Vermessen
Irgendwo in der merkwürdigen Welt der philosophischen Gedankenexperimente befindet sich ein Schienensystem, auf dem Menschen gefesselt auf den Gleisen liegen und ein Schienenwagen, ein Trolley, unkontrolliert seine Runden dreht. Je nachdem, ob eine aktiv handelnde Person einen Weichenschalter betätigt oder einen dicken Mann auf das Gleisbett befördert, wird der Wagen nicht etwa unkontrolliert fünf auf dem Gleis gefesselte Menschen überfahren, sondern stattdessen nur eine einzige, sechste Person erfassen. Das Trolley-Problem, erdacht von der britischen Philosophin Philippa Foot, wirft also die Frage auf, ob ein Mensch zum Wohle von fünf weiteren geopfert werden darf – und falls ja, unter welchen Umständen. Je nach Bewertungsprinzip fällt die Antwort anders aus.
Zielkonflikte lassen sich also nicht vermessen, solange der Wertmaßstab nicht klar ist. Das zeigen das Trolley-Problem und unzählige weitere Gedankenexperimente, und das wird auch in der nachhaltigen Geldanlage offenbar, in der Bewertungsfragen unausweichlich sind. Worin die ökonomische Nachhaltigkeit besteht, lässt sich noch einigermaßen klar einordnen, doch welche ethischen und gesellschaftlichen Maßstäbe darüber hinaus gelten sollten, ist umstritten. ESG-Ratingagenturen kommen zu sehr unterschiedlichen Schlüssen, wenn sie die Nachhaltigkeit von Unternehmen vermessen. Kein Wunder!
Manche sehen darin einen Missstand. Solange Wirkungsmessung und Berichterstattung nicht standardisiert sind, so mahnt die Initiative „Banking for Impact“, werde es keinen Fortschritt geben. Die Gruppe will sich für die Schaffung eines Systems starkmachen, das verschiedene Ziele erfasst. Treibhausgasemissionen und Wasserverbrauch, so führt ein Konzeptpapier beispielhaft aus, soll ein Preis zugeordnet werden, so dass die Ziele in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Einige negative Effekte aber – Kinderarbeit etwa – sollen ausdrücklich nicht mit anderen Faktoren abgewogen werden, wie die Initiative schon einmal klarstellt. Man darf gespannt sein, wie die Arbeitsgruppe die Bewertungsfragen lösen wird, die sich unweigerlich ergeben.
Natürlich klagen Geldgeber zu Recht darüber, dass es zu den Folgen von Geschäften trotz einiger Fortschritte noch immer zu wenige Daten gibt. Einheitliche Standards sind überall dort vonnöten, wo die bloße Beschreibung der Folgen das Ziel ist. Der Anspruch, einen einheitlichen Standard für die Bewertung zu schaffen, wäre indes vermessen. Es gibt keinen Konsens.