Regulierungslücken

Fondsanbieter zeigen sich entspannt

Die Debatte um angeblich aufgeblähte, nachhaltige Fonds bei der DWS zeigt das Dilemma der Nachhaltigkeit wie unter einem Brennglas.

Fondsanbieter zeigen sich entspannt

Von Silke Stoltenberg, Frankfurt, und Gesche Wüpper, Paris

So knallig die Überschriften zum angeblichen Nachhaltigkeitsschwindel der DWS in manchen Medien waren, so heftig der Aktienkurs der Deutsche-Bank-Tochter auf die Greenwashing-Vorwürfe einer ehemaligen Mitarbeiterin reagierte – so gelassen zeigen sich die Wettbewerber hinsichtlich der eigenen Ausgestaltung der nachhaltigen Fondsanlage. Die Anbieter wissen sich angesichts fehlender konkreter rechtlicher Vorgaben zu den maßgeblichen Fragen in diesem Zusammenhang auch gegenüber Regulatoren auf der sicheren Seite. Selbst wenn sich Anbieter also aktuell ähnlich weit aus dem Fenster lehnen sollten wie die DWS, was die Selbstdarstellung in puncto Nachhaltigkeit angeht, die sich selbst als führend bezeichnet – rechtlich gibt es hier keine Angriffsfläche. Zudem sind die von der Börsen-Zeitung befragten Gesellschaften auch der festen Überzeugung, auf dem richtigen Weg in eine nachhaltige Zukunft zu sein, und sehen keine Mängel oder Angriffsfläche bei den eigenen Produkten, Prozessen, dem Marketing oder der Kundenkommunikation.

Die aktuell laufenden Regulierungsschritte der EU, um die Finanzbranche nachhaltiger zu gestalten, haben gerade erst begonnen und haben erst wenige Definitionen oder Orientierung gegeben, was nachhaltige Investments sind. Die Bemühungen konzentrieren sich ohnehin erst auf den Kernbereich der Klimafrage im Rahmen der Taxonomie. Gewisse Leitplanken der inhaltlichen Ausgestaltung von Fonds werden erst im nächsten Jahr kommen durch Level-2-Vorgaben der vielen verschiedenen Maßnahmen oder durch die dann verpflichtende Nachhaltigkeitsabfrage bei der Anlegerberatung (Mifid II). Hierzulande bemüht sich die BaFin um eine erste Richtlinie zur Ausgestaltung nachhaltiger Fonds.

Gerade der strittige Begriff der „ESG-Integration“, um den es konkret bei der DWS geht, ist beileibe nicht mit rein nachhaltigen Assets gleichzusetzen, sondern bedeutet, dass die Fondsgesellschaften die ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) immer systematischer in den Portfoliomanagementprozess mit einbeziehen. Der Begriff ist nicht geschützt oder von irgendeiner Stelle fest definiert und noch viel weniger regulatorisch festgelegt. „ESG-Integration ist nicht gleichzusetzen mit Ausschlüssen und Restriktionen im Anlageprozess. ESG-Integration führt also nicht dazu, dass es nur noch nachhaltige Anlagen im engeren Sinne gibt, sondern ergänzt nachhaltige Aspekte in der Entscheidungsfindung mit dem Ziel, das Urteil über die Emittenten präziser zu machen“, sagt Ingo Speich, Head of Sustainability and Corporate Governance bei Deka Investment.

Zentrales Missverständnis

Laut Fondsverband BVI werden bei 70% des Gesamtvermögens von deutschen Publikums- und Spezialfonds Nachhaltigkeitsstrategien auf der Ebene der Fondsgesellschaft miteinbezogen. Demgegenüber gelten aber erst 10% des in Fonds verwalteten Vermögens als wirklich nachhaltig (siehe Grafik).

Henrik Pontzen, Abteilungsleiter ESG im Portfoliomanagement von Union Investment, weist auf ein grundsätzliches Missverständnis hin: „Bei der öffentlichen Debatte über das Thema Nachhaltigkeit gibt es einen Grundkonflikt. Manche sind fest davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit ein Zustand ist. Tatsächlich aber handelt es sich um einen Prozess, also den Wandel der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit.“ Speich ergänzt: „Die Integration der Nachhaltigkeit in das Portfoliomanagement ist ein Prozess, der sich ständig weiterentwickelt, keiner hat hier schon den Zustand der Perfektion erreicht, auch die Frage des Zielbilds ist dabei noch nicht endgültig beantwortet.“ Ähnlich sieht das Pontzen: „Wir sind in einem Prozess, der noch lange nicht zu Ende ist. ESG muss zur Normalität im Portfoliomanagement werden.“

ESG-Integration bedeutet also nicht, allen „braunen“ Unternehmen den Geldhahn abzudrehen, sondern vielmehr als Fondsgesellschaft den Wandel zu einem grünen Unternehmen mittels Geld und im Dialog zu begleiten bis forcieren. Unternehmen, die den schon skizzierten Klima-Vorgaben der EU-Taxonomie entsprechen, machen vom MSCI World gerade mal zwischen 2 und 5% aus, sagen Fondsmanager. Die europäischen Klimaziele lassen sich aber nicht erreichen, wenn nur noch diese wenigen Firmen Kapital erhalten. ESG-Integration wiederum kann sogar bedeuten, gerade dann in ein nachhaltig „schlechteres“ Unternehmen zu investieren, wenn der faire Wert der Aktie über dem aktuellen Kurs liegt, wenn also der Kurs der Aktie wegen der schlechten Umweltbilanz schon zu sehr nach unten „geprügelt“ wurde von den Anlegern – für Laien schwer zu verstehen.

„Es geht nicht nur darum, wie nachhaltig ist das jeweilige Geschäftsmodell, sondern wie nachhaltig geht das Unternehmen seinen Geschäften nach“, beschreibt Pontzen den Ansatz von Union Investment. Dabei gehe es seiner Gesellschaft nicht nur um das Erreichen etwa von Klimazielen oder die Reduzierung von CO2-Emissionen, sondern auch um soziale Aspekte, die Frage der guten Unternehmensführung oder das Ausmaß an negativen Schlagzeilen über das Unternehmen. Der Fondsanbieter der Genossenschaftsbanken überprüft die nachhaltigen Zukunftspläne der Unternehmen, ob etwa die Investitionen hierfür hinreichend sind oder ob die Vergütungsanreize für das Management dazu passen.

Deka und Union verfolgen als Nachhaltigkeitsstrategie den Best-in-Class-Ansatz, wonach die jeweils besten Unternehmen in einer Vergleichsgruppe bei ESG-Aspekten in der Anlageentscheidung bevorzugt werden. Dies ist auch in der Branche insgesamt ein weit verbreiteter Ansatz wie auch Ausschlusskriterien etwa zu Atomenergie oder Kohleanteil – hier werden maximale Prozentanteile vom Umsatz vorgegeben – oder absolute Ausschlüsse wie geächtete Waffen. Wobei aber maximale Schwellenwerte nicht zwangsläufig zum Ausschluss führen, wenn ein überzeugender Zukunftsplan in Sachen Nachhaltigkeit vorliegt, wie Pontzen für Union Investment ausführt.

Ein gern genommener Maßstab zum öffentlichen Ausweis von Nachhaltigkeit ist auf Portfolioebene oder auch auf Gesellschaftsebene die Reduzierung der CO2-Emissionen. Pontzen rechnet vor, dass im gesamten Fondsportfolio seines Hauses in den vergangenen zwei Jahren die Emissionen um mehr als ein Fünftel gesenkt worden seien. Aber auch grundsätzlich hat man hier einen niedergeschriebenen Plan, wie Nachhaltigkeit fest verankert werden soll, und setzt dabei auf vier Ebenen an: Unternehmenskultur, Systeme, Prozesse und Produkte.

Unternehmenskultur nachhaltig zu verändern bedeutet, in der „alten Welt“ sozialisierte Fondsmanager überhaupt erst einmal mit den neuen Kriterien vertraut zu machen. Sowohl Deka als auch Union setzen dabei auf verpflichtende, regelmäßig stattfindende Schulungen der Portfoliomanager. Bei Union Investment ist in den Leistungsvereinbarungen sogar schon festgeschrieben, dass bei den Unternehmensdialogen die Nachhaltigkeitsaspekte angesprochen werden und Fachbeiträge diese Themen aufgreifen müssen.

„Es geht uns um ein tiefes und echtes Verständnis von Nachhaltigkeit und nicht bloß um formale Vorgaben, etwa einen bestimmten Prozentanteil im Portfolio mit nachhaltigen Assets zu erreichen. Das wäre einfach zu bewerkstelligen, baut aber kein grundsätzliches Firmenwissen zur Nachhaltigkeit auf“, beschreibt Pontzen das grundsätzliche Ziel. Speich pflichtet ihm bei: „Die Infrastruktur und die Datenbank zur Nachhaltigkeit sind nicht die Herausforderung bei der Nachhaltigkeit, sondern das Hauptproblem ist der Bewusstseinswandel. Portfoliomanager sollen ESG-Aspekte bei der Entscheidungsfindung miteinbeziehen, die es in den Jahren zuvor noch nicht gab und die daher erst einmal verinnerlicht werden müssen.“

Die Systeme sind aufgerüstet

Insofern sind Datenbanken und Systeme bei beiden Fondshäusern schon längst aufgerüstet bei der Nachhaltigkeit. Die Genossen etwa haben vor neun Jahren eine eigene Nachhaltigkeitsplattform namens Siris (Sustainable Investment Research Information System) aufgebaut, die eigene Daten aus dem mittlerweile 16-köpfigen Nachhaltigkeits-Research wie den eigenen ESG-Score für die Unternehmen bietet ebenso wie jede Menge Daten externer Anbieter. Auch die DekaBank sowie andere große Fondshäuser haben eigene ESG-Ratings und Datenbanken.

Die genossenschaftliche Fondsgesellschaft geht im kommenden Jahr noch einen Schritt weiter bei der ESG-Integration. Ab 1. Januar 2022 wird die systematische Berücksichtigung von nachhaltigen Kriterien fest in die Prozesswelt der Union Investment verankert. Das bedeutet etwa, dass der gesamte ESG-Score des Portfolios eines nachhaltigen Fonds besser sein muss als der entsprechende Wert des Vergleichsindex. Nicht zuletzt strebt Union Investment an, dass es für jeden Fonds des Hauses einen nachhaltigen Bruder gibt.

Bei der Deka wiederum gibt es ein Non-Financial-Risk-Komitee, das die Nachhaltigkeitsaspekte jedes Emittenten betrachtet. Im Anlageprozess sollen ESG-Kriterien festen Einzug halten. Der Sparkassen-Assetmanager hat für sich auch ein nachhaltiges Anlageuniversum definiert.

Union Investment gab per Jahresmitte 427 Mrd. Euro als verwaltetes Vermögen an, davon 80% (345 Mrd. Euro) mit ESG-Integration, die nachhaltigen Assets beliefen sich auf 74 Mrd. Euro. Die Deka wiederum weist keine Assets nach ESG-Integration aus und bezifferte zuletzt ein nachhaltiges Volumen von 35 Mrd. Euro von 344 Mrd. Euro insgesamt verwalteten Vermögen.

Auch der in Europa führende Assetmanager Amundi betont in einer Stellungnahme der Börsen-Zeitung gegenüber „den transparenten und robusten Charakter der ESG-Anlagen“. Man fühle sich absolut wohl mit deren Qualifizierung, erklärte eine Sprecherin. Die Crédit-Agricole-Tochter wies zuletzt bei einem verwalteten Vermögen von insgesamt 1794 Mrd. Euro fast 800 Mrd. Euro an ESG-integrierten Assets aus. Der ESG-Strategieplan für den Zeitraum 2018 bis 2021 hat hier das Ziel vorgegeben, bei diesen Assets möglichst eine höhere ESG-Bewertung zu haben als ihr Investitionsuniversum.

Der Prozess, die ESG-Kriterien in die offenen Fonds zu integrieren, sei im April durch PwC einer externen Prüfung unterzogen worden, so Amundi. Die nachhaltigen Fonds haben ESG-Investitionskriterien in ihrer Managementstrategie – entweder hinsichtlich aller ESG-Herausforderungen oder hinsichtlich eines spezifischen Umwelt- oder Sozialthemas. Darüber hinaus gehören Amundi zufolge auch speziellen Umweltaspekten gewidmete Fonds und Mandate für Kunden dazu, die auf Wunsch der Kunden spezifische, maßgeschneiderte ESG-Investitionskriterien beinhalten.

Wegen der unklaren regulatorischen Vorgaben und der extrem divergierenden Ansichten zum Thema Nachhaltigkeit bietet – trotz aller Bemühungen – jedes Finanzinstitut Angriffsfläche für Greenwashing-Vorwürfe. Die Regulatoren wiederum haben die Gefahr einer möglichen Irreführung von Anlegern erkannt – da dürfte die geplante BaFin-Richtlinie für nachhaltige Investmentvermögen wohl erst der erste Schritt der Aufsicht sein.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.