„Panzer lassen sich nicht mit Wattebäuschen aufhalten“
Jan Schrader.
Herr Kölsch, eine Allianz aus Kirchen- und Nachhaltigkeitsbanken ruft dazu auf, wegen des Angriffs von Russland auf die Ukraine Geschäftsbeziehungen zu hinterfragen und zu beenden. Müssen nachhaltige Investoren russische Unternehmen boykottieren?
Der russische Staat war für viele verantwortungsvolle Investoren bereits vor dem Angriff nicht investierbar, so dass russische Staatsanleihen oder auch staatliche und staatsnahe Unternehmen für eine nachhaltige Geldanlage nicht in Frage kamen. Auch eine direkte oder indirekte Finanzierung des Angriffskriegs ist selbstverständlich nicht mit Nachhaltigkeit vereinbar. Ob Geldgeber über Sanktionsbestimmungen hinaus grundsätzlich keine russischen Unternehmen finanzieren sollten, ist hingegen eine politische Frage und eine Abwägungssache. Darauf gibt es in der nachhaltigen Kapitalanlage keine einheitliche Antwort. Hier kommt es letztlich auf die Anlagerichtlinien der Assetmanager an.
Als Geschäftsführer der Gesellschaft QNG, die das Fondssiegel des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) betreut, prägen Sie ESG-Kriterien mit. Warum werfen Sie nicht alle russischen Wertpapiere aus den Fonds?
Es gibt bestimmt auch einige Unternehmen in Russland, die nichts mit dem Krieg zu tun haben. Man will ja Wladimir Putin und seinem Macht- und Kriegsapparat schaden, nicht unbedingt dem ganzen Land. Russische Staatsanleihen und einige einschlägige Staatsunternehmen finden Sie aber bereits heute in keinem der ausgezeichneten Fonds. Wir haben unseren SRI-Qualitätsstandard für den Markt entwickelt, und zwar gemeinsam mit Endanlegern, NGOs, Assetmanagern, Ratingagenturen, Kirchen und der Wissenschaft. Dieser Kreis hat die Ausschlusskriterien für Waffen und Länder grundsätzlich mitgetragen. Aber den Assetmanagern bleibt ein gewisser Spielraum, so dass russische Wertpapiere je nach Anlagekonzept nicht per se aus den ausgezeichneten Fonds ausgeschlossen sind.
Aus der Waffenindustrie wird der Ruf laut, die Branche im Rahmen der geplanten Sozialtaxonomie der EU als nachhaltig einzustufen: Sicherheit sei die „Mutter aller Nachhaltigkeit“, hatte etwa der deutsche Branchenverband BDSV schon zuvor argumentiert. Was halten Sie davon?
Die Debatte darüber, inwiefern die Rüstungsindustrie zur Sicherheit beiträgt, ist natürlich berechtigt. Russische Panzer lassen sich jedenfalls nicht mit Wattebäuschen aufhalten. Die EU-Taxonomie soll aber Wirtschaftsaktivitäten definieren, die zu gesellschaftlichen gewollten Zielen beitragen, etwa zu Umwelt- und Klimaschutz oder zu sozialen Anliegen. Ebenso ist sie für die Finanzierung der großen Transformation gedacht. Mit beidem hat Rüstung nichts zu tun. Keiner von uns Nachhaltigkeitsleuten denkt, dass die Rüstungsindustrie zu den ausdrücklich nachhaltigen Branchen zählen sollte. Das würde auch die Glaubwürdigkeit der Taxonomie beschädigen, nachdem die EU-Kommission bereits die Atomkraft aufgenommen hat.
Aber die kollektive Sicherheit ist auch ein gesellschaftliches Ziel.
Die meisten gewöhnlichen Unternehmen und Branchen verfolgen ein Geschäftsmodell, das nicht per se schädlich ist oder eine wichtige Funktion hat – inwiefern die Waffenindustrie dazu gehört, kann man sicher diskutieren. Das heißt aber noch lange nicht, dass diese Unternehmen allesamt in die Taxonomie aufgenommen werden sollten, denn das würde das System verwässern.
Besteht die Gefahr, dass Rüstungsunternehmen kein Geld mehr von Banken oder Investoren erhalten?
Diese Warnung halte ich für übertrieben. Nur weil die Rüstungsindustrie wahrscheinlich kein Bestandteil der Taxonomie sein wird oder auch das FNG-Siegel die Branche ausschließt, geht eine Rheinmetall nicht pleite. Allerdings scheint es für kleine und mittelständische Betriebe aufgrund der Geschäftspolitik vieler Banken tatsächlich Finanzierungsprobleme zu geben. Das liegt aber nicht in der Taxonomie begründet. Und wenn der Staat einen hohen Verteidigungshaushalt für wichtig erachtet, wird er auch Wege zur Finanzierung derer finden, die keinen klassischen Finanzierungszugang mehr haben.
Was eine nachhaltige Geldanlage ausmacht, ist umstritten. Bleibt da vielleicht doch noch Raum für nachhaltige Fonds, die auch in Rüstungstitel investieren?
Jeder könnte Rüstungstitel in ESG-Fonds packen. Aber eine Fondsgesellschaft müsste diese Entscheidung dann auch begründen können. Das wäre nicht leicht – gerade, wenn man keine sonstige Ausschlusspolitik verfolgt oder auf nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen eingeht. Wer garantiert, dass Waffen zum Beispiel nur für die Sicherheit von demokratischen Staaten verwendet und nicht etwa für Angriffskriege missbraucht werden? Ein Fonds müsste also sehr genau darlegen, nach welchen Kriterien er Rüstungstitel auswählt, das Prinzip „Do no significant harm“ wäre leicht verletzt. Selbst dann wären die meisten nachhaltig orientierten Anleger vermutlich nicht damit einverstanden, dass ihr Geld in Rüstung fließt. Und auch die EU dürfte ihre Vorgaben künftig noch konkretisieren.
Wurde in der Fondsbranche denn bereits die Forderung laut, die Kriterien des Fondssiegels zu verändern?
Wir spüren bislang keinen Druck, das Siegel hinsichtlich Waffen und Rüstung anzupassen. Bisher hat uns keine Anfrage erreicht.
Das Interview führte