GASTBEITRAG

Zu viel des Guten!

Börsen-Zeitung, 23.2.2016 Kurz vor dem Jahreswechsel hat die europäische Bankenaufsicht (EBA) die lang erwartete finale Fassung ihrer Richtlinien zur Vergütungsgestaltung im Bankensektor veröffentlicht. Zeitgleich hat sie ein Positionspapier...

Zu viel des Guten!

Kurz vor dem Jahreswechsel hat die europäische Bankenaufsicht (EBA) die lang erwartete finale Fassung ihrer Richtlinien zur Vergütungsgestaltung im Bankensektor veröffentlicht. Zeitgleich hat sie ein Positionspapier herausgegeben, in dem sie ihren Standpunkt zur Anwendung des Proportionalitätsprinzips darlegt. Insbesondere für die deutsche Bankenlandschaft sind die Inhalte von großer Bedeutung. Die Identifizierung von Mitarbeitern mit einem besonderen Einfluss auf das Institut, sogenannte Risk Taker, soll laut EBA für alle Institute – also auch für kleine Volksbanken und Sparkassen – verpflichtend werden. Bleibt die Frage, wie sich die BaFin positionieren wird. Abhängig von der GrößeDoch werfen wir zunächst einen Blick zurück. Bislang verweisen die CRD-IV-Richtlinien darauf, dass Institute und Aufsichtsbehörden darauf zu achten haben, die Umsetzung der Vergütungsrichtlinien so zu gestalten, dass diese der Größe, internen Organisation sowie Art, Umfang und Komplexität der Geschäfte eines Instituts Rechnung tragen. So weit, so vage.Die BaFin hat daraus die Trennung in bedeutende und unbedeutende Institute abgeleitet. Die Grenze liegt bei einer Bilanzsumme von 15 Mrd. Euro. Institute, die diese Grenze überschreiten, müssen besondere Anforderungen der Institutsvergütungsverordnung (IVV) erfüllen: Risk-Taker-Analyse, Berücksichtigung unterschiedlicher Erfolgsbeiträge bei der Bemessung der variablen Vergütung, Streckung variabler Vergütungsbestandteile in die Zukunft mit Malusregelungen, Auszahlung in aktienbasierten Instrumenten, Ernennung eines Vergütungsbeauftragten etc. Unbedeutende Institute können diese Regeln “neutralisieren”, d.h. sie müssen sie nicht anwenden.Die EBA hat eine Bestandsaufnahme der EU-weiten Anwendung des Proportionalitätsprinzips vorgenommen und die teils deutlichen Unterschiede zwischen den Staaten als korrekturbedürftig erachtet. Nicht nur, dass eine unterschiedliche Auslegung des Proportionalitätsprinzips zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen einzelnen EU-Ländern führt. Auch die Benachteiligung von Instituten innerhalb eines Landes ist zu befürchten. In ihrem ersten Entwurf wollte die EBA die Neutralisierung der Anwendungen prinzipiell untersagen, so dass alle Institute die Regeln einführen müssten – jedoch mit unterschiedlicher Intensität. Dies würde die Abschaffung der Unterscheidung in bedeutende und unbedeutende Institute bedeuten.Zum Glück erweist sich diese Befürchtung nun in Teilen als unbegründet. Zwar hält die EBA die Anwendung der Neutralisierung durch die jetzige CRD-IV-Richtlinie für unmöglich, betont jedoch explizit die Notwendigkeit des Proportionalitätsprinzips und die Möglichkeit der Neutralisierung. Das Ziel: eine klare Regelung der Neutralisierung von einzelnen Vergütungsvorschriften. Das geht nur über eine gesetzliche Anpassung der CRD-IV-Regelungen, die der EU auch so vorgeschlagen wurde.In ihrem Positionspapier erkennt die EBA die Sinnhaftigkeit, Mitarbeiter gemäß ihrer Vergütungszusammensetzung zu differenzieren: Ausnahmen von den Vorschriften zur Zurückbehaltung variabler Vergütung (Deferral) und der Auszahlung in Instrumenten sollen dann möglich sein, wenn die variable Vergütung für einen Mitarbeiter von nichtmaterieller Bedeutung ist. Denkbar wäre eine absolute Grenze, wie z. B. die derzeitige 50 000-Euro-Grenze der BaFin. Zusätzlich soll auch der Anteil der variablen Vergütung an der Gesamtvergütung berücksichtigt werden. In Deutschland würden sich damit kaum Änderungen ergeben.Die zweite Art der Neutralisierung sieht die EBA in der generellen Unterscheidung von Instituten. Das ist in Deutschland bereits aufsichtsrechtliche Praxis. Nicht bedeutende, kleinere Institute sind bei der Ausgestaltung ihrer Vergütungssysteme zwar ebenfalls verpflichtet, die allgemeinen regulatorischen Anforderungen an Vergütungssysteme zu erfüllen. Jedoch soll ihnen der Spielraum gewährt werden, dieser Verpflichtung auch durch weniger komplexe Vergütungssysteme nachzukommen. Die bisherige Trennung deutscher Institute in bedeutend und nicht bedeutend wird es also auch zukünftig geben. Allerdings könnte es schwieriger werden, als nicht bedeutend eingestuft zu werden, da die EBA neben der Bilanzsumme noch weitere Kriterien definiert. Heißt im Klartext: Nicht jede Sparkasse oder Volksbank muss einen Vergütungsbeauftragten ernennen. Risikoträger-Regeln für alleAlso doch Entwarnung? Nicht ganz, denn die Vorschriften zur Identifizierung der Risk Taker wurden präzisiert. In Zukunft gilt der Prozess für alle Institute – egal ob bedeutend oder nicht. Die Risk-Taker-Analyse muss also auch von solchen Häusern durchgeführt werden, die sich bisher keine Gedanken um die besonderen Anforderungen der IVV machen mussten. Zusätzlich sollen für die Risk Taker nicht bedeutender Institute weitere Regeln gelten, darunter das Messen an mehrjährigen Zielen oder die Bestimmung der variablen Vergütung abhängig vom Unternehmens-, Bereichs- und individuellen Erfolg. Das hätte einen erheblichen Anpassungsbedarf zur Folge, da die meisten Institute neben der Einführung der Risk-Taker-Analyse auch ihre variablen Vergütungssysteme grundlegend überarbeiten müssten. Ob sich das positiv auf die Motivation, Risikonahme und Effizienz auswirkt? Wohl kaum.Die EBA-Guidelines sind an die nationalen Aufsichtsbehörden adressiert und werden nach dem Comply- or-Explain-Prinzip umgesetzt. Bleibt also zu hoffen, dass die BaFin diese Vorschriften tatsächlich auf den nationalen deutschen Kontext anwendet. Für die kleinen Institute müssten die Regeln angemessen entschärft werden. Der vorgeschlagene Mehraufwand der EBA ist nicht zu rechtfertigen. Gleichzeitig sind die Banken aufgefordert, den Kulturwandel und die Veränderung der Vergütung aktiv und mit ganzem Herzen voranzutreiben. Der Versuch, Vorschriften zu umgehen, würde nur zu weiteren Verschärfungen führen. Was wir brauchen, sind wirksame, vernünftige Vergütungssysteme – und kein Diktat bis ins letzte Detail.—-Florian Frank, Vergütungsexperte bei der Beratungsgesellschaft Willis Towers Watson