Senioren eröffnen Banken ungeahntes Ertragspotenzial
Von Tobias Fischer, Frankfurt
Angesichts der in der Pandemie befeuerten Digitalisierung der Bankgeschäfte und rapide fortschreitender Filialschließungen drohen ältere Bankkunden zusehends ins Hintertreffen zu geraten. Wie groß der Nachholbedarf schon jetzt ist, zeigt sich eingedenk der Tatsache, dass hierzulande nur jeder fünfte Senior ab 65 Jahren Online-Banking nutzt, derweil laut IT-Branchenverband Bitkom im Schnitt drei von vier Bundesbürgern ihre Finanzen via Internet regeln.
Dass sich die Generation 65 plus so schwer damit tue, führt Capco-Digitalexpertin Agnieszka Walorska vor allem darauf zurück, dass deren spezifische Wünsche allzu oft nicht berücksichtigt würden und sie sich auch in Werbung und Kundenansprache nicht wiederfänden. Hinzu gesellten sich Ängste vor dem Neuen, mithin das Festhalten an vertrauten Gewohnheiten.
Andere Bedürfnisse
Was gleichwohl nicht mit Technikfeindlichkeit einhergehe, wie Walorska betont. „Senioren lehnen Technologie nicht per se ab, haben aber andere Bedürfnisse.“ Sie benötigten keine Sonderbehandlung, sehr wohl aber Hilfestellung. Den Banken rät sie daher, den Wunsch der Älteren nach Kontrolle, Verlässlichkeit und Sicherheit zu erfüllen und in der Kommunikation hervorzuheben sowie sprachliche wie technische Barrieren abzubauen. Sie seien aufgerufen, digitale Angebote zu schaffen, die gerade für ältere Kunden attraktiv seien, weil sie sich an ihren Bedürfnissen ausrichten – sogenanntes Agetech.
Das fange, ganz simpel, mit einer inklusiven Bildsprache an. Denn viele Senioren fühlten sich nicht wahrgenommen. „Obwohl es sich um eine riesengroße Zielgruppe handelt, werden in der Werbung überwiegend Millennials, junge, hippe Leute, angesprochen. Ältere finden sich dort nicht wieder, schließlich existieren sie in der Reklame meist gar nicht. Und wenn doch, dann stereotypisch als Oma, die ihre Enkelkinder umsorgt, oder aber als cooler Opa bei seinem Vermögensverwalter.“
Hinzu kämen sprachliche wie technologische Hürden. Auf den Internetseiten der Finanzdienstleister wimmelt es nur so von Anglizismen und Fachsimpelei – was nicht nur Senioren abschreckt. Deshalb sei es sinnvoll, Produkte und Dienstleistungen so zu gestalten, dass Menschen, die wenig Verständnis von Technologie haben, damit klarkommen. Vonnöten sei ebenfalls, die Kompatibilität der Bankangebote mit der häufig veralteten Soft- wie Hardware zu gewährleisten. „Typisch für Senioren ist, dass sie eben nicht das neueste Betriebssystem, den modernsten Computer und aktuellsten Browser haben.“ Diese Barrierefreiheit zu gewährleisten, sei zwar schon Pflicht, werde aber meist schlecht umgesetzt, kritisiert die Beraterin. Abhilfe schaffen soll das sogenannte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (s. eingeblockten Text).
Problematisch findet Walorska es zudem, dass Bankprodukte üblicherweise nicht oder nur selten von älteren Menschen getestet würden, bevor sie eingeführt werden. Sie zählten ja meist ohnehin nicht zur Zielgruppe. Statt sich auf 20- bis 40-jährige Testpersonen zu konzentrieren, müssten häufiger auch ältere Menschen zum Zug kommen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt für Senioren ist Walorska zufolge das Sicherheitsbedürfnis. Banken sollten ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie die Kontrolle über ihre Finanzbelange haben und dass ihre Finanzen – auch und gerade über digitale Kanäle – sicher sind. Benachrichtigungen über Transaktionen und beispielsweise eine übersichtliche Auflistung von Abbuchungen könne dem zumindest teilweise gerecht werden. Zudem sollten sie die Möglichkeit behalten, weiterhin den analogen Weg zu beschreiten. „Nicht auf Papier verzichten“, mahnt Walorska. Vielen sei es, ebenfalls aus Kontrollgründen, sehr wichtig, Kontoauszüge und schriftliche Kommunikation abzuheften. Auch das Bedürfnis, über Bargeld zu verfügen und damit zu bezahlen, sei hoch.
Finanzinstitute, die das beherzigten, winkten nicht nur Einsparpotenzial, indem sie Ältere digital statt analog abholen, sondern auch Zusatzerträge, befindet Walorska. Schließlich werde von älteren Semestern viel gespart, für Reisen etwa oder für die Enkelkinder. „Die spannende Frage ist, ob man Senioren mit Produkten, die ihre Bedürfnisse adressieren, dazu bewegen kann, das Geld anders anzulegen, statt es auf einem Tagesgeldkonto rumliegen zu lassen.“ Potenzial gibt es allemal: Das Nettovermögen, also der Wert etwa von Bankeinlagen, Wertpapieren, Immobilien und Versicherungen abzüglich Schulden, liegt bei den über 65-Jährigen höher als im Schnitt aller Altersgruppen. Verfügte jeder Haushalt durchschnittlich laut jüngsten bereitstehenden Daten des Statistischen Bundesamtes für Anfang 2018 über ein Nettovermögen von knapp 163000 Euro, so waren es in der Gruppe der Haushalte, deren Haupteinkommensbezieher 65 bis 69 Jahre alt war, gut 197000. Die 70- bis 79-Jährigen verfügten über 214000 Euro, ab 80 Jahren waren es 201000 Euro.
Die Zahl der Menschen im Alter ab 65 Jahren, und ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung, wachsen in Deutschland unaufhaltsam. Stieg die Zahl etwa von 1990 bis 2018 um 50%, von 11,9 Millionen auf 17,9 Millionen, so wird sie bis 2040 auf gut 23 Millionen angeschwollen sein, wie das Statistische Bundesamt in einem moderaten Entwicklungsszenario prognostiziert (s. Grafik). Die Gesamtbevölkerung hingegen werde bis dahin von aktuell gut 83 Millionen auf 82 Millionen Menschen leicht schrumpfen.
Dennoch sind Walorska keine Banken und Sparkassen bekannt, die in Sachen Agetech weit vorangeschritten wären und Vorbildcharakter hätten. Selbst Fintechs nicht, trotz ihrer Vorteile. „Zumindest, was die Simplizität angeht, sind Start-ups weiter. Obwohl sie eher junge Zielgruppen ansprechen, finden sich Ältere mit ihren Produkten leichter zurecht.“ Immerhin sei jenseits der Finanzwelt eine Vielzahl findiger Start-ups entstanden, die sich auf die älteren Generationen fokussieren. Mit Videospielen etwa, die geistige und körperliche Fähigkeiten erhalten und verbessern. Mit der Entwicklung von Sturzsensoren. Mit der Vermittlung von Pflegediensten oder Alltagshelfern. Eine inklusive Bildsprache und Co-Browsing, also das gemeinsame Navigieren durchs Internet, sieht Walorska hingegen häufiger von den Sparkassen realisiert.
Große Schrift, einfache Texte
Diese halten sich zugute, Barrierefreiheit im virtuellen wie im realen Raum umzusetzen. So verweist ein Sprecher darauf, dass der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) schon im Ausbau von Online-Banking und Apps auf Barrierefreiheit achte, die auch Senioren zugutekommt. Zum Beispiel sei die Interessenvertretung der Blinden und Sehbehinderten in die Entwicklung des Online-Bankings in der Internet-Filiale einbezogen worden. Folglich fänden große Schrift, verständliche Linktexte, kontrastreiche Textfarben und eine einfache Seitennavigation Verwendung.
Auch in ihren Liegenschaften bemühten sich die Sparkassen laufend um weitere Verbesserungen, heißt es. „Beispielsweise steht seit Jahren grundsätzlich für jeden Neubau und jede grundlegende Renovierung die technische und bauliche Barrierefreiheit als erster Punkt in den baubetrieblichen Umsetzungshilfen, dem sogenannten Raumbuch, an dem sich jedes Institut orientieren kann“, so der Sprecher.
Und schließlich suchten Sparkassen vor Ort den Kontakt zu älteren, weniger digitalaffinen Kunden, um ihnen die Online-Scheu zu nehmen. Als ein Beispiel führt der DSGV die Sparkasse Vogtland ins Feld, die unter anderem gemeinsam mit der Volkshochschule Computerkurse zum sicheren Umgang mit Online-Banking anbietet.
Die Sparkasse Koblenz versucht, den Senioren digitales Banking schmackhaft zu machen, indem sie die Vorteile veranschaulicht: Sie sparen sich den Weg zur Filiale und damit Zeit und Kosten und schützen sich in Coronazeiten. Sollte es beim Online-Banking haken, stehe das Kunden-Servicecenter telefonisch zur Verfügung oder an stärker frequentierten Standorten die Online-Banking-Videochat-Beratung, berichtet eine Unternehmenssprecherin. Dabei wird der Kunde mit einem Sparkassenmitarbeiter verbunden, der Fragen und Problemstellungen klärt.
Berührungsängste gegenüber digitalen Anwendungen versucht die Sparkasse auch mit Unterstützung lokaler Prominenz abzubauen. Das rüstige Rentnerduo „Willi und Ernst“, verkörpert von zwei Comedians aus Koblenz, stellt in Videos humorvoll die Vorteile der Sparkassen-App vor. Dass diese Form der Ansprache der Sprecherin zufolge hohe Aufmerksamkeit generiere, wie an Reaktionen in den Social-Media-Kanälen sowie an den Download-Zahlen der App abzulesen sei, deckt sich mit Erkenntnissen Walorskas. Die Capco-Expertin verweist darauf, dass jene Senioren, die im Internet unterwegs sind, üblicherweise rege Videonutzer seien. Online sind Statista zufolge vier Fünftel der 60- bis 69-Jährigen und 45% der Bürger ab 70 Jahren. Sie griffen gerne auf Erklärvideos auf Youtube zu, aber auch auf anderen Kanälen, weiß Walorska.
Zaghaft steigende Akzeptanz
Bei der älteren Kundschaft, der Sicherheit und einfache Handhabe von Zahlungsverkehrsdienstleistungen besonders wichtig sei, will die Sparkasse Koblenz bereits ein Umdenken erkannt haben. Habe früher ein Teil der Senioren Online-Banking als nicht sicher eingestuft, so werde es mittlerweile besser angenommen. Um es einzurichten, gehen der Sprecherin zufolge die Berater mit den älteren Kunden die einzelnen Vorgänge zusammen Schritt für Schritt durch und erklären Funktionen wie das Überweisen.
Alternativen sind rar gesät
Oftmals verbleiben den Senioren, einerlei ob Kunden von Sparkassen, Genossenschafts- oder Privatbanken, angesichts des beschleunigten Filialabbaus kaum andere Möglichkeiten, als auf Online-Banking umzusatteln. Gleichwohl macht der DSGV auf alternative Angebote aufmerksam, etwa auf mobile Filialen, Bargeld-Bringservice, Beratung per Telefon, Videochat oder zu Hause oder auch Bargeldversorgung über den Einzelhandel. Im Übrigen, so der Verband, reagierten Senioren nicht sensibler als andere Kundengruppen auf Filialschließungen. Von jenen, die im vergangenen Jahr ihre Kontoverbindung bei der Sparkasse aufgaben, hätten nur 17% als Grund die Erreichbarkeit der Filiale angegeben.
Im Dialog mit der Aufsicht
Um den Bedürfnissen älterer Menschen Rechnung zu tragen, hat die Abteilung Verbraucherschutz der Finanzaufsicht BaFin nach deren Angaben Maßnahmen zur Aufklärung entwickelt. Diese gingen beispielsweise darauf ein, dass Senioren häufig Schwierigkeiten im Umgang mit neuen Medien hätten und kognitive Fähigkeiten nachließen, heißt es auf Anfrage. Um sie in geeigneter Weise anzusprechen und ihre spezifischen Belange zu berücksichtigen, wurden demnach unterschiedliche Formate, wie etwa Broschüren ausschließlich für diese Zielgruppe, konzipiert. Darüber hinaus nähmen Vertreter der BaFin regelmäßig an digitalen Stammtischen teil, Webinare, in denen Senioren mit Experten über Finanzthemen sprechen. Auch das Verbrauchertelefon der BaFin werde von Senioren rege genutzt. Genaue Zahlen lägen jedoch nicht vor.