Sustainable Finance: Beirat ohne Wirkung?
Anfang 2019 steckte sich die Bundesregierung das Ziel, Deutschland zum führenden Standort für Sustainable Finance zu machen – ohne einen entsprechenden politischen Rahmen. Das ist ihr nicht gelungen. Denn heute liegt Deutschland im europäischen Vergleich nur im Mittelfeld.
Im Zuge dieser Zielsetzung berief die Bundesregierung einen Sustainable Finance Beirat, der 31 Empfehlungen für ein nachhaltiges Finanzsystem im Frühjahr 2021 veröffentlichte. Seine Vorschläge übernahm die große Koalition in Teilen und mit eher konturlosen Formulierungen in ein Strategiepapier. Doch dieses Papier blieb ohne nennenswerte Konsequenzen. Denn seither gab es immer wieder politische Themen, die für die Regierung Vorrang hatten: Corona, Ukraine-Krieg oder Energiewende.
Dabei bedarf es dringend eines zukunftsfähige und nachhaltigen Politikrahmens, der den Finanzmarkt clever einbindet. Voraussetzung sind unter anderem aussagekräftige Nachhaltigkeitsdaten auch des Mittelstandes. Bis Ende 2022 wird die europäische Direktive zum Nachhaltigkeits-Reporting (CSRD) in deutsches Recht überführt. Hier bieten sich Chancen, auch eine anschlussfähige Lösung für kleine und mittlere Unternehmen einzubeziehen.
Der Beirat legte der Bundesregierung in seinen Empfehlungen seinerzeit auch nahe, Nachhaltigkeitspräferenzen (Mifid II) und ESG-Klassifizierungen von Finanzprodukten (Offenlegungsverordnung) für alle verständlich zu gestalten und entsprechende Schulungsangebote zu schaffen. Heute beklagen sich viele Praktiker über die wenig eingängigen Begrifflichkeiten und die hohe Komplexität.
Andernorts hat die Politik mehr Engagement gezeigt, um nachhaltige Finanzierungen zu stärken. Ein Blick über den Tellerrand hin zu den Finanzplätzen London und Amsterdam, vor allem aber Paris, lohnt sich. Frankreich verpflichtete bereits 2015 Investoren, und nicht nur Unternehmer, zu jährlicher Berichtspflicht ihrer Klimaziele und Risiken. Frankreich erfragt heute sogar Kennzahlen über Biodiversität von Investoren – und nimmt weit mehr Gesellschaften in die Pflicht als von Brüssel gefordert.
Großbritannien verabschiedete 2008 ein übergreifendes Klimaschutzgesetz. Dies führte nicht nur zu einer detaillierteren Datengrundlage, sondern auch zu Erfolgen bei der Emissionsreduktion. Die Klimakonferenz in Glasgow 2021 veranlasste die Regierung, eine nationale Agenda für nachhaltiges Investieren zu formulieren.
In Paris sorgt die Finanzmarktinitiative Finance for Tomorrow für Meinungsbildung und Strategieentwicklung. Über eine Plattform kommen Politik, Finanz- und Realwirtschaft mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen.
In Großbritannien ist das Green Finance Institute zugleich Forum für den Ausgleich öffentlicher und privater Interessen. Es hat den klaren politischen Auftrag, die Transformation der Wirtschaft durch privatwirtschaftliches Kapital voranzutreiben.
Beide Initiativen werden von ihrer Regierung unterstützt. Auf solchen Plätzen finden Annäherungen statt, die gerade für Deutschland vielfach fruchtbar werden könnten. Denn Deutschland ist in gleich mehreren Hinsichten besonders: Hauptstadt und Finanzplatz sind nicht an einem Ort, der Staat ist nicht zentral, sondern föderalistisch organisiert und die Wirtschaft wird nicht von wenigen börsennotierten Großkonzernen dominiert, sondern verfügt über einen starken, aber kapitalmarktscheuen Mittelstand.
Zurück zum Beirat, der im Juni durch das Finanzministerium neu besetzt wurde. Er setzt sich aus 34 ehrenamtlichen Mitgliedern zusammen – darunter viele unbekannte Namen. Von den ursprünglichen Verfassern des Empfehlungskatalogs sind nur noch einige dabei. Rund die Hälfte seiner Mitglieder kommt aus Banken und Investmentgesellschaften. Dabei fällt auf, dass keine große Pensionskasse und nur ein einziger großer, langfristig denkender Investor dabei ist. Zudem finden sich wenige Vertreter aus Nichtregierungsorganisationen und der Wissenschaft. Der für Deutschland sehr relevante Verkehrssektor ist nicht repräsentiert.
Was kann der Beirat konkret leisten? Seine Mitglieder treffen sich offiziell vierteljährlich auf rein ehrenamtlicher Basis. Ende September kam es zur ersten inhaltlichen Klausurtagung, auf der sich unter anderem sechs Arbeitsgruppen formierten. Hierzu findet sich lediglich ein Statement auf der Webseite des Beirats, das erste seit der Neubesetzung im Juni.
Hat sich die Regierung mit einem Beirat ohne Budget und Umsetzungsmandat einen zahnlosen Tiger geschaffen? Will sie mit möglichst geringem Aufwand „Wir machen doch was“ sagen? Was setzt sie der klassischen Lobbyarbeit entgegen?
Aufgrund einer Bundestagsanfrage aus dem Februar 2022 legte Jörg Kukies (SPD), damaliger Staatssekretär im Finanzministerium und heute im Kanzleramt, die Lobbygespräche der letzten drei Monate seiner Amtszeit offen. Es finden sich auf der langen Liste vor allem Vertreter der globalen Finanzindustrie, einige aus der Realwirtschaft, aber fast keine aus der Zivilgesellschaft, sprich Nichtregierungsorganisationen oder der Wissenschaft. Ob dies unter Leitung der FDP, die heute das Finanzministerium besetzt, anders wird? Es ist daher mehr als fraglich, ob das Finanzministerium der größten europäischen Volkswirtschaft mit der höchsten europäischen CO2-Emission bereit ist, in den Markt einzugreifen – so wie das der Beirat empfohlen hat.
Kora Krause ist Expertin für nachhaltige Finanzen und Klimaschutz sowie Autorin unserer Kolumne Finance for Future.