„Wir sind in einem absoluten Arbeitnehmermarkt“
Im Gespräch: Ingmar Rega
„Wir sind in einem absoluten Arbeitnehmermarkt“
Der Vorstandschef des Genoverbandes über Wachstum, Konsolidierung,
Mitarbeitersuche und das Phänomen des „Ghosting“ im Personalwesen
Von Tobias Fischer, Neu-Isenburg
Der Genoverband, dem rund 300 genossenschaftliche Banken angehören, will in erster Linie organisch weiter wachsen – mit Beratungsleistungen etwa und Bildungsangeboten. Aber auch Zukäufe mit Fokus auf Finanzdienstleistungen kommen Vorstandschef Ingmar Rega zufolge in Betracht.
Der Genoverband ist weiter auf Wachstum eingestellt. Hauptsächlich aus eigener Kraft will er zulegen, aber auch Zukäufe seien hin und wieder möglich, wie etwa der Erwerb der HmcS, einer Plattform zur Auslagerung von Kredit- und Immobilienprozessen, in diesem Jahr zeigt. „Wir schauen schon nach Ergänzungen, wenn es um Dienstleister mit starkem Fokus auf Financial Services geht“, sagt der Vorstandsvorsitzende des Genoverbandes, Ingmar Rega, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
Prüf- und Beratungsverband
Der Genoverband ist Prüfungs- und Beratungsverband, Bildungsträger sowie Interessenvertretung für 2.600 Genossenschaften, darunter rund 300 Finanzinstitute, in 14 Bundesländern. Ausgenommen sind Bayern, Baden-Württemberg und die Region Weser-Ems. Damit gehören dem Genoverband nahezu die Hälfte der knapp 700 Genossenschaftsbanken an. Die drei Verwaltungssitze sind Neu-Isenburg, Düsseldorf und Hannover.
Mehr Umsatz und Personal
„Wir sind in den vergangenen Jahren trotz einer fusionsbedingt rückläufigen Zahl von Mitgliedsbanken gewachsen: in der Bildung, der Unternehmensberatung, der Steuer- und Rechtsberatung sowie in der regulatorischen Beratung“, führt Rega weiter aus. Seit 2018 sei der Umsatz der sogenannten Verbandsfamilie, inklusive der bundesweit tätigen Tochtergesellschaft Awado-Gruppe und der Personalberatung Geno Personal Consult, von rund 140 Millionen auf etwa 270 Millionen Euro gestiegen, und die Zahl der Beschäftigten um 1.000 auf 2.300.
Auch Banken, die nicht Mitglied im Genoverband seien, kauften Leistungen, beispielsweise der Awado-Gruppe, ein. „Das ist üblich“, sagt Rega.
Jüngst haben der Genoverband und Awado eine neue gemeinsame Geschäftsstelle in Bremen eröffnet, eine weitere soll in den kommenden Monaten in Hamburg folgen. In Baden-Württemberg, wo viele Mitgliedsbanken des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands Kunden der Awado seien, ist im Sommer in Stuttgart eine Awado-Geschäftsstelle errichtet worden.
Anziehungskraft als Arbeitgeber vonnöten
„Wir wollen in erster Linie organisch wachsen“, sagt Rega, „und dafür brauchen wir Personal. Unsere Wachstumsfähigkeit hängt davon ab, dass wir als Arbeitgeber über Anziehungskraft verfügen.“ Dem Verband sei dies gelungen, wie an hohen Bewerberzahlen abzulesen sei.
Um das zu schaffen, seien der Personalbereich ausgebaut und die Präsenz etwa an Hochschulen verstärkt worden, Investitionen in die Sichtbarkeit der Arbeitgebermarke getätigt und der Auftritt in Sozialen Medien forciert worden. Auch würden vielversprechende Bewerber binnen zehn Arbeitstagen zum Gespräch geladen und hätten danach ihren Vertrag innerhalb kürzester Zeit in der Tasche.
„Wir sind in einem absoluten Arbeitnehmermarkt“, beschreibt Rega die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt. Arbeitgeber, die sich nicht anpassten, hätten es schwer, Nachwuchskräfte zu finden und zu halten. Denn junge Menschen würden Unternehmen, in denen sie keine Veränderungskultur wahrnähmen, rasch wieder verlassen.
Banken wandeln sich
Regas Beobachtung zufolge hat sich aber bereits einiges in der Finanzbranche getan. „Viele Banken haben sich sehr gewandelt, beschleunigt durch die Coronakrise.“ Die fortschreitende Digitalisierung mit intensiver Homeoffice-Nutzung zähle ebenso dazu wie agileres, weniger hierarchisches Arbeiten oder die Betonung der Nachhaltigkeit, aber auch der Einzug der Duz-Kultur oder eine gelockerte Kleiderordnung. Die ist wohl am deutlichsten abzulesen am allmählichen Verschwinden der Krawatte.
Nachwuchskräfte halten
Um Nachwuchskräfte nach Vertragsunterschrift bei der Stange zu halten, setzt der Genoverband auf entsprechende Maßnahmen. „Wer seinen Arbeitsvertrag unterschrieben hat, mit dem bleiben wir im Rahmen eines Preboardings ungefähr in wöchentlichem Rhythmus in Kontakt.“ Denn seiner Kenntnis nach erscheinen in der gesamten Dienstleistungsbranche in Deutschland ein Drittel der Menschen, die einen frischen Vertrag in der Tasche haben, ohne erkennbaren Grund nicht am ersten Arbeitstag. Sie hätten in der Zwischenzeit schlicht etwas anderes gefunden und scheuten die rechtlichen Folgen ihres Verhaltens nicht. „Das erleben mittlerweile auch unsere Mitglieder“, erzählt Rega. Diesem sogenannten Ghosting im Job lasse sich mit Preboarding ein wenig vorbeugen.
Hang zur Größe
Der Wettbewerb um Personal, in Kombination mit zunehmender Finanzregulierung, befeuere Fusionen von Finanzhäusern, stellt Rega fest. „Die Regulatorik und der durch sie noch potenzierte Fachkräftemangel führen dazu, dass es für kleinere Banken zunehmend schwierig wird und diese deswegen vermehrt in Fusionen gehen.“ Zudem begünstige die Notwendigkeit, dem Finanzierungsbedarf von größeren Firmenkunden nachzukommen, den Hang zur Größe. Rund 18% der dem Genoverband angehörenden Institute verfügen aktuell über eine Bilanzsumme von unter 250 Mill. Euro. Vor fünf bis sechs Jahren waren es laut Genoverband noch 22%. Zugleich sei der Anteil der Banken mit einer Bilanzsumme von mehr als 1 Mrd. Euro von 38% auf fast 45% gestiegen.
In einer Umfrage des Genoverbandes unter seinen Mitgliedern hatte sich jüngst etwa jedes zweite Institut offen für Fusionen gezeigt und dabei als Gründe zuvorderst Fachkräftemangel und Regulatorik angeführt.
18 Zusammenschlüsse innerhalb des Verbandes angekündigt
Innerhalb des Genoverbandes sind für dieses Jahr 18 Fusionen angekündigt, vorbehaltlich der entsprechenden Beschlüsse durch die jeweiligen General- bzw. Vertreterversammlungen. Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) rechnet bundesweit, so wie in den vergangenen Jahren auch, mit 30 bis 40 Zusammenschlüssen.
Auch die Verbände-Landschaft der Finanzbranche in Deutschland befindet sich Rega zufolge in der Konsolidierung. In der genossenschaftlichen Finanzgruppe existierten noch drei große, regional tätige Verbände – abgesehen vom Genoverband sind das die Genossenschaftsverbände in Bayern und Baden-Württemberg. Darüber hinaus gibt es den kleinen Verband Weser-Ems sowie zwei Spartenverbände, nämlich die der PSD- und Sparda-Banken. „Wir sind deutlich konsolidierter als die Sparkassen-Finanzgruppe, und das gilt auch auf Ebene unserer Akademien, also der Bildungseinrichtungen, da sind wir schon viel weiter“, sagt Rega. Verfügten die Sparkassen noch über eine größere Zahl solcher Einrichtungen, so seien es drei bei den Genossen.
Sind weitere Schritte geplant, möglicherweise Fusionen im Schwange? „Was Fusionen von Regionalverbänden angeht, nicht“, so der Vorstandsvorsitzende. „Wir haben alle unterschiedliche Profile und Ausrichtungen. Wir als Genoverband haben neben der Prüfung ein sehr starkes Bildungs- und Beratungsgeschäft und sind damit sehr ausbalanciert.“
Betreiber von Bildungseinrichtungen
Der Genoverband betreibt die Geno Akademie mit eigenen Standorten in Forsbach, Karlsruhe und Baunatal. „Unsere Bildungseinrichtungen sind darauf ausgerichtet, sämtliche Bankmitarbeiter bis hin zum Topmanagement auszubilden. Das ist eines unserer Kerngeschäfte. Damit machen wir rund 75 Mill. Euro Umsatz, mehr als die Hälfte davon mittlerweile virtuell.“
Zudem betätigt sich der Verband als Bildungsträger einer Berufsschule in Münster, des Geno Kollegs. „Wir sind die Einzigen, die eine vollwertige Regelersatzberufsschule anbieten“, führt Rega aus. An der voll digitalisierten Schule würden für die in Nordrhein-Westfalen ansässigen Verbandsmitglieder Ausbildungsgänge angeboten. Knapp 40% seien für Banker, gut 60% für andere Genossenschaften, etwa in Logistik, Handel und IT.
Kritik an Prüfungspraxis bei VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden
Deutliche Worte findet Rega bezüglich der Prüfer der angeschlagenen VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden. Die ist bekanntlich angesichts der risikofreudigen Manöver des einstigen Vorstands in Schieflage geraten und unter einen BVR-Schutzschirm geschlüpft. „Der letzte von uns geprüfte Jahresabschluss war der zum Geschäftsjahr 2014. Sie hatte sich dann einem sehr kleinen Verband angeschlossen.“ Es handelte sich dabei um den PDG Genossenschaftlichen Prüfungsverband mit Sitz in Erfurt. „In derartigen Kanzleiverbänden ist leider in der Regel naturgemäß wenig Expertise bezüglich Banken vorhanden“, sagt Rega.
Mittlerweile ist die VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden wieder Mitglied des Genoverbandes. Dieser prüfe nahezu 400 Finanzinstitute, was ihn zum größten Bankenprüfer Deutschlands mache. „Wenn eine Gesellschaft ein Finanzinstitut prüft mit Prüferinnen und Prüfern, die kaum Erfahrung mit Banken haben, dann sehe ich das schon sehr kritisch.“
Zur Person
Seit gut sechs Jahren arbeitet Ingmar Rega beim Genoverband, zunächst als Vorstandsmitglied und seit Jahresbeginn 2020 als Vorsitzender des aktuell vierköpfigen Führungsgremiums. Der gebürtige Göttinger hatte Agrarwissenschaften in Kiel studiert. Ende der 90er-Jahre verschlug es ihn in die Wirtschaftsprüfung bei KPMG, wo er rasch aufstieg, es zum Bereichsvorstand Abschlussprüfung Deutschland brachte und schließlich zum Mitglied des Vorstands. Der 55-Jährige lebt mit seiner Familie im Taunus und hat sich dort ein Gartenparadies erschaffen, den Landschaftsgarten Obernhain.