Scholz verspricht politischen Rückenwind bei Kapitalmarktunion
Scholz verspricht Rückenwind bei Kapitalmarktunion
Kanzler will Thema auf politische Agenda heben – Deutsche-Bank-Chef Sewing wirbt für tiefen EU-Finanzmarkt zur Transformationsfinanzierung
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat der deutschen Finanzwirtschaft zugesagt, sich nach der Europawahl in Brüssel für die rasche Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion und den Abbau von Berichtspflichten einzusetzen. Bankenpräsident Christian Sewing unterstrich die zentrale Bedeutung tiefer Kapitalmärkte in Europa.
wf/ahe Berlin
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will die Kapitalmarktunion und die Bankenunion zu einem politischen Thema „größter Priorität“ machen. „Es ist meine Überzeugung, dass der wesentliche Unterschied für die Wachstumsperspektiven der USA oder Europas in der fehlenden Kapitalmarktunion und auch der fehlenden Bankenunion liegt“, sagte Scholz beim Bankentag 2024 des Bundesverbandes deutscher Banken vor Vertretern des privaten Kreditgewerbes. „Die Banken und internationale Finanzinvestoren stehen bereit, scheitern jedoch häufig an national organisierten Kapitalmärkten in Europa“, konstatierte der Kanzler. Die Weiterentwicklung von Bankenunion und Kapitalmarktunion müsse verlagert werden – weg von Fachausschüssen und hin auf die politische Agenda.
Die Bankenseite begrüßte die klare Positionierung von Scholz. Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), Christian Sewing, verwies auf die Bedeutung tiefer Kapitalmärkte für die Finanzierung der Transformation. Um Klimaneutralität zu erreichen, seien jährliche Investitionen von 600 Mrd. Euro notwendig. „Ohne die Kapitalmarktunion ist der Green Deal tot“, warnte der Deutsche-Bank-Chef in Berlin. Die politische Bedeutung, die die Kapitalmarktunion aktuell erreicht habe, dürfe jetzt nicht von Technokraten und Arbeitsgruppen zerredet werden, ergänzte der Vorstandsvorsitzende der Commerzbank, Manfred Knof. Hier brauche es jetzt politische Führung.
Wachstumsbeschleuniger
Sollte es nicht gelingen, die Größe des europäischen Kapitalmarkts voll zu entfalten, hieße dies auf Wachstum zu verzichten, stellte Scholz fest. Dies könne kein staatlicher Investitions- oder Innovationsfonds ersetzen. Der Staat könne helfen, aber er könne kein privates Kapital ersetzen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)Wir brauchen mehr Dynamik, wir brauchen mehr Fortschritt und wir brauchen mehr Bereitschaft, alte Zöpfe abzuschneiden.
Sewing kritisierte, dass Europa aktuell nicht nur ein Exporteur von Waren, sondern auch von Kapital sei. Nötig sei ein einheitlicher Markt und nicht eine Fragmentierung in 27 Märkte. Die Kapitalmarktunion könne für Europa der Wachstumsschritt sein, so der BdB-Präsident. Dies müssten auch die Banken besser erklären. Ausdrücklich forderte Sewing in diesem Zusammenhang eine Stärkung des Verbriefungsmarktes. Hier seien kleine Schritte auch im weiteren Jahresverlauf notwendig. Verbriefungen seien „eine Brückentechnologie“ auf dem Weg zu einer tiefen Kapitalmarktunion.
Kapitalmarktaufsicht bündeln
Beim Kanzler stießen die Mahnungen auf offenen Ohren. Konkret will Scholz bei der Harmonisierung der Kapitalmarktaufsicht vorankommen. Es müsse nicht alles gleich an einer Stelle zusammengefasst werden, aber eine Bündelung solle zusammenpassen. Gestärkt werden soll auch der Verbriefungsmarkt zur Finanzierung der Realwirtschaft. Zudem sollen Privatanleger Zugang zu einer breiteren Palette von Finanzprodukten erhalten. Deutschland dringt in der EU auch auf gemeinsame Steuerstandards und die Harmonisierung des Insolvenzrechts.
Auch Scholz trat dafür ein, kleine Schritte bei der Kapitalmarktunion zu gehen. Er baut zudem auf eine gewisse Beweglichkeit und Kompromissfähigkeit der EU-Länder. Am nationalen Regelwerk müssten damit zugunsten des Vorteils der Harmonisierung Abstriche hingenommen werden: Womöglich gebe es 27-mal das beste Insolvenzrecht der Welt, sagte der Kanzler. Besser wäre aber, zu einem zweitbesten und dafür einheitlichen Insolvenzrecht zu kommen.
Auch die Vollendung der Bankenunion will Scholz vorantreiben. Die Bankenunion sei mehr als nur ein gemeinsames Sicherheitsnetz, betonte er mit Blick auf die vereinheitlichten Regeln zu Aufsicht und Abwicklung nach der Finanzkrise. „Wir brauchen einen gemeinsamen Markt für Bankdienstleistungen.“ Auf der Agenda der Bundesregierung steht auch eine von den international agierenden Banken schon lang eingeforderte Öffnung: Grenzüberschreitend tätige Institute müssen Scholz zufolge volle Flexibilität haben, ihr Kapital und ihre Liquidität innerhalb der Bankenunion einzusetzen.
Hoffnung bei Berichtspflichten
Auf Unterstützung der Bundesregierung kann die Kreditwirtschaft bei der Revision der überbordenden Berichtspflichten in der EU hoffen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will 25% davon abbauen. Scholz versprach, darauf zu achten, dass die Finanzindustrie von diesem von der EU-Kommission eingeleiteten Bürokratieabbau profitiert. Die Regelungen seien an einigen Stellen über das Ziel hinausgeschossen. Das Finanzmarktregelwerk in der EU soll aus Berlins Sicht überprüft und vereinfacht werden. „Besonders bei den Berichts- und Meldepflichten gibt es da manches zu tun“, hielt Scholz fest.
Sewing bekräftigte in dem Zusammenhang, es müsse ein Ende „des Silicon Valley der Regulierung“ geben. Die überbordende Bürokratie betreffe nicht nur die Finanzwirtschaft, sondern alle Branchen. Nach Ansicht des Präsidenten des Bankenverbands geht es um einen Mentalitätswandel in der Regulierung. „Wir brauchen nichts weiter als eine neue Risikokultur in Deutschland“, so Sewing. Eine solche führe auch zu mehr Innovationskraft.