versorgen.
Um die Widerstandsfähigkeit der Banken mit Blick auf weitere Zinsschritte zu untersuchen, hat die EZB in einem Zinsschock-Test über drei Jahre zwei Szenarien unterstellt: erstens einen Anstieg des kurzfristigen Zinssatzes um 300 Basispunkte und einen Anstieg des zehnjährigen langfristigen Zinssatzes um 100 Basispunkte, also eine Abflachung der Zinsstrukturkurve. Dies spiegelt die Annahme wider, dass die EZB die Inflation entschieden und schnell bekämpft und damit auch Erfolg hat. Das zweite Szenario geht von einer Versteilerung der Renditekurve aus: eine Erhöhung des kurzfristigen Zinssatzes um 100 Basispunkte und eine Erhöhung des langfristigen Zinssatzes um 300 Basispunkte. Dies entspricht einem raschen Rückgang der Inflation, begleitet von mittelfristigen Sorgen über die Weltwirtschaft.
Beide Szenarien hätten gezeigt, so de Guindos und Enria, dass die Banken weitgehend widerstandsfähig blieben. Dies gelte auch für das Basisszenario der EZB, die von einer leichten Rezession im kommenden Jahr ausgeht. Die Banken würden durch die Zinserhöhungen der EZB durch steigende Nettozinserträge profitieren. Zugleich stiegen die Rückstellungen für faule Kredite, was sich leicht negativ auf das Kapital der Banken auswirken werde. Alles in allem blieben die Auswirkungen auf die Solvabilität des Bankensektors gedämpft, wobei es durchaus Unterschiede zwischen den einzelnen Adressen je nach Geschäftsmodell gebe.
Die europäischen, global systemrelevanten Banken seien aufgrund ihrer global diversifizierten Bilanzen trotz ihres größeren Engagements an den Finanzmärkten widerstandsfähig, betonen die beiden EZB-Vertreter. Im Abflachungsszenario kämen indes einige Banken, die 0,1 % der Aktiva des Sektors ausmachen, dem ausschüttungsfähigen Höchstbetrag (Maximum Distributable Amount, MDA) nahe. Dies könnte bedeuten, dass sie etwa weniger Kredite ausreichen. Im Versteilerungsszenario würde sich dagegen der Anteil der Institute, die in die Nähe des MDA kommen, nicht verändern.
Modelle sind lückenhaft
Die Widerstandsfähigkeit in beiden Szenarien bedeute aber nicht, dass es nicht doch individuelle Probleme in einigen Häusern geben könnte, unterstreichen de Guindos und Enria. Dies könnte dann aufsichtliche Maßnahmen notwendig machen. Im ersten Szenario sei zudem absehbar, dass einige Banken mit einem erheblichen Anstieg ihrer Refinanzierungskosten konfrontiert würden, der größer wäre als der Anstieg der Nettozinserträge. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Verbindlichkeiten der Banken im Vergleich zu ihren Vermögenswerten eine kürzere Laufzeit haben.
In dem Blog gehen Enria und de Guindos auch darauf ein, dass die EZB unlängst die Risikomanagementpraktiken für Zinssätze und Kreditspreads der Banken überprüft hat. Neben den positiven Effekten auf die Nettozinserträge zeigte sich, dass die Banken Modelle verwenden, die das geänderte Verbraucherverhalten bei steigenden Zinsen außer Acht lassen, wie zum Beispiel höhere Geldabhebungen. Die EZB bemängelt, dass die Häufigkeit der Validierung, des Backtestings und der Neukalibrierung dieser Modelle unbefriedigend sei. Auch beanstandet die Notenbank Mängel bei der Überwachung der Risiken aus Derivate-Hedging-Transaktionen sowie bei der Steuerung des Risikotransfers zwischen Handels- und Anlagebuch.
Auch habe es Unzulänglichkeiten bei der Messung und dem Management von Risiken bei Staatsanleihen und anderen Instrumenten im Anlagebuch gegeben. Nicht zuletzt seien potenzielle Zweitrundeneffekte und strukturelle Veränderungen durch die Zinswende noch nicht hinreichend berücksichtigt worden. Für die EZB-Bankenaufsicht gehört die Überprüfung der festgestellten Schwachstellen zu den Prioritäten der nächsten drei Jahre.