Wefox

Kaum Schrammen

Nach 320 Mill. Dollar im Vorjahr zielt CEO Julian Teicke für 2022 auf 600 Mill. Dollar. Da kann es Wefox verschmerzen, dass das zunächst kolportierte Bewertungsband von 5 bis 6 Mrd. Dollar verfehlt wurde – ganz ohne Schrammen kommt niemand durch.

Kaum Schrammen

Als vor drei Wochen bekannt wurde, dass das Berliner Insurtech Wefox vor einer neuen Finanzierung steht, hatten viele bereits aufgehorcht. Denn die Stimmung in der Branche ist nach deutlichen Bewertungsabschlägen im Tech-Sektor eingetrübt. Ein Unternehmen braucht in diesem Umfeld solide Kennzahlen, um eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Dass es für Wefox nun bei Aufnahme von 400 Mill. Dollar zu einem Bewertungsplus von 50% auf 4,5 Mrd. Dollar gereicht hat, ist ein Zeichen der relativen Stärke. Diese dokumentiert sich im Beitragswachstum: Nach 320 Mill. Dollar im Vorjahr zielt CEO Julian Teicke für 2022 auf 600 Mill. Dollar.

Da kann es Wefox verschmerzen, dass das zunächst kolportierte Bewertungsband von 5 bis 6 Mrd. Dollar verfehlt wurde – ganz ohne Schrammen kommt niemand durch und es ist angemessen, einen Discount hinzunehmen, nachdem die Ära der „irrational exuberance“ im Fintech-Segment ihr Ende gefunden hat. Auch wenn jetzt einige über die Klinge springen – das Start-up der Neffen­ von Bundeskanzler Olaf Scholz etwa erhielt keine Anschlussfinanzierung – ist in Investorenkreisen doch zu hören, dass in Berlin eine rege Tätigkeit herrscht. Der kluge Investor handelt antizyklisch und nutzt den Bärenmarkt für günstige Einstiegspreise.

Es sieht also nicht übel aus für den deutschen Fintech-Sektor, allen landestypischen Defiziten aus Digitalisierung und Verwaltungs-Overkill zum Trotz. Mit Wefox hat der Finanzplatz ein Insurtech, das man sich andernorts wünscht. Denn die Berliner kristallisieren sich in Europa als Insurtech Nummer eins heraus, das den Retail-Markt adressiert. Der Blick auf den US-Star Lemonade ist aufschlussreich: Der Börsenwert ist auf 1,3 Mrd. Dollar gesunken, nachdem die Gesellschaft zuletzt einen Quartalsverlust von 75 Mill. Dollar meldete. Für das laufende Geschäftsjahr stellt Lemonade Erlöse von gut 200 Mill. Dollar in Aussicht – das ist weniger, als Wefox im Vorjahr erreicht hatte.

Voll auf den Digitalkanal fokussierte Insurtechs bringen den Vertrieb nicht so gut in Gang wie eine Wefox, die neben eigenen auch Fremdprodukte auf ihre Plattform nimmt, an die wiederum die klassische Maklerwelt angeschlossen ist. Eine solche offene Konstellation braucht zudem weniger Frontloading bei den Kosten. Vor dem Hintergrund nimmt Wefox nun Geld in die Hand, um zum einen weitere Assekuranzprodukte zu entwickeln und zum anderen den Vorstoß in vier weitere europäische Länder zu finanzieren. Und da die Gesellschaft ein funktionsfähiges Geschäftsmodell hat, ist der Abenteuerfaktor begrenzt.

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