Geldwäschebekämpfer warnt vor Instrumentalisierung
Von Tobias Fischer, Frankfurt
Der scheidende Präsident der Financial Action Task Force (FATF), Marcus Pleyer (53), bekräftigt die Entscheidung, Russlands Mitgliedschaft in der globalen Anti-Geldwäsche-Organisation wegen des vom Kreml initiierten Krieges gegen die Ukraine einzuschränken, das Land aber nicht gänzlich auszuschließen. Die 39 FATF-Mitglieder hatten Mitte Juni infolge der am 24. Februar begonnenen Invasion beschlossen, Rolle und Einfluss der Russischen Föderation stark zu begrenzen. Es sei nicht selbstverständlich, dass sich eine Organisation, in der viele Staaten mit unterschiedlichen Ansichten vertreten seien und die im Konsens entscheidet, dazu durchringt, lässt Pleyer im Gespräch mit der Börsen-Zeitung erkennen.
Der Ministerialdirigent im Bundesfinanzministerium war im Juli 2020 als erster FATF-Präsident ein zweijähriges Ehrenamt eingegangen, nachdem die ursprüngliche Amtszeit von einem Jahr ausgedehnt worden war. Zu Pleyers Nachfolger, der an diesem Freitag antritt, wurde der singapurische Finanzkriminalität-Experte T. Raja Kumar gewählt.
Sicherheitsrisiko
Manchen Staaten mag die Einschränkung der Mitgliedschaft Russlands zu weit gegangen sein, anderen nicht weit genug. Dennoch sei es gelungen, Russlands Aggression einhellig als groben Verstoß gegen die Prinzipien der FATF zu brandmarken und es seiner Rechte zu beschneiden, sagt Pleyer. So hat das Land sein Stimmrecht verloren und darf nicht mehr an Länderprüfungen teilnehmen. Andernfalls könnten so russische Assessoren etwa Zugang zu Ministerien und Geheimdokumenten in westlichen Staaten erhalten – ein Sicherheitsrisiko. Die FATF nimmt Staaten regelmäßig unter die Lupe, um zu bewerten, ob und wie effizient ihre Anti-Geldwäsche-Standards national umgesetzt werden.
Nun dürfen die russischen Vertreter nur noch virtuell an Plenarsitzungen und in den Arbeitsgruppen teilnehmen, sie dürfen technischen Input geben und müssen Mitgliedsbeiträge leisten. „Sie können aber nicht mehr mitbestimmen, wenn am Ende eine Entscheidung getroffen wird“, erklärt Pleyer. In einer der neun Regionalorganisationen der FATF, der eurasischen, darf Russland aber weiterhin an Länderprüfungen teilnehmen.
Dass Russland als Mitglied in der FATF verbleibt, hält Pleyer für sinnvoll. So könne auch in Zukunft geprüft werden, wie es dort um die Geldwäschebekämpfung bestellt ist. „Mit der Entscheidung, Russlands Mitgliedschaftsrechte zu beschränken, insbesondere sie nicht mehr an wichtigen Entscheidungen mitwirken zu lassen, aber die Mitgliedschaft nicht aufzuheben, ist das Limit dessen erreicht worden, was für alle in der FATF vertretenen Regierungen konsensfähig war. Denn das, was wir machen, nämlich Standards zu setzen, findet am Ende ja immer Niederschlag in der Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten.“ Offenbar wollte die FATF den Russen diesen Einfluss nicht mehr zubilligen.
Über den partiellen Ausschluss der Russen aus der FATF wurde im Konsens befunden – was aber keineswegs mit Einstimmigkeit zu vergleichen sei. „Es liegt ein Stück weit in der Macht des Präsidenten, zu entscheiden, ob Konsens vorliegt“, berichtet Pleyer. „Und Konsens liegt in der Regel vor, wenn sich nach intensiver Diskussion und dem Austausch von Argumenten am Ende eine klare Haltung der Mitgliedschaft herausbildet und kein Staat oder allenfalls ganz vereinzelte explizit dagegen stimmen.“
Russland hat einen Teil seiner Mitgliedschaftsrechte suspendiert bekommen, weil es derzeit nicht die Prinzipien internationaler Kooperation verfolgt, heißt es in der FATF-Erklärung. Es darf keine leitenden und beratenden Funktionen mehr innehaben und nicht mehr an der Entscheidungsfindung bezüglich der Festlegung von Standards, von Länderprüfungen, Governance- und Mitgliedsangelegenheiten teilnehmen. „Die Position der FATF ist, dass Russland zum Pfad der internationalen Kooperation und des gegenseitigen Respekts innerhalb der Staatenfamilie zurückkehren müsste, um die Beschränkung seiner Mitgliedsrechte zurückzudrehen“, sagt Pleyer.
Die praktischen Folgen für die Arbeit der FATF scheinen verkraftbar, muss doch Ersatz für drei oder vier russische Prüfer in den Länderprüfungen gefunden werden. Schwerer könnte wiegen, dass der verbliebene Gesprächskanal mit Russland zu versiegen drohe, sollte sich der Krieg noch verschärfen. Die FATF, sagt Pleyer, sei schließlich eine der letzten Foren, in denen die Großmächte noch offen miteinander reden. Geopolitische Reibereien, die in jüngster Zeit verstärkt zutage treten, seien bereits in der Vergangenheit zu beobachten gewesen, weiß er zu berichten. „Geopolitische Friktionen haben sich immer gezeigt, aber am Ende ist es in der FATF stets gelungen, miteinander im Gespräch zu bleiben und zu einem Ergebnis zu kommen.“
Krieg befeuert Kriminalität
Um die Auswirkungen des Ukrainekriegs auf die internationale Geldwäschebekämpfung abzuschätzen, sei es noch zu früh, sagt er. Kaum verwunderlich sei aber, dass staatliche Institutionen unter Kriegsbedingungen Kriminalität nicht mehr effektiv bekämpfen könnten, was Kriminelle natürlich ausnutzten. „Wir haben gesehen, dass der Krieg und die Folgen zu verstärkten Finanzströmen geführt haben“, berichtet Pleyer. „Immer dann, wenn Finanzströme zunehmen, sind darunter auch illegale. Das muss man sich ganz besonders anschauen. Die FATF hat deshalb die entsprechenden staatlichen Stellen aufgefordert, wachsam zu sein.“
Die zweite, die Präsidentschaft Pleyers prägende Krise war Corona. Gerade zu Anfang sei es darum gegangen, die FATF mit ihrer Kernarbeit während der Pandemie am Laufen zu halten. Insbesondere die drei- bis vierwöchigen Vor-Orte-Besuche im Zuge von Länderprüfungen gestalteten sich als schwierig. Hybride Modelle mit zumeist virtuellem Kontakt und auf das Notwendigste beschränkter physischer Präsenz hätten sich aber bewährt.
In den vergangenen zwei Jahren hat die FATF Berichte und Handlungsanweisungen zu zuvor eher wenig beachteten Geldwäschemustern herausgegeben, sei es im Zusammenhang mit Umweltkriminalität, mit illegaler Migration oder mit der Finanzierung von Rechtsterrorismus. Dazu wurden auch Typologien identifiziert, die den Strafverfolgungsbehörden und Financial Intelligence Units (FIU) helfen sollen, illegale Finanzströme aufzudecken. Allein die globalen Gewinne aus Umweltverbrechen wie Abholzung, Schmuggel von Wildtieren und Müllhandel werden auf jährlich 110 Mrd. bis 280 Mrd. Dollar geschätzt, Tendenz stark steigend. Mittlerweile sei es gelungen, für das Thema zu sensibilisieren und Umweltbehörden sowie Geldwäschebekämpfer ins Gespräch zu bringen und internationale Kooperationen zu schmieden. „Das Bewusstsein für illegale Finanzflüsse aus Umweltverbrechen ist stark gewachsen“, sagt Pleyer. „Auch in der fünften Prüfungsrunde der FATF wird das jetzt eine stärkere Rolle spielen.“
Wurden bisher alle Staaten einmal innerhalb von elf Jahren von der FATF geprüft, so wird dieser Zyklus künftig auf rund sechs Jahre reduziert. Dies war eines der Ziele, die sich Pleyer für seine Amtszeit vorgenommen hatte. „Mit anderen Worten: Die Daten sind aktueller, der Druck auf die Länder ist höher“, sagt er. „Denn der Prüfungsdruck ist eine starke Motivation, um Geldwäsche effektiv zu bekämpfen.“
Knackpunkt Transparenz
Ein anderes, ihm persönlich wichtiges Ziel sei, die Transparenz von wirtschaftlichen Eigentümern zu verbessern, sprich herauszufinden, wer hinter komplexen Gesellschaftsstrukturen und Konstrukten von Briefkastenfirmen steckt. Skandale wie Panama und Pandora Papers hätten verdeutlicht, dass man nicht weitermachen könne wie bisher, erzählt Pleyer. „Unser Standard funktionierte nicht. Die Länder hatten zu viel Freiraum und ihn im Sinne einer Minimallösung ausgenutzt. Deshalb habe ich mich sehr dafür eingesetzt, dass wir unsere Standards verschärfen – was nicht einfach war.“
In Briefen an Minister und in persönlichen Gesprächen unter anderem mit US-Finanzministerin Janet Yellen und deren kanadischer Amtskollegin Chrystia Freeland habe er auf die Dringlichkeit, hier nachzubessern, verwiesen, insbesondere auf die Notwendigkeit, Transparenzregister einzuführen. Die gibt es in Deutschland und Europa, nicht aber in den USA, in Japan oder Kanada.
Nachdem schließlich im März ein verschärfter Standard beschlossen wurde, über den das europäische Modell der Transparenzregister global umgesetzt werden soll, könnten diese in einem weiteren Schritt miteinander vernetzt werden, um so Eigentümerstrukturen zu durchblicken. Mit nachhaltigem Effekt, ist sich Pleyer sicher. Zwar gebe es keine perfekten Lösungen, weil auch die Kriminellen neue Wege finden. „Aber die Möglichkeiten, Geld zu verstecken, nehmen erheblich ab.“ Aktuell zeigen auch die Sanktionen des Westens gegen Russland, wie schwierig es ist, den wahren Eigentümern von Geldern, Jachten, Businessjets oder Villen auf die Spur zu kommen. Hier spielen Transparenzregister eine große Rolle. Bis es so weit ist, dauert es aber: Nach der bereits entwickelten, aber noch zu beschließenden FATF-Guidance, die Einzelheiten klärt und Ländern Handlungsanleitungen gibt, könnten ein bis drei Jahre ins Land gehen, bis ein Transparenzregister in einem Land errichtet ist. Mit Beginn der fünften Länderprüfungsrunde, also 2025, werde das dann von der FATF kontrolliert, stellt Pleyer in Aussicht.
Zum Besseren entwickelt hat sich ihm zufolge in den vergangenen zehn Jahren die Technical Compliance, also die Umsetzung von FATF-Standards in nationales Recht. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht konstatiert die FATF, dass 76% der geprüften Staaten die FATF-Standards zufriedenstellend in Gesetze und Rechtsverordnungen umgesetzt haben. 2012 waren es nur 36%. „Wo es hingegen hapert, ist die effektive Anwendung des Rechts, da liegen wir weltweit bei nur 21%“, sagt Pleyer.
Verbesserungswürdig ist seiner Ansicht nach auch das Abschöpfen von Vermögenswerten. Um Kriminellen den Anreiz für ihre Taten zu nehmen, müsse ihnen das illegal erworbene Geld abgenommen werden. Im FATF-Jahresbericht 2020–2021 ist davon die Rede, dass die meisten Länder dahingehend erhebliche Defizite aufweisen. Pleyer verweist auf Statistiken, denen zufolge weltweit nur 1% des kriminellen Geldes repatriiert wird. Mängel zeigten sich in der Strafverfolgung von komplexen grenzüberschreitenden Geldwäschefällen und an den Bemühungen zu verhindern, dass über Briefkastenfirmen Gelder gewaschen werden. Um Abhilfe zu leisten, müssten die erforderlichen Mittel bereitgestellt werden, appelliert Pleyer: „Die Regierungen müssen begreifen, dass Geldwäsche nur dann effektiv zu bekämpfen ist, wenn man dies in der Abwägung mit anderen Zielen hinreichend priorisiert und auch mit Ressourcen unterlegt.“
Was darüber hinaus die FATF unter seinem Nachfolger beschäftigen wird, sind die unbeabsichtigten Konsequenzen der FATF-Standards und ihrer Umsetzung. „Wir erleben immer mehr Staaten, die unsere Standards missverstehen oder auch missbrauchen, um Menschenrechtsorganisationen zu unterdrücken, um Arbeit der Zivilgesellschaft einzuschränken“, hat Pleyer beobachtet. Diskussionen gab es demnach etwa mit der Türkei oder Serbien, weil dort das Risiko bestand zu überziehen. In Nicaragua hat jüngst ein neues Anti-Geldwäsche- und Anti-Terrorismusfinanzierung-Gesetz unter anderem dazu geführt, dass etliche Nichtregierungsorganisationen ihre Arbeit einstellen mussten, da sie andernfalls in die Illegalität gerutscht wären. Solche Vorgehensweisen lehnt Pleyer klar ab: „Schon auf der gesetzlichen Ebene so weitgehende Einschränkungen vorzunehmen, dass Nichtregierungsorganisationen nicht mehr gegründet werden dürfen und sich die Zivilgesellschaft nicht mehr organisieren kann, geht zu weit.“
Blick auf Menschenrechte
Um das Problem in den Griff zu bekommen, was nicht nur wichtig für den Bestand von Zivilgesellschaften sei, sondern auch für die Reputation der FATF, habe er in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres ein Projekt aufgesetzt, um Lösungsansätze zu finden. Diese werden nun in Arbeitsgruppen erörtert, und letzten Endes müssen die Mitglieder im Konsens entscheiden. Vizepräsidentin Elisa de Anda Madrazo, die noch ein Jahr im Amt ist, nimmt sich der Sache an. „Wir werden in der fünften und teilweise auch schon in der laufenden vierten Prüfungsrunde darauf achten, dass Staaten nicht nur nicht zu wenig, sondern auch nicht zu viel machen und keine Bürger- und Menschenrechte einschränken.“
Zu den ungewollten Folgen von FATF-Standards zählen auch überbordende Risikovermeidung durch Banken, was finanzielle Exklusion zur Folge haben kann. So ziehen sich manche Finanzinstitute aus Sorge vor Geldwäscherisiken aus Korrespondenzbankbeziehungen zurück und lehnen potenzielle Neukunden ab oder entledigen sich bestimmter Bestandskunden.
Ein weiteres Thema, das Pleyer auf die Agenda gesetzt hat, was aber noch nicht umgesetzt werden konnte, ist die Digitalisierung von Daten. FATF und Mitgliedstaaten müssten stärker datengetrieben agieren, meint er, um die Arbeit auf eine solidere Grundlage zu stellen und digitale Tools besser für die Bewertung von Risiken und Abwehrmaßnahmen nutzen zu können. Daten sollten ihm zufolge standardisiert und regelmäßig erhoben werden. Das werde unter anderem zu Entlastungen bei Länderprüfungen führen und die Arbeitsergebnisse hinsichtlich verbessern.
Nächtelange Verhandlungen
Rückblickend auf seine Amtszeit habe ihn positiv überrascht, dass es trotz der vielen Herausforderungen in dieser Präsidentschaft am Ende immer wieder möglich war, ein Ergebnis zu erzielen. Manchmal allerdings nur unter sehr harten Bedingungen: in nächtelangen Verhandlungen etwa oder in Einzelgesprächen mit den 39 Delegationen, und das pandemiebedingt virtuell. „Nicht erwartet hatte ich den Aufwand, der nötig war, um als Präsident die Organisation am Laufen zu halten“, bekundet Pleyer. Zumal die Tätigkeit in der FATF ein Ehrenamt ist, zusätzlich zu seiner Arbeit als leitender Beamter im Bundesfinanzministerium. Um die Doppelbelastung zu mildern, habe er auf Entlastung durch das Ministerium zählen und sich ohnehin jederzeit auf seine Mitarbeiter verlassen können.
Als faszinierend bezeichnet es Pleyer, Dinge vorantreiben – Beispiel wirtschaftliche Eigentümer – und in der persönlichen Begegnung überzeugen zu können. „Es ist schon etwas Besonderes, an einem G20-Gipfel teilzunehmen“, sagt Pleyer, der dies zwar schon aus seiner Zeit als Büroleiter von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble 2011 bis 2014 kennt – allerdings nicht aber aus der ersten Reihe. Sein terminreicher letzter Tag als FATF-Präsident wird heute von Konferenzen, Abschlussgesprächen und einem abendlichen Gartenfest im Bundesfinanzministerium geprägt sein.
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