Peter Robejsek

„Wir bewegen uns über die Karte hinaus“

Der neue Deutschland-Chef von Mastercard, Peter Robejsek, spricht im Interview der Börsen-Zeitung über die Zukunft des bargeldlosen Bezahlens, die Chancen der European Payment Initiative und Nachhaltigkeit.

„Wir bewegen uns über die Karte hinaus“

Karin Böhmert.

Herr Robejsek, die neue Aufgabe als Country Manager Deutschland von Mastercard übernehmen Sie in bewegten Zeiten des Zahlungsverkehrs.

Unzweifelhaft. Der Markt hat sich in den vergangenen drei Jahren enorm weitergedreht. Inzwischen verfügen über 90% der Bundesbürger über ein Smartphone. Heute benutzen rund ein Viertel aller Deutschen routinemäßig Mobile Payment und noch viel mehr haben Interesse, das künftig zu tun. Die Umsätze im digitalen Umfeld, also E-Commerce, sind heute über 10 Prozentpunkte höher als noch vor drei Jahren. Die Kunden modernisieren das Portemonnaie – mit oder ohne die traditionellen Banken. Das gilt für kein Produkt mehr als für die Karte zum Konto. Die Pandemie hat gezeigt, dass der Kunde Bezahlprodukte möchte, die als Standard alle Use Cases unterstützen: E- und M-Commerce genauso wie Zahlungen im Ausland. Diesen Weg der Modernisierung der Bezahlprodukte im Konsumentenumfeld beschreiten bereits viele deutsche Finanzdienstleister. Nun gilt es, diesen schnell zu Ende zu bringen.

Welche Gefahren sehen Sie?

Wenn wir dies nicht tun, dann werden deutschen Finanzdienstleistern diverse Angreifer die Butter vom Brot nehmen. Das heißt, der Kunde verschwindet dann von der Bank, ohne dass die Bank dies überhaupt be­merkt. Er benutzt einfach ein Bezahlinstrument eines anderen Anbieters, weil dieses mehr kann, weil es einfacher ist, weil es in einem Schritt alles macht, was der Kunde gerne möchte. Derjenige, der heute noch nicht die Weichen gestellt hat in Richtung einer modernen Kartenstrategie, insbesondere für Karten zum Konto, also Debitkarten, der sollte dies unbedingt tun. Ansonsten wird ihm der Handlungs- und Konkurrenzdruck auch aus dem deutschsprachigen Aus­land große Schwierigkeiten be­reiten. Da sind wir Partner und Unterstützer für unsere Kunden auf der Issuing-Seite. Wir sehen uns als Wegbegleiter für diese Modernisierung.

Sie sagten, die Modernisierung müsse zu Ende gebracht werden. Es gibt aber doch immer wieder Innovationen?

Innovation hat nie ein Ende. Es gibt aber logische Abschnitte. Manche da­von sind komplexer und wegweisender als andere. Es zeichnet sich ab, dass Modernisierung im Bezahlbereich, insbesondere bei Debit, funktioniert. Dabei hat man erkannt, dass es ohne diese Innovationen nicht geht.

Was verstehen Sie dabei unter Modernisierung?

Der Kunde erhält von seinen Banken mehrere Bezahlprodukte, darunter solche, die sehr eingeschränkt sind in ihrem Funktionsbereich wie die Girocard oder Maestro, die nicht im E-Commerce oder nur teilweise im Ausland bezahlen können. Das sind aber Anwendungen, die Kunden wün­schen und brauchen. Wenn sich die Umsätze weiter in den E-Commerce verschieben, braucht der Kunde ein modernes Debitprodukt, das alles kann. Am besten aus einer Hand, sonst hat er ein Sammelsurium. Der Wechsel auf Debitprodukte, die das können, wie zum Beispiel die Debit Mastercard, ist eine notwendige taktische Handlung von allen Issuern in Deutschland.

Die europäische Kreditwirtschaft und die European Payments Initiative (EPI) sehen das etwas anders und wollen eine von Mastercard und Visa unabhängige europäische, auch E-Commerce-fähige Zahlungskarte lancieren. Beunruhigt Sie das?

So wie wir die EPI wahrnehmen, deutet die Ambition darauf hin, dass man zumindest in Europa – oder eventuell zum Start zunächst in einem Teil von Europa – an der Ladentheke, aber auch im E-Commerce perspektivisch einkaufen können soll. Eine solche Ambition benötigt einen erheblichen zeitlichen Vorlauf. Zum Vergleich: Mastercard hat 50 Jahre damit verbracht, eine sichere, belastbare und jederzeit verfügbare Technologie zur Abwicklung von Zahlungen aufzubauen, die bei beinahe jedem Händler auf der Welt funktioniert. Das hat nicht zufällig so lange gedauert. EPI wird sicherlich nicht so lange brauchen, aber man wird dort mehrere Jahre damit verbringen, zunächst die Technologie aufzustellen und dann die entsprechende Akzeptanz bei den Händlern sicherzustellen. Denn machen wir uns nichts vor, der Händler braucht gar kein weiteres Bezahlverfahren mit bekanntem Leistungsumfang. Bei ihm kaufen heute schon die Kunden gut ein. Er benötigt gute Gründe, um zu verstehen, warum er eine zusätzliche Implementierung auf sich nehmen sollte, um ein zusätzliches Bezahlverfahren auf Kartenbasis zu unterstützen.

Warum denn nicht? Händler müssen doch ständig ihre Bezahlterminals aktualisieren und für die neuesten Verfahren zugänglich machen. Im E-Commerce ist das doch noch einfacher, da sind viele neue Verfahren hinzugekommen.

Es geht wie eigentlich immer im Leben um knappe Ressourcen und Kosten-Nutzen-Abwägungen: fixe Kosten für technische Veränderungen, variable Betriebskosten und möglicher zusätzlicher Umsatz. Es gibt Händler, die erhebliche hohe variable Kosten, wie zum Beispiel für Klarna oder ähnliche Anbieter in Kauf ­nehmen, weil viele Menschen diese Verfahren bereits nutzen und diese dem Handel höhere Umsätze versprechen.

Als Klarna oder Paypal anfingen und noch nicht verbreitet waren, hatten Händler diese doch auch akzeptiert?

Paypal wurde aber vor zwei Dekaden gegründet und ist auch heute noch am physischen Point of Sale nicht besonders verbreitet; und Anbieter mit starkem Fokus auf das Buy-now-pay-Later Umfeld wie Klarna sind deshalb interessant, weil sie neben Be­zahlen auch Kreditlinien vergeben, eine Leistung, die dem Vernehmen nach zunächst nicht im Scope von EPI sein dürfte. Ich behaupte ja nicht, dass es ein europäisches Bezahlsystem nicht schaffen kann, Akzeptanz und Nutzung zu bekommen, doch sollte man mit realistischen Erwartungen an den Zeitraum herangehen, den das brauchen wird. Denn man startet mit null Usern und versucht Händler zu überzeugen, es dennoch zu implementieren. Oder man startet mit null Händlern und gibt Usern eine Karte, mit der Aussicht, dass Händler kommen werden. Aller Anfang ist schwer. Mit dem notwendigen Willen, relevanten innovativen Features und hohen Investitionen kann ein neues europäisches Scheme über kurz oder lang erfolgreich sein. Meiner Meinung nach aber eher über lang.

Ist es nicht auch eine Kostenfrage? Sollte ein neues System nicht günstiger für den Händler sein?

Wenn EPI das denn sein kann. Das ist entscheidend. Denn die Finanzierer von EPI sind große Banken und Acquirer. Banken als Kartenherausgeber verdienen an der Interchange, die auf demselben Niveau liegen soll wie für andere Kartenschemes. Für die Bank ist EPI somit im besten Fall erlösneutral. Für den Händler ist das, was er an die Bank abgibt, ebenso neutral. Damit es für Händler günstiger wird, müssten demnach die Acquirer ceteris paribus auf einen Teil ihrer Marge verzichten.  Und damit haben wir weder die erheblichen Fixkosten für den Aufbau amortisiert, die auf Banken und Acquirer zu­kommen, noch die Kosten für Be­trieb und Weiterentwicklung des Schemes.

Sollten nun alle in Europa erstmal auf EPI warten?

Kein deutscher oder europäischer Kartenemittent verbaut sich etwas, indem er jetzt seine Debitkarten mit Hilfe eines internationalen Schemes modernisiert, insbesondere da nicht absehbar ist, wann und in welchem Umfang das EPI-Scheme verfügbar sein wird. Wenn es dann so weit ist, kann der Issuer den EPI-Mechanismus auf seine Karten aufschalten.

Wie reagiert Mastercard auf EPI?

Wir haben uns immer – und tun es weiterhin – als Lösungspartner angeboten. Warum sollte man etwas neu erfinden, was es technisch schon lange gibt? Mastercard hat bereits ein funktionierendes Bezahlsystem. Wir müssen uns keine Gedanken machen, ob die Infrastruktur funktioniert oder nicht. Wir können uns auf Schutz vor Gefahren und Weiterentwicklung konzentrieren. Damit können wir unsere 50-jährige Erfahrung zusammen mit unseren Kunden in den Dienst gemeinsamer Innovation stellen. Wir können Innovationen vorantreiben, weil wir die Erfahrung und eine entsprechende Organisation haben.

Welche Innovationen stehen an?

Die Industrie beschäftigt derzeit das Thema rund um finanzielle Flexibilität, neudeutsch Buy-now-pay-later (BNPL). Man prognostiziert ein jährliches Wachstum von rund 30% in diesem Segment. Einige Marktbeobachter gehen davon aus, dass künftig rund die Hälfte der Konsumenten derartige Angebote nutzen wird. Das ist der sehr interessante Verbindungsschritt zwischen Karte und digital. Wir analysieren mit unseren Partnern, wie wir Karte und Buy-now-pay-later intelligenter verknüpfen können. Wir kennen die Trends, entlang deren sich das Ökosystem weiterentwickelt. Das kann ich deshalb be­haupten, weil für uns wirkliche Innovation sehr oft am besten am lebenden Objekt – also in direkter Zusammenarbeit mit unseren Kunden – funktioniert. Denken Sie an digitale Karten oder unsere Zusammenarbeit mit Finanzdienstleistern und Regierungen am Thema Blockchain. Das passiert nicht im Elfenbeinturm.

Bei vielen neuen Bezahlverfahren ist keine Zahlungskarte notwendig, wie bei Person-to-Person (P2P) oder dem Trend zu Instant Payment. Braucht es überhaupt noch Karten?

Der Formfaktor Karte ist in keiner Weise gesetzt, auch nicht im Konsumentenbereich. Er ist ein heutzutage besonders verbreitetes und gut funktionierendes Instrument. Aber es gibt andere Instrumente, die auch gut funktionieren. Unsere Multirail-Strategie ist deshalb darauf ausgerichtet, uns über die Karte hinauszubewegen. Bezahlen und Verknüpfen von Informationen ist zum Beispiel im Business-to-Business-Umfeld (B2B) nicht mehr an Karten gebunden. Ebenso gehen unsere Aktivitäten im Segment Echtzeitzahlungen über Karten hinaus. In Großbritannien betreiben wir das Bezahlsystem als Infrastrukturdienstleister und in den nordischen Ländern bauen wir die Infrastruktur dafür auf.

Welche Herausforderung bedeutet das für Mastercard?

Für Mastercard ist sicherlich die große Herausforderung, die Transition so zu steuern, dass man das Bewährte und Sinnvolle erhält und weiterentwickelt und gleichzeitig die richtigen Trends erkennt und erfolgreich be­setzt. Wir tun das im Schulterschluss mit unseren Kunden.

In Deutschland oder Kontinentaleuropa ist Mastercard bei Instant Payment aber bisher nicht zu sehen?

Zu Instant Payment gehören immer mehrere Komponenten, also die In­frastruktur und das, was auf der ­In­frastruktur läuft, also das Scheme sowie die zusätzlichen Services. In Kontinentaleuropa gibt es im Sepa-System schon die Infrastruktur und das dazugehörige Scheme. Anders als in den nordischen Ländern, die von Grund auf modernisieren und sich eine eigene Infrastruktur aufbauen, setzen wir hier den Fokus auf ­Services. Wir können mit unserer Er­fahrung Dienste anbieten, die auf einer beliebigen Infrastruktur laufen, unabhängig davon, wer sie betreibt. Eines dieser Themen ist die ­Vermeidung von betrügerischen Zah­lungen, denn diese passieren ge­rade im Echtzeitumfeld sofort und sind final. Wir betreiben in Großbritannien einen Service, der feststellt, ob ein geringes oder hohes Risiko besteht, dass die Zahlung betrügerisch ist, bevor eine Zahlung ausgelöst wird. Hier können wir auch in Kontinentaleuropa einen echten Bei­trag stiften.

Verdient man an Instant Payment?

Man kann mit Dingen Geld verdienen, die Wert stiften. In Großbritannien sind die relevanten Institute zahlende Kunden unseres Betrugs-Präventions-Systems. Ein weiterer Service, der auf der Echtzeitinfrastruktur laufen könnte, ist elektronische Rechnungsübermittlung und Zahlung. Diese Innovation, die auch unter Request-to-Pay läuft (RTP), befindet sich noch in der Findungsphase. Der Zahlungsempfänger schickt eine Nachricht an den Zahlungsentrichter, so dass dieser nur noch bestätigen muss.

Hat Request-to-Pay eine Chance?

Vom Grundprinzip ist das ein sehr attraktives Konzept, vor allem für den Zahlungsempfänger, weil hier Prozesse effizienter werden können. Was bei Sepa RTP bisher läuft, hat jedoch noch einige Lücken, insbesondere was den Umfang der Leistungen an­geht. Unsere Verbindungen in die Bankenwelt ermöglichen den Aufbau einer Koalition, die sich damit be­schäftigt, den Leistungsumfang zu präzisieren und zu erweitern. Da können wir ein wichtiger Katalysator für RTP sein. Wir können aber heute noch nicht sagen, ob RTP und verwandte Services ein Riesenerfolg werden.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für Mastercard?

Es ist überwältigend, wie viele Menschen in jeder Befragung signalisieren, wie wichtig ihnen das Thema ist. Jeder Beitrag ist wichtig und auch wir übernehmen Verantwortung. Wir mobilisieren die Kraft unseres Netzwerks, indem wir  unsere Kunden und deren Kunden aktivieren, um am selben Strang zu ziehen. Gute Beispiele kann man da schon bringen. So setzen wir uns unter der Sustainable Mobility Initiative dafür ein, dass die E-Ladesäulen-Infrastruktur in Deutschland verbessert wird. Wir betreiben diese zwar nicht, können aber dafür sorgen, dass es für den Kunden einfach ist, immer und überall Transaktionen durchzuführen. Wir haben Ressourcen investiert, um auf diesem Weg zu unterstützen.

Gibt es weitere Beispiele?

Viel größer und globaler ist unsere Priceless Planet Coalition. Wir haben uns verpflichtet, in fünf Jahren 100 Millionen Bäume weltweit zu pflanzen, und zwar dort, wo dies nachweislich den höchsten Nutzen stiftet. Das können wir nicht allein, sondern nur mit unseren Partnern zusammen. Wir überprüfen sehr sorgfältig die Umsetzung der Wiederaufforstung, damit der größtmögliche Umwelteffekt erreicht wird. Am Ende geht es neben der Kompensation aber auch um die Änderung von Verhaltensweisen von Einzelpersonen und Unternehmen – nur so können wir der Herausforderung Herr werden. Eine Mechanik setzt direkt an der Transaktion an. Wir haben einen Rechner, der aus dem Kartenumsatz ermitteln kann, welchen CO2-Ausstoß ein Einkauf hat. Mit dieser Information kann der Kunde seine Kaufentscheidung nachhaltig gestalten oder den CO2– Fußabdruck direkt im Anschluss kompensieren.

Was tun Sie noch?

Neben Wiederaufforstung stellen wir auch die Technologie in den ­Dienst der Nachhaltigkeit. Künftig können wir erfahren, ob entlang gesamter Lieferketten eine nachhaltige und ethische Verhaltensweise herrscht. Die Blockchain stellt eine Tech­no­lo­gie bereit, die geeignet ist, so eine In­formationssicherheit zu erzeugen.  Wir betreiben bereits heute im B2B-Bereich ein Instrument, das so etwas gewährleisten kann.

Was ist das für ein Instrument?

Wir nennen es Provenance. Das ist eine Blockchain, auf der entlang einer Lieferkette Ende-zu-Ende nach­gewiesen werden kann, wer das ­Produkt in der Hand hatte und wie es hergestellt und gehandhabt ­wurde. Wir können daraus ableiten, welche Ressourcenintensität mit der Produktion und Bereitstellung eines Produktes verbunden ist. Wenn wir es ernst meinen mit einer Welt ohne Ablaufdatum, dann müssen wir alle mit anpacken. Das erfordert von ­Einzelpersonen Selbstreflexion und Verhaltensänderung und von Unternehmen das Commitment zum Grundsatz der Nachhaltigkeit. Wir helfen dabei mit unserer Technologie und unserem Netzwerk.

Das Interview führte

BZ+
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