ESG-Regulierung

Frankreichs ambivalente Rolle

Frankreich will Hauptstadt der grünen Finanzwirtschaft werden, und bringt doch die Umweltschützer mit seiner Lobby-Arbeit für die Atomwirtschaft gegen sich auf..

Frankreichs ambivalente Rolle

Von Gesche Wüpper, Paris

Klimaschutz ist eines der Themen, auf das Frankreich während seiner EU-Ratspräsidentschaft einen besonderen Fokus richten will. Immerhin träumt Präsident Emmanuel Macron davon, dass sein Land auf diesem Gebiet zum Vorreiter und Paris zur Hauptstadt der grünen Finanzwirtschaft wird. Und doch ist die Lage paradox. Auf der einen Seite ist Frankreich beim Thema ESG (Environmental, Social, Governance) Vorreiter bei der Gesetzgebung. Auf der anderen Seite werfen ihm Kritiker vor, nicht genug zu tun und dank geschickter Lobby-Arbeit erreicht zu haben, dass Atomkraft in die Taxonomie aufgenommen wird.

„Frankreich war beim Reporting, das über die reinen Geschäftszahlen hinausgeht, Wegbereiter“, sagt Axa-Investitionschef Pascal Christory. Auf Paris gingen zahlreiche Regulierungsinitiativen zurück, weshalb Brüssel die französische Gesetzgebung als Vorbild genommen habe. 

Diese Vorreiterrolle hat Frankreich auch dem internationalen Terminplan zu verdanken. So hat der medienwirksame Umweltgipfel COP21, der Ende 2015 in Paris stattfand, die Regierung des damaligen Präsidenten François Hollande angespornt, im Vorfeld ein Energiewendegesetz zu verabschieden, das mit seinem Artikel 173 die Welt der grünen Finanzen durcheinandergewirbelt hat. Denn es zwang Unternehmen, Investoren und Vermögensverwalter, jedes Jahr zu veröffentlichen, welche Risiken sie im Zusammenhang mit dem Klimawandel eingegangen sind und wie ihre Ziele hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft aussehen. Finance for Tomorrow, die Initiative für grüne Finanzen der Finanzplatzvereinigung Paris Europlace, hat damals zahlreiche Vorschläge für die Ausarbeitung des Artikels gemacht.  Inzwischen ist Artikel 173 durch Artikel 29 des Energie-Klima-Gesetzes von 2019 ersetzt worden. Darin werden die europäischen Bestimmungen umgesetzt. Doch in mehreren Punkten gehe das französische Gesetz weiter als diese, urteilt die Nichtregierungsorganisation Reclaim Finance. Das Dekret zur Anwendung des Artikels wurde letzten Sommer veröffentlicht. „Artikel 29 des Energie-Klima-Gesetzes und das Anwendungsdekret zielen darauf ab, die Anforderungen an das ESG-Reporting der Finanzakteure zu verstärken“, erklärt Christory. 

So müssen sie ab diesem Jahr auch Rechenschaft ablegen, inwieweit ihre Strategie mit den Zielen des Abkommens für die biologische Diversität übereinstimmt und wie sie dazu beitragen, Druck und negative Auswirkungen auf die Biodiversität zu verringern. Deshalb dürfte es bald einen neuen Indikator für Portfolios geben, sagen Beobachter: Den Biodiversitätsindikator. Jedoch haben erst sehr wenige Unternehmen Daten veröffentlicht, die es ermöglichen würden, ihn zu berechnen. 

Artikel 29 und das Anwendungsdekret liefern auch Details für die Klimaberichterstattung, da bei Anwendung von Artikels 173 große Disparitäten bei Methodik und Daten zu entstehenden Emissionen festgestellt wurden. Deshalb wird in dem Anwendungsdekret erklärt, was genau mit der Formulierung „Angleichung an die Temperaturziele des Pariser Abkommens“ gemeint ist. Investoren müssen bis 2030 quantitative Ziele definieren, die direkte und indirekte Treibhausgasemissionen beinhalten, entweder als absoluten Wert oder als Intensität gegenüber einem Referenz-Szenario oder Jahr. Diese Ziele müssen bis 2050 alle fünf Jahre überprüft werden.

Paris geht weiter

Ebenfalls weiter geht die französische Gesetzgebung in der Frage, auf welche Vermögensverwalter die Regeln angewendet werden sollen. So hat sich Frankreich entschieden, dass sie für Akteure mit einem verwalteten Vermögen von mindestens 500 Mill. Euro gelten. Die EU hatte zusätzlich dazu die Schwelle ab 500 Beschäftigten vorgesehen. Da 2019 gerade mal vier französische Akteure sowohl mehr als 500 Mitarbeiter als auch verwaltete Vermögen von mehr als 500 Mill. Euro hatten, hat Paris das Kriterium der Mitarbeiterzahl fallen gelassen. Jetzt unterliegen laut Novoethic, einer auf nachhaltige Finanzwirtschaft spezialisierten Tochter der staatlichen Caisse des Dépôts et Consignations (CDC), quasi alle französischen Vermögensverwalter den Regeln. Ab 2023 müssen sie angeben, wie viel Prozent ihres verwalteten Vermögens an die Taxonomie angeglichen sind und wie viel der Finanzierung von Aktivitäten fossile Energieträger betrifft.

Keine Sanktionen vorgesehen

Akteure, die sich nicht in der Lage sehen, die geforderten Erklärungen zu liefern, müssen einen Plan vorlegen, wie sie dies ändern wollen. Es seien jedoch keine Sanktionen für sie vorgesehen, bemängelt Reclaim Finance. Dabei habe bereits eine Bilanz des Artikels 173 des Umweltgesetzes von 2015, der ebenfalls auf Transparenz setzte, gezeigt, dass die Hälfte der Akteure die Vorgaben nicht berücksichtigt hat. Deshalb hatte der von Präsident Macron eingesetzte Bürgerrat für Klimaschutz auch einen restriktiven Rahmen für das über die reinen Geschäftszahlen hinausgehende Reporting empfohlen. Vergeblich. 

Die Regierung setze bei ihrer Politik für eine nachhaltige Finanzwirtschaft auf Transparenz und Anreize, kritisiert der Reclaim-Finance-Kampagnenbeauftragte Paul Schreiber. Das sei so, als versuche man einen Waldbrand mit einer Wasserpistole zu löschen. Zudem seien die Indikatoren für fossile Energieträger nicht komplett, und andere sehr umweltverschmutzende Aktivitäten würden gar nicht berücksichtigt. Die Nichtregierungsorganisation moniert auch, dass nicht genügend berücksichtigt werde, wie wichtig die Reduzierung der Produktion fossiler Energieträger sei. Da richteten sich die französischen Regeln nach den europäischen, seien also auch von der dort getroffenen Definition fossiler Energieträger abhängig.

Reclaim Finance hatte bereits im Vorfeld des Taxonomie-Entwurfs gefordert, dass Gas und Atomkraft darin nicht enthalten sein dürften, da sonst die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel stehe. Am Markt für grüne Anleihen habe sich die Praxis durchgesetzt, weder fossile Energieträger noch Atomkraft einzubeziehen, erklärt die Organisation. Das französische Label Greenfin schließe Atomkraft ebenfalls aus. Dagegen findet sich Atomkraftbetreiber EDF (Électricité de France) im Index CAC40 ESG, den Börsenbetreiber Euronext im März 2021 lanciert hat. Darin sind 40 Werte aus dem CAC40 und dem CAC Next20 enthalten, die bezüglich ESG am besten bewertet werden.

Frankreich gilt als Land der Atomkraft schlechthin, bezieht es doch 75% seines Stroms aus seinen 56 Atomreaktoren. Noch vor ein paar Jahrzehnten war deshalb kaum Kritik an Atomkraft zu hören. So konnte die Regierung den Bürgern nach der Katastrophe von Tschernobyl weismachen, die radioaktiven Wolken seien nicht über die Grenze nach Frankreich gekommen. 

Inzwischen hat jedoch auch in Frankreich ein Umdenken eingesetzt. In einer Umfrage von Odoxa 2018 sprachen sich 53% gegen Atomkraft aus. Doch die Abhängigkeit des Landes von Atomstrom ist hoch, so dass Macron das von seinem Vorgänger François Hollande gesetzte Ziel, den Anteil von Atomstrom bis 2025 auf 50% zu senken, auf 2035 verschoben hat. Frankreich und Deutschland hätten unterschiedliche Ansichten zu diesem Thema, meint Axa-Investitionschef Christory. Für Frankreich sei Atomkraft eine stabile, kohlenstoffarme Energiequelle. „Die größte Herausforderung wird für Frankreich darin bestehen, den optimalen Energiemix zu finden, der ihm erlaubt, bis 2050 klimaneutral zu werden“, meint er. 

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