Im GesprächDietmar Dertwinkel, Volksbank im Münsterland

„Weit, weit weg von einer einheitlichen Regulierung“

Die Volksbank im Münsterland passt ihr Geschäftsmodell an das digitale Zeitalter an. Vorstand Dietmar Dertwinkel kritisiert mangelnde Harmonisierung europäischer und nationaler Vorschriften.

„Weit, weit weg von einer einheitlichen Regulierung“

„Weit, weit weg von einer einheitlichen Regulierung“

Vorstand der Volksbank im Münsterland kritisiert mangelnde Harmonisierung europäischer und nationaler Vorschriften sowie Regelungsflut

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Im Gespräch: Dietmar Dertwinkel

Regulierung ist nach Ansicht von Dietmar Dertwinkel notwendig und grundsätzlich begrüßenswert. Doch der Vorstand der Volksbank im Münsterland übt schwere Kritik an einer Regelungsflut sowie an mangelnder Übereinstimmung und teils Widersprüchen zwischen nationalen und europäischen Vorgaben. Die kämen bisweilen unter dem „Deckmäntelchen des Verbraucherschutzes“ daher, überforderten aber die Kunden.

Das Geschäftsmodell dem digitalen Zeitalter anpassen, wachsenden Ansprüchen der Kunden genügen, zunehmende Vorgaben der Aufseher erfüllen – und das mit einer absehbar schrumpfenden Mannschaft: So lassen sich die wichtigsten Themen umreißen, mit denen sich die Volksbank im Münsterland auseinandersetzt. „Unsere größte Herausforderung ist, wie wir unser tradiertes Geschäftsmodell als Allfinanzer in das Digitalisierungszeitalter überführen und die Customer Experience verbessern können“, sagt Vorstandsmitglied Dietmar Dertwinkel im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Das wird uns in den nächsten Jahren stark beschäftigen.“ 

Fusion mit Volksbank Warendorf abgeschlossen

Seit der Fusion der Volksbank Münsterland Nord mit der Volksbank Warendorf, die im September 2024 rechtlich wirksam wurde, nennt sich das Institut Volksbank im Münsterland, die mit einer Bilanzsumme von 10,5 Mrd. Euro zu den 15 größten Genossenschaftsbanken hierzulande zählt. Im aktuell noch sechsköpfigen Vorstand, in dem alle Mitglieder das Haus in gleichberechtigter Gesamtverantwortung vertreten, ist Dertwinkel unter anderem für das zentrale Privatkundengeschäft, Private Banking und Business Development zuständig.

Aufwand wächst

Regulierung bezeichnet Dertwinkel als ein Must-have, das zu erfüllen sei und mit erheblichen personellen und finanziellen Anstrengungen einhergehe. „Andere Themen wie Customer Experience sind deshalb nicht minder wichtig. Man kann zwar jede Regulierung erfüllen, aber was nützt es, wenn der Kunde die Bank nicht haben will?“ Der Aufwand, der für Regulatorik aufzubringen sei, nehme seit Jahren stetig zu – ohne dass die Kosten genau zu quantifizieren seien.

Allein wenn es um Nachhaltigkeit geht, melde das Institut 1.200 Datenpunkte pro Quartal an die Europäische Zentralbank. „Wir haben zwar die Ressourcen dafür, müssen aber im Zuge wachsender Regulierung immer mehr leisten, ohne dass die Bank, wie ich glaube, dadurch sicherer wird.“

Kundenwissen testen

Besondere Blüten treibt Dertwinkel zufolge eine neue Vorgabe in der Wertpapierberatung. Auf Basis von Leitlinien der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA hat die deutsche Finanzaufsicht BaFin die „Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten“ für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (MaComp) angepasst. Für die Institute bedeutet das, sogenannte Angemessenheitsprüfungen vorzunehmen, um Kenntnisse und Erfahrungen von Kunden, die Aktien oder andere Wertpapiere kaufen wollen, in Erfahrung zu bringen.

Das hat für mich nichts mehr mit Verbraucherschutz zu tun, sondern eher mit Entmündigung des Bürgers.

Dietmar Dertwinkel, Vorstand der Volksbank im Münsterland

Gemäß Dertwinkel handelt es sich dabei, zumindest für die genossenschaftlichen Institute, um ein Multiple-Choice-Verfahren. „Nachdem wir den Kunden beraten haben, müssen wir ihn testen, ob er das verstanden hat“, sagt der Volksbank-Vorstand. „Und nur, wenn er diesen Test besteht, darf er das Produkt kaufen. Das hat für mich nichts mehr mit Verbraucherschutz zu tun, sondern eher mit Entmündigung des Bürgers.“ Nach Angaben der Bank wird die neue Regelung zum 20. Februar 2025 systemseitig umgesetzt, versehen mit einer Übergangsphase bis zum 15. April.

Unverständnis bei Kunden

„Unter dem Deckmäntelchen des Verbraucherschutzes sind wir gezwungen, immer mehr mit den Kunden zu besprechen, ihnen immer mehr Unterlagen vorzulegen und immer mehr zu dokumentieren. Diese Dokumentationsflut wird immer aufwendiger“, beklagt Dertwinkel. Auch Kunden sei der Aufwand oft zu viel des Guten. Werde ihnen nach dem Wertpapierkauf ein dicker Papierstapel ausgehändigt, fehle ihnen meist das Verständnis dafür.

Dabei ist Dertwinkel wichtig zu betonen, dass er Vorgaben generell begrüßt. Allerdings sprengten diese den Rahmen. „Regulierung ist richtig und notwendig, denn die Risiken in Banken müssen begrenzt und Verbraucher geschützt werden. Aber wir sind mittlerweile in einer derartigen Übertreibung, dass es aus meiner Sicht die Preise für Kunden stark verteuert.“ Zudem würde er sich wünschen, dass immer dann, wenn neue Richtlinien geschaffen werden, überprüft wird, ob im Gegenzug alte zu streichen sind.

Erfüllungsgehilfe des Staates

Kritisch sieht Dertwinkel auch, als eine Art Erfüllungsgehilfe des Staates eingesetzt zu werden. Als Beispiele dafür führt er Vorgaben in der Baufinanzierung und Geldwäscheprävention an. In der Immobilienfinanzierung sind Banken etwa angehalten, Energieausweise der Kunden einzuholen, aus denen Daten zur Energieeffizienz des Gebäudes hervorgehen. „Es kann aber nicht Aufgabe einer Bank sein, Staatsaufgaben zu erfüllen“, sagt Dertwinkel.

Um Geldwäsche zu erschweren, muss eine Bank bei einer Bareinzahlung ab 10.000 Euro prüfen, woher das Geld stammt. Alternativ zur Nachweispflicht des Einzahlenden fände Dertwinkel ein Verbot von Bargeldtransaktionen ab beispielsweise 5.000 Euro erstrebenswert. „Aber man will niemandem wehtun, also verpflichtet man die Bank. Viele Kunden wissen aber nicht, dass wir nur ausführendes Organ sind, und ärgern sich über uns.“

Standards übererfüllt

Am meisten wünscht sich Dertwinkel klare Vorschriften der Regulierer und Aufseher. „Harmonisierung ist nicht überall gegeben, oft sind die europäischen und nationalen Vorgaben sogar widersprüchlich“, hält er fest. Hinzu komme, dass in der nationalen Umsetzung europäischer Regeln oft draufgesattelt werde. Dieses sogenannte Gold-Plating, die Übererfüllung von Mindeststandards aus Brüssel, ist generell ein häufig vorgebrachter Kritikpunkt. „Damit verzerren wir die Grundidee, Wettbewerbsgleichheit zu schaffen. Jedes Land setzt Regulierung anders um. Wir sind weit, weit weg von einer einheitlichen Regulierung in Europa.“

Widersprüchliche Vorgaben

Wie beispielsweise Vorgaben zu Instant Payment mit solchen zur Geldwäscheprävention unter Einklang zu bringen sein sollen, ist Dertwinkel schleierhaft. So verpflichte eine EU-Verordnung Finanzinstitute von diesem Jahr an dazu, ihren Kunden Zahlungen in Echtzeit rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr, zu ermöglichen.

Zugleich müssten Bestimmungen zur Geldwäscheprävention und Sanktionseinhaltung beachtet werden. Doch sei es schwierig bis unmöglich, verdächtige Zahlungen zu überprüfen oder gar zu stoppen, wenn diese unmittelbar auszuführen seien. „Das widerspricht sich“, sagt Dertwinkel. Der Bank werde schlicht zugerufen: „Sieh zu, wie du das regelst.“

Jüngste Erleichterungen begrüßt

Auch pocht er auf mehr Proportionalität in der Regulierung. „Eine Deutsche Bank braucht eine andere Regulierung als eine Volksbank im Münsterland und diese wiederum eine andere als eine Bank mit 500 Mill. Euro Bilanzsumme.“ Dertwinkel vernimmt dahingehend nach eigener Aussage derzeit positive Signale, auch wenn die Volksbank im Münsterland aufgrund ihrer Größe nicht betroffen sei.

So hat die BaFin jüngst Erleichterungen für kleinere Institute, in der Regel von bis zu 5 Mrd. Euro Bilanzsumme, in Aussicht gestellt. Drei Viertel der deutschen Finanzinstitute sollen davon, etwa im Berichtswesen, profitieren. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, kommentiert er die Entscheidung der Aufseher.

Viele künftige Ruheständler

Herausforderungen anderer Art stellen sich dem Vorstandschef zufolge durch den Fachkräftemangel.„Etwa 20% unserer Beschäftigten gehen innerhalb der nächsten zehn Jahre in den geregelten Ruhestand. Da wir diese Stellen nicht komplett nachbesetzen können, müssen wir verstärkt auf Prozessoptimierung und künstliche Intelligenz setzen, um mit den Mitarbeitern, die wir dann noch haben, konkurrenz- und existenzfähig zu bleiben.“

Seiteneinsteiger eingestellt

Zudem setzt die Genossenschaftsbank auf Seiteneinsteiger mit Berufsausbildung, beispielsweise aus dem Hotelgewerbe. Mit ihnen habe man gute Erfahrungen gemacht, da sie serviceorientiert seien und mit Stress umzugehen wüssten. Das Bankgeschäft werde ihnen dann vermittelt.

Eine Handvoll Quereinsteiger werde darüber hinaus derzeit für die Volksbank durch Bildungsträger innerhalb des genossenschaftlichen Verbundes so weit qualifiziert, dass sie in Filialen Serviceleistungen erbringen und etwa Privatkunden beraten können. Diese Ausbildung befinde sich derzeit im Versuchsstadium, dauere anderthalb Jahre und finde unterhalb der Stufe eines IHK-Abschlusses statt.


Zur Person

Dietmar Dertwinkel verantwortet als Vorstand der Volksbank im Münsterland unter anderem das zentrale Privatkundengeschäft, Private Banking und Business Development, also die Erschließung neuer Geschäftsfelder und strategische Ausrichtung. Dertwinkel ist seit 35 Jahren Teil der genossenschaftlichen Finanzgruppe – angefangen 1989 als Auszubildender bei der Volksbank Altenberge, die später in der Volksbank Greven aufging. Dort hatte er verschiedene Aufgaben im Vertrieb inne, bis er 2003 die Leitung des Privatkundenbereichs übernahm und 2013 in den Vorstand aufrückte.

Nach einer weiteren Fusion 2020 war Dertwinkel zunächst Generalbevollmächtigter für das regionale Kundengeschäft der Volksbank Münsterland Nord, Anfang 2022 wurde er Vorstandsmitglied. Die nächste Fusion, 2024 mit der Volksbank Warendorf, brachte die Umbenennung in Volksbank im Münsterland mit sich. Aus dem derzeit noch sechsköpfigen Vorstand werden zwei Mitglieder bis 2026 ausscheiden. Die verbleibenden vier, darunter Dertwinkel, werden das Institut dann führen.

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