Peter Bosshard und Regine Richter

Kampagne will Assekuranz von Klima­sündern fernhalten

Das internationale Umweltbündnis „Insure Our Future“ will Versicherer davon abhalten, Geschäfte mit den Trägern fossiler Energie zu machen. Aus Sicht der Verantwortlichen Peter Bosshard und Regine Richter bleibt dabei noch viel zu tun.

Kampagne will Assekuranz von Klima­sündern fernhalten

Von Thomas List, Frankfurt

Es ist mittlerweile weitgehend Konsens: Die Nutzung fossiler Brennstoffe beschleunigt den Klimawandel. Es gilt daher, den Ausstieg aus fossilen Energieträgern zu beschleunigen. Aus Sicht verschiedener Nichtregierungsorganisationen kann die Versicherungswirtschaft einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie Kohle, Gas und Öl weder versichert noch in entsprechende Unternehmen investiert. Dieses Ziel verfolgt die globale Kampagne „Insure Our Future“, hinter der sich 27 Nichtregierungsorganisationen versammelt haben. In Deutschland ist die Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisation Urgewald dabei.

„Tragende Säule“ für Kohle

Für Projektleiter Peter Bosshard ist die Assekuranz „eine der tragenden Säulen der fossilen Brennstoffindustrie“, wie er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung sagte. „Eine Versicherungsdeckung ist unverzichtbar für große Projekte wie Kohlekraftwerke oder Kohleminen. Denn ohne eine Versicherung gibt es keine Finanzierung. Auch bestehende Anlagen brauchen einen Versicherungsschutz.“ Außerdem hätten Versicherer anders als Banken als professionelle Risikomanager schon seit Jahrzehnten vor Klimarisiken gewarnt – „die Munich Re erstmals 1973“, wie Bosshard anmerkt. Dennoch hätten alle großen Versicherer 2016 vor Beginn der Kampagne Projekte zum Ausbau des Kohlesektors versichert. „Es gab also eine große Diskrepanz zwischen den öffentlichen Stellungnahmen und dem Handeln im Versicherungsgeschäft.“ Daher könne die Kampagne hier schnell Fortschritte erzielen, sagt er.

Schon kurz nach Beginn der Kampagne im Februar 2017 kündigte die Axa als erster Versicherer an, keine neuen Kohleprojekte mehr zu versichern. „Damit war bewiesen, dass unser Ansatz realistisch ist.“ Die Kampagne setzt immer zuerst auf den Dialog mit den Versicherern und bedient sich dabei ihrer nationalen Bündnisteilnehmer wie Reclaim Finance in Frankreich sowie Urgewald in Deutschland. „Wir üben aber auch öffentlichen Druck aus – durch Meinungsbeiträge in Medien, Ansprache der Versicherungsmitarbeiter/-innen durch Aktionen vor den Unternehmenssitzen oder Inserate oder Online-Newsletter.“ Auch setzte die Kampagne auf „Peer Pressure­“, also auf eine Art Wettbewerb der guten Vorsätze im Kreis der Versicherer.

Schon im April 2017 kündigten die Verantwortlichen für das Jahresende die Veröffentlichung von Scorecards an, aus denen hervorging, welche Versicherer wie auf die Vorschläge der Kampagne eingegangen sind. „Das hat sehr schnell Fortschritte in unserem Sinne gezeitigt“, sagt Bosshard. Zuletzt wurde ein solcher Bericht 2021 veröffentlicht.

Konkret angesetzt hat Urgewald zuerst bei der Allianz. „Bei unseren Recherchen, wer in die Kohleindustrie investiert, kam die Allianz als große Kapitalsammelstelle immer wieder sehr prominent vor“, sagte Regine Richter von Urgewald. „Die Allianz hat dann nach der Axa 2015 erstmals angekündigt, aus den Kohleanlagen auszusteigen.“

Kapitalanlage leichter ändern

Versicherern falle es insgesamt leichter, ihre Kapitalanlagepolitik zu ändern als ihr eigentliches Versicherungsgeschäft. „Denn da gehen Beitragseinnahmen verloren.“ Dies habe die Allianz auf ihrer Hauptversammlung in diesem Jahr zwar bestätigt, aber darauf hingewiesen, dass der Konzern das Kohlegeschäft habe substituieren können, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Ausstiegs mithin nicht so dramatisch seien. Um dem Argument „Wenn wir es nicht mehr machen, machen es andere“ entgegenzutreten, ist das internationale Netzwerk der Kampagne wichtig, betonte Richter. „Wir prüfen Versicherer auch in den USA, Japan und Südkorea, ja selbst in China.“

Die Kampagne schlüsselte beispielsweise bereits auf, welche Gesellschaften Kohlekraftwerke in Polen versichert haben. Möglich war das mit Hilfe einer Datenbank, die Gewinner von Ausschreibungen öffentlicher Unternehmen auflistet. Für die Kampagne sei das ein wichtiger Schritt, sagt Richter. „Darüber haben sich die Versicherer nicht gefreut.“ Nach der Veröffentlichung im Februar 2018 begannen weitere Versicherer wie zuvor die Axa, Ausschlusskriterien zu formulieren und keine Kohlekraftwerke mehr zu versichern. Auch die Allianz tat das.

Eine harte Nuss sei für die Kampagne die Munich Re mit einer restriktiven Veröffentlichungspolitik. „Die haben immer gesagt: Wir machen ganz tolle Sachen. Aber wir sagen niemanden was davon.“ Inzwischen sei der weltgrößte Rückversicherer etwas offener geworden, findet Richter. Dies liege nicht zuletzt am seit 2017 amtierenden Vorstandschef Joachim Wenning. Auch durch Jean-Jacques Henchoz, seit 2019 in gleicher Funktion bei Hannover Rück, habe sich „sehr schnell sehr viel verändert“, findet Richter.

Kraftwerke kaum versicherbar

Insgesamt sieht die Kampagne im Kohlebereich bereits gute Fortschritte. „Neue Kohlekraftwerke sind heute kaum mehr versicherbar“, stellt Bosshard fest. Der Rückzug einiger größerer Versicherer 2018 habe zu einem deutlichen Anstieg der Beiträge für Kohleprojekte geführt. „Das hat ge­zeigt: Die verloren gegangene Kapazität konnte nicht einfach ersetzt werden.“ Dies liege auch daran, dass die finanzierenden Banken nicht jeden Versicherer akzeptierten. „So be­stehen zum Beispiel bei manchen chinesischen Versicherern Zweifel, ob sie im Schadenfall auch wirklich zahlen.“

Aber es gehe nicht nur um Kapazität, so Bosshard, sondern auch um das Fachwissen. „Bei milliardenschweren Projekten braucht es Versicherer mit sehr großem Sachverstand, die als Konsortialführer eine Due Diligence für alle Konsorten durchführen können. Die wenigen, die das können, haben sich ab 2018 von Kohlekraftwerksprojekten zu­rückgezogen.“ Zwar wurden sie ersetzt durch US-, Specialty-Versicherer sowie japanische und koreanische Versicherer. „Aber seit dem vorigen Jahr haben sich auch AIG und alle großen japanischen Versicherer von diesem Geschäft im Wesentlichen verabschiedet.“ Kohleminen könnten wohl noch versichert werden, da dort weniger Fachwissen und Kapazität erforderlich ist.

Bei Öl und Gas hinterher

Bosshard räumt aber ein: „Bei Öl und Gas sind wir noch nicht so weit.“ Im Kohlebereich hätten 39 Unternehmen entsprechende Grundsätze be­schlossen, bei Öl und Gas seien es erst zehn. „Erst in diesem Jahr haben große Versicherer wie Allianz und Swiss Re wirklich gehaltvolle Ausschlussgrundsätze bekannt gegeben.“ Den Einwand mancher Unternehmen, dass andere Versicherer die umstrittenen Geschäfte aufnehmen könnten, lässt Bosshard nicht gelten. „Wenn Versicherungen ihre Selbstverantwortung nicht wahrnehmen, braucht es staatliche Regulierungen.“ Der Ukraine-Krieg habe gezeigt, dass Regierungen sehr schnell Maßnahmen ergreifen können, auch im Versicherungswesen. „Vorerst appellieren wir aber an die Eigenverantwortung der Versicherer.“

Bei der Frage, wie die Klimaschützer ihre Anliegen am besten durchsetzen können, setzt Bosshard auf einen Strauß von Einflussfaktoren. „Führungspersönlichkeiten spielen durchaus eine Rolle. Wir zielen aber auch auf zukünftige Mitarbeiter. Praktisch alle Versicherer müssen in den kommenden zehn Jahren einen großen Teil ihrer Belegschaft aus demografischen Gründen ersetzen. Diese jungen Fachkräfte interessiert die Position ihrer Arbeitgeber zu Klimafragen. Wir wollen die potenziellen Versicherungsmitarbeiter speziell über die Universitäten sensibilisieren.“

Öffentlicher Druck

Für die Zukunft hat sich „Insure Our Future“ vorgenommen, den Ausstieg aus Öl- und Gasprojekten zu beschleunigen. Die „Net-Zero Insurance Alliance“, der in Deutschland Allianz, Hannover Re und Munich Re angehören, hat sich etwa dazu verpflichtet, die Emissionen von Treibhausgasen in ihren versicherungstechnischen und Kapitalanlage-Portefeuilles bis 2050 auf netto null zu reduzieren und bis 2030 zu halbieren. „Das muss jetzt konkret um­gesetzt werden“, fordert Bosshard. Es gebe viele Bereiche wie Schwerindustrie und chemische In­dustrie, bei denen man mit Ausschlusskriterien nicht weiterkomme. „Dort braucht es Protokolle zur Messung, Veröffentlichung und Reduktion der versicherten Emissionen. Wir müssen sicherstellen, dass diese Protokolle und die Verpflichtungen, die die Unternehmen eingehen, auch wirklich den wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen.“

Die Kampagne setzt aber auch auf öffentlichen Druck. „Bei großen Projekten wie der East African Crude Oil Pipeline oder der Carmichael Mine in Australien werden Versicherer aufgefordert, sich nicht zu engagieren – mit dem Ziel, diese Projekte zu verhindern“, sagt Richter. Die Kampagne beobachtet die Klimapolitik der Unternehmen sehr genau. Vier Datenbanken (siehe Textkasten) listen detailliert für Banken, Versicherer und institutionelle Investoren auf, welche Grundsätze sie bei ihren Engagements in der Kohle- sowie der Öl- und Gasindustrie verfolgen sollten und welche Energieunternehmen trotz der Klimakrise ihre fossilen Geschäfte fortsetzen. Für die Umweltaktivisten bleibt jedenfalls viel zu tun.

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