Jens Hachmeister

„Paradigmen­wechsel in der Wertpapier­industrie“

Die digitale Nachhandelsplattform D7 der Deutschen Börse bedeutet einen Einschnitt in der Wertpapierbranche, so Managing Director Jens Hachmeister. Wertpapiere würden erstmals zu digitalen Objekten.

„Paradigmen­wechsel in der Wertpapier­industrie“

Christopher Kalbhenn.

Herr Hachmeister, die Deutsche Börse führt demnächst die digitale Nachhandelsplattform D7 ein. Welche Bedeutung hat dieses Projekt?

Es bedeutet einen Paradigmenwechsel in der Wertpapierindustrie. Die letzten Dekaden waren dadurch gekennzeichnet, dass sowohl Marktinfrastrukturanbieter als auch Marktteilnehmer Prozesse und Infrastruktur digitalisiert haben. Das heißt, Marktfunktionalitäten waren häufig weiterhin zentral und bis zu einem gewissen Grad interoperabel. Die Finanz- und Wertpapierindustrie hat zwar in vielen Bereichen die Digitalisierung ihrer Prozesse vorangetrieben, hat aber bisher noch nicht den Schritt hin zu einem wirklich digitalen Produkt gemacht, wie es andere Industrien bereits getan haben. Ein Beispiel ist die Musikindustrie, die einen Song in Form einer MP3 zum digitalen Objekt macht. Das ermöglicht, nicht nur diesen Song digital zu produzieren, sondern ihn auch zu übertragen, ihn zu verändern oder ihn zu kopieren. Ein weiteres Beispiel ist die Fotografie mit digitalen Fotos im JPEG-Format.

Es entsteht also das digitale Wertpapier. Wie funktioniert das?

D7 als Infrastruktur ermöglicht den Schritt hin zum Wertpapier als entmaterialisiertes, also digitales, Objekt. Dieses digitale Wertpapier wird außerdem mit Intelligenz aufgeladen; es wird also ein smartes Objekt. Das bedeutet, dass wir dieses digitale Wertpapier über seinen gesamten Lebenszyklus von der Emission bis hin zur Tilgung modellieren. Zusätzlich werden entlang dieses Lebenszyklus‘ schon gewisse Ereignisse wie Zinszahlungen oder Knock-outs bei Zertifikaten und Optionsscheinen einbezogen. So kann sich das Wertpapier selbst administrieren. Ferner werden wir dieses digitale Wertpapier bzw. dessen Daten dezentral verfügbar machen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass wir im ersten Schritt auf Distributed-Ledger-Technologie zurückgreifen. Wir werden zuerst die einheitliche Datenbasis unterschiedlichen Nutzern zur Verfügung stellen. Man kann es das Streaming der Finanzindustrie nennen. D7 ist also eine Plattform oder ein Netzwerk, in dem alle unterschiedlichen Arten von Teilnehmer- und Interessengruppen eines Marktsegments auf Basis derselben Datenbasis arbeiten und diese für unterschiedlichste Prozesse nutzen.

Steht damit eine Umwälzung der Marktstrukturen bevor?

Wir werden die Marktstrukturen nicht auf den Kopf stellen. Aber wir werden uns den Marktstrukturen ganz anders nähern, als wir dies in den letzten Dekaden getan haben. Das ist ein logischer Schritt, weil wir zum einen verbindliche, rechtliche Rahmenbedingungen haben. Zum anderen ermöglichen neue Technologien wie DLT, aber auch Cloud, die Entwicklung solcher neuen Infrastrukturlösungen. Hinzu kommt die Marktnachfrage, der Trend zu digitalen Assets, auch getrieben durch die Entwicklung im Bereich Kryptowährungen. All dies macht die Idee, unterschiedliche Assets zu digitalisieren und zu smarten Objekten zu machen, auch für unsere Industrie adaptierbar.

Was haben die Marktteilnehmer von dem Projekt?

Wir schaffen neue Marktinfrastruktur natürlich nicht zum Selbstzweck, sondern wir wollen damit die Wertpapiermärkte effizienter, sicherer und für die Nutzer kostengünstiger machen. Wir werden durch das digitale Wertpapier eine untertägige Emission eines Wertpapiers ermöglichen, was heute noch nicht geht. Die Emittenten können viel zielgenauer emittieren und damit werden weniger Optionsscheine und Zertifikate frühzeitig ausgeknockt, bevor sie überhaupt zum Listing oder Handel zugelassen werden. Dadurch, dass wir eine einheitliche Datenbasis schaffen, eine Golden Source, reduzieren wir auch Abstimmungsaufwände. All diese Aspekte der nächsten Stufe der Markteffizienz sind aus unserer Sicht in diesem ersten Marktsegment für Zertifikate und Optionsscheine gegeben.

Sprechen wir hier über substanzielle Kostenvorteile?

Eine Infrastruktur skaliert immer mit der Nutzung. Das gilt für bestehende zentrale Infrastrukturen und das wird auch für dezentrale Marktinfrastrukturen der Fall sein. Mittel- bis langfristig werden die Kosteneffekte durchaus substanziell sein. Je mehr Wertpapiere und Anlageklassen wir als digitale Objekte auf dezentraler Marktinfrastruktur begeben, handeln und verwalten können, desto stärker werden sich zum Beispiel die Kosten für den Betrieb der Back Offices der Teilnehmer reduzieren. Durch die Selbstverwaltung dieser smarten Objekte werden Kosten wie zum Beispiel im Asset Servicing wegfallen. Mittelfristig werden wir auch eine substanzielle Zunahme an Geschwindigkeit und auch neue Arten von digitalen Wertpapieren und Finanzwerten sehen. Aber wie bei anderen Infrastrukturen auch bezahlt die erste Transaktion nicht die gesamte Investition. Ein Beispiel: Wenn ich ein Auto auf einer Autobahn fahren lasse, wird es nicht die Kosten für einen Autobahnkilometer herausfahren. Aber wenn ich diese Autobahn für ganz unterschiedliche Arten von Vehikeln baue, dann kann man damit einen breiten Nutzen generieren, der für die einzelnen Teilnehmer kostengünstiger wird.

Wie ist die Resonanz des Marktes auf das Projekt?

Die Resonanz des Marktes auf das Projekt ist sehr positiv. Wir haben bereits vor mehr als zwölf Monaten damit angefangen, für Zertifikate und Optionsscheine gemeinsam mit einer Gruppe von europäischen Emittenten die entsprechenden Eckpunkte der Marktinfrastruktur zu definieren. Somit gab es schon in einer sehr frühen Phase eine breite Gruppe an potenziellen Nutzern. Ein Teil dieser Nutzer wird ab Ende dieses Jahres in die Testphase gehen. Besonders erfreulich für uns ist, dass die Ankündigung von D7 als Infrastruktur für digitale Wertpapiere eine breitere Nachfrage nach weiteren Asset-Klassen und für weitere Nutzungsmöglichkeiten ausgelöst hat. Diese Resonanz ist für uns ein wichtiger Impulsgeber für die Weiterentwicklung von D7 in Bezug auf zukünftige Marktsegmente, die wir dann digitalisieren wollen. Das werden wir natürlich immer im Rahmen dessen machen, was die Gesetzeslage in Deutschland und in anderen europäischen Ländern zulässt.

Wie sehen die Schritte der Errichtung der neuen Marktinfrastruktur im Einzelnen aus?

Wir gehen zunächst in zwei Schritten vor. Im November werden wir das sogenannte zentrale digitale Register an den Markt bringen. Hier werden wir eine entmaterialisierte Niederlegung der Wertpapiere bei uns in der Clearstream Banking Frankfurt, also im deutschen Zentralverwahrer, ermöglichen. Der zweite Schritt ist, dass wir im Juni nächsten Jahres das sogenannte Digital Instrument hinzufügen, also die Möglichkeit, die Datenbasis für digitale Wertpapiere direkt digital zu erzeugen. Allgemeine Geschäftsbedingungen, Stammdaten und die wesentlichen Ereignisse entlang des Lebenszyklus werden als Golden Source digital abgebildet. Diese beiden Schritte stehen insbesondere im Einklang mit dem Gesetz über elektronische Wertpapiere, das Anfang Juni durch die Gremien der Bundesregierung ratifiziert wurde. In weiteren Schritten werden wir dezentrale Infrastrukturkomponenten von D7 ausbauen. Auch hier sind entsprechendes Marktinteresse und geeignete Marktsegmente von essenzieller Bedeutung.

Das Interview führte