Gastbeitrag

Preise von Wohnimmobilien steigen vorerst weiter

Europäische Wohnimmobilien wurden im ersten Halbjahr 2022 erneut teurer. Die nachlassende Transaktionstätigkeit spricht aber dafür, dass sich der Aufwärtstrend zukünftig abflachen dürfte.

Preise von Wohnimmobilien steigen vorerst weiter

Wohnimmobilien verzeichneten auch während der Corona-Pandemie eine kontinuierlich aufwärtsgerichtete Preisentwicklung. Zur Messung der Wohnimmobilienpreise findet der HPI (House Price Index) Verwendung, der neben Häusern auch Wohnungen unabhängig vom Verwendungszweck (Selbstnutzung oder Vermietung) umfasst und von Eurostat veröffentlicht wird.

Das Kalenderjahr 2021 war das Jahr mit der stärksten Preisentwicklung seit dem Start der Zusammenstellung von Hauspreisen auf europäischer Ebene im Jahr 2005. Das erste Quartal 2022 zeigte sogar ein noch höheres Wachstum im Vorjahresvergleich. Die jetzt vorliegenden Daten zum zweiten Quartal 2022 mögen überraschen.

Kräftige Zuwächse

Alle europäischen Länder verzeichneten erneut meist kräftige Immobilienpreiszuwächse, die auf EU-Ebene mit +9,9% gegenüber +10,4% im ersten Quartal 2022 nur marginal schwächer ausgefallen sind. Alle europäischen Länder meldeten auch im direkten Vergleich zum Vorquartal Zuwächse zwischen 0,5% (Schweden) und 8% (Estland).

Bei der Zusammenfassung beider Quartale, d.h. im ersten Halbjahr 2022 (siehe Grafik), stehen an der Spitze Estland mit +24,2%, Tschechien mit +23,8%, Ungarn mit +22,2% und Litauen mit +20,6%. Dann folgen die Niederlande (+18,7%) und Lettland (+16,9%). Unter unseren Nachbarn verzeichneten Österreich (+13,5%) und Polen (+13,0%) ein stärkeres Wachstum der Wohnimmobilienpreise als Deutschland und Luxemburg (je­weils +10,9%). Eine schwächere Zunahme als der EU-Durchschnitt (+10,1%) meldeten Frankreich (+7,1%), Belgien (+6,2%) sowie Dänemark (+3,5%). Außerhalb der EU verzeichnete die Schweiz einen Anstieg von 7,2%. Das schwächste Preiswachstum meldete im ersten Halbjahr 2022 Zypern mit +1,6%, wobei dort als einzigem EU-Mitgliedstaat 2021 die Wohnimmobilienpreise zurückgingen (−3,4%).

In regionaler Betrachtung ist be­merkenswert, dass zu den wenigen Ländern mit einem schwächeren Wachstum als 2021 neben Deutschland, Belgien und Luxemburg alle nordeuropäischen EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegen zählten. Die südeuropäischen Länder verzeichneten dagegen ohne Ausnahme im ersten Halbjahr einen kräftigeren Anstieg als 2021, der allerdings in Spanien, Italien, Zypern und Griechenland unter dem EU-Durchschnitt lag.

Gegen eine weiterhin stark aufwärtsgerichtete Preisentwicklung spricht die Analyse der Transaktionsdaten. Diese liegen auf europäischer Ebene zwar für viele Nachbarstaaten vor, nicht jedoch für Deutschland selbst. 2021 schwankte die Entwicklung der Anzahl der Transaktionen zwischen −3,2% in den Niederlanden, −0,8% in Luxemburg und +2,4% in Dänemark am unteren Ende sowie +16,9% in Belgien und +19,6% in Polen am oberen Ende. Dagegen verzeichneten im ersten Halbjahr 2022 alle an Eurostat meldenden Nachbarstaaten Rückgänge, die zwischen −4,2% in Frankreich und −28,7% in Dänemark lagen.

Das wertmäßige Volumen der Transaktionen erhöhte sich 2021 in allen meldenden EU-Staaten und schwankte unter den Nachbarstaaten zwischen +10% in Luxemburg, +11% in den Niederlanden sowie +12% in Dänemark am unteren Ende sowie +26% in Belgien, +27% in Tschechien und +34% in Polen am oberen Ende. Dagegen verzeichneten im ersten Halbjahr 2022 nur noch acht von 13 meldenden EU-Staaten einen Anstieg, darunter mit Frankreich (+2%) und Belgien (+14%) nur zwei Nachbarstaaten. Österreich und Luxemburg (jeweils −2%), die Niederlande (−10%) und Dänemark (−30%) verzeichneten indessen Rückgänge.

Aufholprozess ist im Gang

Das starke Wachstum der Hauspreise in den vergangenen Jahren ist in längerfristiger Betrachtung für einen Teil der Länder lediglich ein noch nicht abgeschlossener Aufholprozess nach kräftigen Rückgängen im Gefolge der Finanzkrise. So haben insgesamt vier der 19 Länder des Euro-Währungsgebietes – auch unter Berücksichtigung der besonders positiven Entwicklung bis zum ersten Halbjahr 2022 – noch immer nicht das Wohnimmobilienpreisniveau von vor der Finanzkrise überschritten. Eine Lücke zu den Höchstständen besteht weiterhin in Spanien, Italien, Zypern und Griechenland. Auf der anderen Seite verzeichneten in längerfristiger Betrachtung die Wohnimmobilienpreise unserer Nachbarländer Luxemburg und Österreich mehr als eine Verdoppelung im Vergleich zu 2010. Deutschland und Tschechien könnten dies voraussichtlich 2022 ebenfalls erreichen. Dies reflektiert die in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich verlaufene Entwicklung bei den Wohnimmobilienpreisen.

In Deutschland wirkt die Entwicklung der Baupreise für Wohngebäude nicht dämpfend auf die Wohnimmobilienpreisentwicklung. Herrschte im zweiten Halbjahr 2020 hier – mitbedingt durch Corona-Effekte – noch Preisstabilität, war im Zeitraum April bis September 2022 ein Anstieg um 17% gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu verzeichnen.

Die im Zuge der jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen insbesondere in der Ukraine einsetzenden Bevölkerungsbewegungen, die in Deutschland im ersten Halbjahr 2022 mit mehr als 84 Millionen Einwohnern zu einem neuen Bevölkerungs-Höchststand geführt haben, werden die Nachfrage nach Wohnraum in vielen Teilen Europas erhöhen. Dies betrifft zuerst den Mietwohnungsmarkt, was aber auch verzögert die Wohnimmobilienpreise beeinflussen dürfte.

Ambivalente Wirkung

Die verknappte Liquidität und die gestiegenen Zinsen haben sich zwar bisher bereits auf die Transaktionsvolumina, jedoch noch nicht auf die vereinbarten Kaufpreise marktberuhigend ausgewirkt. Daten für das dritte Quartal des laufenden Jahres werden erst im Januar 2023 vorliegen. Aufgrund des auch zuletzt noch hohen Anstiegs bei den Wohnimmobilienpreisen ist damit zu rechnen, dass im laufenden Jahr insgesamt ein weiterer, allerdings etwas ermäßigter Anstieg im Vorjahresvergleich eintreten könnte.

Zusammenfassend lassen die vorliegenden Daten in der nächsten Zeit somit zwar keine Preisumkehr bei Wohnimmobilien, wohl aber niedrigere Preissteigerungsraten erwarten.