„Wir brauchen die Kapitalmarktunion“
Im Interview: Tom Théobald
„Wir brauchen die Kapitalmarktunion“
Chef von Luxembourg for Finance wirbt für Impact-Studien vor jeder Regulierung und warnt vor nationalen Alleingängen
Wenn Deutschland zu klein ist, um seine Interessen international erfolgreich zu vertreten, dann gilt das für Luxemburg umso mehr. Wenn Tom Théobald, CEO Luxembourg for Finance, mit internationalen Partnern spricht, lobbyiert er daher immer auch für die EU. Im Interview spricht er darüber, wieso es die Kapitalmarktunion braucht und wie Regulierung angegangen werden sollte.
Herr Théobald, die politischen Unsicherheiten nehmen zu. Die USA haben territoriale Ambitionen. Wie sollte sich Europa positionieren und was kann die neue Bundesregierung beitragen?
Ich denke, Europa sollte sich auf seine Stärken besinnen und auf das, für das wir in der Welt stehen: ein Wirtschafts- und ein politischer Raum, der sich für Rechtssicherheit und Dialog einsetzt. Und ein Friedensprojekt. Als einwohnerstärkstes Land und wirtschaftliches Kraftzentrum hat Deutschland für die EU natürlich eine zentrale Rolle. Die neue Bundesregierung wird also auch hier gefragt sein.
In den vergangenen Jahren gab es eine Kapitalflucht aus Europa. Investoren orientieren sich eher Richtung Nordamerika. Ist die Unsicherheit seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump eine Chance, den Trend umzukehren?
Ich glaube und hoffe, dass spätestens jetzt allen klargeworden ist, dass wir wirklich etwas tun müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union zu steigern. Die USA haben nun eine Regierung, die ganz auf sich fokussiert ist und sich stark für Amerika, für die eigene Wirtschaft und ihre Unternehmen einsetzen wird. Wir in Europa haben den Bedarf und die Chance, uns besser aufzustellen. Der Competitive Compass der Kommission geht schon in die richtige Richtung: weniger Bürokratie, einfachere Regeln. Europäische Regulierung hat ja in vielen Bereichen durchaus Vorbildcharakter, etwa bei Sustainable Finance. Aber es sollte natürlich nicht unser Anspruch sein, nur Weltmeister der Regulierung zu sein. Gleichzeitig sollten wir uns aber auch nicht schlechter machen, als wir sind. Wenn wir als Luxemburg for Finance ins Ausland gehen und mit Investoren reden, sprechen wir ja eigentlich immer für den Standort Europa – schließlich kommt kein Finanzinstitut nach Luxemburg, um nur in Luxemburg Geschäft zu machen. Und bei diesen Gesprächen, etwa zuletzt in Asien, spüren wir deutlich, dass Europa für Investoren weiterhin interessant ist.
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LFF
Neben außereuropäischem Kapital fehlt ja auch innereuropäisches. Sind wir zu rigide in den Anlagerichtlinien für Fonds und Versicherer?
Auch hier kann es Teil der Lösung sein zu schauen, ob die Balance zwischen Regulierung und Freiraum stimmt. Mit Solvency II wurden ja die Regeln für Versicherungsgesellschaften bereits ein wenig gelockert, um Investitionen in grüne Projekte oder Infrastruktur zu vereinfachen. Wir sollten in Europa bei der Regulierung insgesamt stärker vom Ziel her denken. Und nicht auf eine Logik des Abhakens setzen, bei der jeder Schritt in irgendeiner Regel festgelegt ist. Dabei geht nämlich die Flexibilität verloren.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Ich will ein positives Beispiel geben, wo wir das Problem behoben haben: Eltif.
...der „European Long-Term Investment Fund“, der es Anleger ermöglichen soll, in langfristige Projekte zu investieren.
Die erste Eltif-Regulierung wurde sicher mit einer guten Intention geschaffen. Doch das Regelwerk war zu kompliziert und nicht marktfreundlich. Für institutionelle Investoren waren es zu viele Regeln, weil sie anderswo investieren konnten. Für Retail- und Semi-Professional-Investoren wiederum war das Instrument in der Form nicht attraktiv und liquide genug. Hier hat die Kommission den Marktteilnehmern zugehört und nachgebessert. Heute ist das Produkt sowohl für Institutionelle als auch private Investoren attraktiver geworden. Ein solcher Ansatz wäre auch bei anderen Regulierungsfeldern wünschenswert. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Es geht darum, herauszufinden, an welchen Stellen man Bestehendes gezielt verbessern kann.
Wie sieht es bei neuen Regulierungsthemen aus?
Ganz entscheidend ist aus meiner Sicht, eine gute Impact-Studie zu machen. Die fehlt heute an vielen Stellen. Wenn wir etwa von der Lieferkette-Direktive reden: Da wurde ja auch keine richtige Impact-Studie gemacht. Das Argument, dass nur Unternehmen ab einer gewissen Größe von einer Regulierung betroffen sind, greift hier übrigens zu kurz. Denn in der Realität wird der Große die Anforderungen nach unten weitergeben. Dann muss selbst der kleinste Zulieferer alles liefern. Die Kosten treffen also die ganze Lieferkette. Und sie sind für den Einzelnen immens. Eine anständige Impact-Studie im Vorfeld hätte das deutlich gemacht. Und dann hätte man schauen können, welchen Ansatz man wählt, um die Kosten zu minimieren und dennoch das Ziel im Auge zu behalten.
Die grüne Transformation wird also von Donald Trump nicht zu Grabe getragen?
Keinesfalls. Thailand, Vietnam, China – diese Länder werden, egal was jetzt der politische Diskurs in Amerika oder auch in Europa ist, weiterhin in die grüne Transition investieren. Und Europa hat hier weiterhin eine Pionierrolle. Die Welt schaut auf uns, wir sind weltweit Vorbild. Aber natürlich müssen wir uns Fragen stellen: Haben wir die richtigen Schwerpunkte gesetzt? Haben wir zu wenig Freiheit gelassen, wo wir in der Transition am schnellsten voranschreiten?
Ein Vorteil des US-Kapitalmarkts ist auch, dass deutlich mehr Privatanleger direkt investiert sind.
Das ist sicher richtig. Das liegt am System der vom Arbeitgeber mitfinanzierten privaten Altersvorsorge über 401ks. Knapp 60% der Amerikaner besitzen Aktien. Auch wir in Europa müssen den Ansatz verfolgen, mehr Leute mitzunehmen, die investieren können. Wenn wir in Europa auf die privaten Ersparnisse schauen, liegen über 40% auf Bankkonten oder werden in Bargeld gehalten. Diese Guthaben verlieren durch die Inflation jeden Tag an Wert. Um das zu ändern, müssten wir an vielen Schrauben drehen. Am Anfang jeder Investmentkultur steht sicher die Investorenbildung.
Wie steht es um diese in Luxemburg?
Auch wir haben da noch Luft nach oben. Nur weil man einen großen Finanzplatz hat, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die Bevölkerung kapitalmarktorientiert denkt und investiert. Unsere Regierung hat aber ganz klar auch im Koalitionsvertrag die Finanzbildung als eine Priorität gesetzt.
Ein anderes Thema, das Luxemburg angeht, sind Digital Assets und Tokenisierung. Ist das Problem nicht, dass es noch keine end-to-end digitalisierte Lösungen gibt und man so im Prinzip nicht den vollen Nutzen aus der Tokenisierung ziehen kann?
Nun, es gibt mittlerweile eine gewisse Maturität. Das End-to-End-Problem ist natürlich real. Wenn man Prozesse einfach nur digital repliziert und in der „realen Welt“ parallele Strukturen hat, ist der Endnutzen gering. In Luxemburg versuchen wir, genau diese Thematik anzugehen, sodass man nativ auf der DLT emittieren und handeln kann, um ebendiese Parallelstrukturen so gut wie möglich zu vermeiden. Die letzte Gesetzesänderung, das Blockchain-Gesetz 4, hat das Parlament im Dezember angenommen. Wir haben damit in Luxemburg eine neue Art von Service Provider eingeführt, den sogenannten Monitoring Agent. Die Idee ist, dass man, wenn man eine Anleihe auf der Blockchain emittiert, nicht mehr wie bislang den Central Account Keeper und den Secondary Account Keeper braucht, sondern nur noch diesen Monitoring Agent. Das kann eine Bank sein, das kann ein CFD sein, das kann eine Investmentfirma sein. Für den Endinvestor ändert sich dadurch nichts – außer, dass es effizienter, einfacher und damit positiv ist. Franklin Templeton hat jetzt in Luxemburg den ersten Tokenized Money Market Fund aufgelegt. Der ist auch auf der Public Blockchain. Das heißt, wir sehen Schritte, die in diese Richtung gehen.
Als Hemmnis wirkt aus Sicht vieler Marktakteure auch der langsame Fortschritt bei der Kapitalmarktunion. Müssen wir hier schneller vorankommen?
Ja, absolut. Wir brauchen die Kapitalmarktunion. Wir müssen nationale Barrieren so weit wie möglich abschaffen. Nationale Ansätze, die dann im Sinne des sogenannten Goldplating noch über die europäischen Normen hinausgehen, erschweren das Ganze nur – sei es im Insolvenzrecht, sei es bei der Umsetzung von Direktiven.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie Eltif. Das ist im Grundsatz ein europäisches Produkt. Aber da gibt es zum Beispiel in Frankreich durch den Code monétaire und das Versicherungsgesetz eine Regel, dass ein Eltif ein französischer Fonds sein muss, wenn sie ihn in einem Versicherungsprodukt verkaufen möchten. Da wird der Markt schon wieder fragmentiert. Im Kapitalmarkt geht es aber stark um die kritische Masse. Wenn Sie da national denken, wird der Markt schnell zu klein – selbst wenn es Deutschland ist. Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung in Deutschland weiterhin europäisch denkt. Wir in Luxemburg haben ohnehin keine Wahl; wir müssen immer über unsere Grenzen hinausdenken. Das bringt uns immer auch ein wenig in die Rolle des Brückenbauers zwischen unseren beiden großen Nachbarn Deutschland und Frankreich. Und die Rolle gewinnt derzeit meines Erachtens noch an Bedeutung.
Das Interview führte Sebastian Schmid.