Insolvenzen

Warten auf die Insolvenz­welle

Während der Pandemie sind Milliarden geflossen, um Unternehmen vor der Pleite zu retten. Doch nach der Krise ist vor der nächsten: Erneut werden Rufe nach staatlichen Hilfen laut. Sind Insolvenzen ein Phänomen von gestern?

Warten auf die Insolvenz­welle

Vergünstigte KfW-Kredite, Anpassungen bei der Insolvenzantragspflicht, Wirtschaftsstabilisierungsfonds: Wer während der Coronakrise mit Restrukturierern sprach, bekam mitunter spöttelnd zu hören, man müsse sich regelrecht Mühe geben, um bei all den Hilfsprogrammen noch pleitezugehen. Man kann es freilich auch positiver formulieren: Die Eingriffe halfen, die be­fürchtete Insolvenzwelle zu verhindern. Allerdings steigt durch umfassende Hilfen die Zahl der Unternehmen, die aus eigener Kraft nicht zukunftsfähig sind – gern als „Zombies“ tituliert. Laut einer Analyse der Unternehmensberatung Kearney, für die weltweit 70000 Unternehmen untersucht wurden, gab es 2021 fast 2000 solcher Zombies, ein Anstieg um 10% gegenüber dem Vorjahr. Als Zombie stuft die Analyse Firmen ein, die drei Jahre in Folge nicht in der Lage sind, mit ihrem operativen Ergebnis die laufenden Zinsverbindlichkeiten zu decken.

Das bedeutet auch: Die begonnene Zinswende wird die Situation verschärfen. Laut Berechnungen von Kearney würde bei einem Anstieg der Zinslast um den Faktor 1,5 – bei gleichbleibender Performance der Unternehmen − die Anzahl der Zombies um 17 % steigen. Für die Wirtschaft sind Zombies bedrohlich, weil sie zu Fehlallokationen führen. Zombies binden Ressourcen wie Mitarbeiter, Energie oder Rohstoffe, ohne dass ein Ertrag generiert wird.

In anderen Unternehmen dagegen fehlen diese Mittel. Schlimmstenfalls steht deren Produktion still, und die Firmen geraten in eine wirtschaftliche Schieflage. Tillmann Peeters, Geschäftsführer der Restrukturierungsberatung Falkensteg, warnt deshalb davor, Insolvenzverfahren immer nur negativ zu betrachten. „Wir haben sehr gute sanierungsrechtliche Instrumente, mit denen sich der gesunde Kern aus einem Unternehmen herausschälen lässt.“ Dies sei der bessere Weg, als Unternehmen künstlich am Leben zu erhalten. „Insolvenzen haben auch eine reinigende Funktion.“ Auch Georg Bernsau, Partner im Bereich Restrukturierung und Insolvenzrecht bei K&L Gates, sieht umfassende Eingriffe der Politik kritisch: „Ein erneutes intensives Hilfsregime, wie wir es in der Pandemie gesehen haben, fände ich nicht richtig“, sagt er. Denn Unternehmen, die nur durch staatliche Hilfen am Leben gehalten werden, binden Geld und Mitarbeiter, die anderswo fehlen. „Das schadet dem Wettbewerb“, sagt Bernsau. 

Doch nach wie vor hängt die Zahl der Pleiten stark davon ab, wie intensiv der Gesetzgeber eingreift. Erste Branchen rufen angesichts steigender Preise wieder nach staatlicher Unterstützung. Die Bundesregierung hat bereits einige Hilfen zugesagt, unter anderem soll der von Olaf Scholz als „Doppel-Wumms“ titulierte 200 Mrd. Euro schwere Abwehrschirm gegen steigende Energiepreise sowohl Verbraucher als auch Unternehmen entlasten.

Umstrittene Gießkanne

Während der Pandemie hatte der hohe Zeitdruck, unter dem Mittel bewilligt wurden, zu teils fragwürdigen Entscheidungen geführt. Die Hilfen sollten schnell und unbürokratisch sein, eine detaillierte Prüfung der Antragsteller gab es nicht. Sie wäre angesichts der Vielzahl der Fälle auch kaum leistbar gewesen. Die Folge: „Wenn man unbürokratisch hilft, hilft man mitunter auch den Falschen“, bilanziert Restrukturierer Peeters. Allein bis Ende November 2021 wurden im Zuge der Coronahilfen rund 57 Mrd. Euro als Zuschüsse ausbezahlt, hinzu kamen rückzahlbare Hilfen im Rahmen von Kredit-, Bürgschafts- und Beteiligungsprogrammen im Volumen von bis dato bereits fast 70 Mrd. Euro.

Dass Rettungsmaßnahmen nach dem Gießkannenprinzip zunehmend in Verruf geraten, dürfte auch daran liegen, dass manche Unternehmen binnen kurzer Zeit erneut in Schieflage geraten. Der Warenhauskonzern Galeria durchlief 2020 eine Insolvenz in Eigenverwaltung, rund 2 Mrd. Schulden wurden dem Konzern erlassen. Danach erhielt Galeria insgesamt 680 Mill. Euro vom Wirtschaftstabilisierungsfonds. Inzwischen ist Galeria erneut in einer Insolvenz in Eigenverwaltung. Die WSF-Mittel sind nachrangig, die Chancen auf Rückzahlung im Pleitefall daher verschwindend gering.

Das drehende Zinsumfeld könnte in den kommenden Monaten noch so manchen Zombie aussortieren. Es trifft auch die Unternehmen, die ihre Verschuldung vor der Krise hochgefahren haben, als Fremdkapital günstig war. Die jüngsten Zinsschritte verteuern Finanzierungen deutlich, auch für gesunde Unternehmen: „Wer sich vor ein, zwei Jahren noch zu 3 bis 4% am Anleihemarkt refinanzieren konnte, muss jetzt mit 6 bis 8% kalkulieren“, sagt Oliver Kehren, Managing Director und Vorstand der Morgan Stanley Bank AG sowie Vorstandsvorsitzender der TMA Deutschland. Wer in der Coronakrise frische Liquidität brauchte, griff gern zum KfW-Kredit. Vom Start des Programms im März 2020 bis zum Ende des Jahres 2021 hatte die KfW nach eigenen Angaben bereits mehr als 140 000 Unternehmen unterstützt, vorwiegend kleine und mittelständische Betriebe. Aber: „Auch ein KfW-Kredit ist ein Kredit und muss zurückgezahlt werden“, betont Kehren. „Das wurde mitunter im Eifer des Gefechts vergessen.“

Zuletzt zeigten sich Banken dem Vernehmen nach pragmatisch, wenn es etwa darum ging, tilgungsfreie Zeiten zu verlängern. Gern genutzt wird die Komponente „Payment in Kind“ (PIK). Dabei werden die Zinsen für einen Kredit endfällig gestellt. Allerdings geht der Plan nur auf, wenn der Kreditnehmer sich bis zur Fälligkeit stabilisiert hat und die zuvor gestundeten Zinsen auch zahlen kann. Verlieren Banken die Hoffnung auf Rückzahlung, bleibt als Ausweg noch der Weiterverkauf der Kredite unter Par an spezialisierte Distressed-Investoren. Von ersten Fällen höre man, berichten Banker.

Die zusätzliche Belastung durch steigende Kapitalkosten bereitet auch manchen Unternehmenschefs Sorgen. „Wir sehen einen deutlichen Anstieg von Restrukturierungsanfragen“, sagt Georg Bernsau von K&L Gates. Oft seien dies Unternehmen, die nicht akut existenzbedroht sind, aber fürchten, dass es in einigen Monaten eng werden könnte. Bernsau rechnet im kommenden Jahr mit mehr Insolvenzfällen als 2022: „Wir werden nicht jeden Restrukturierungsfall retten können.“

Marktmacht gefragt

Tillmann Peeters von der Restrukturierungsberatung Falkensteg sieht derzeit eine steigende Nachfrage nach Sanierungsgutachten, die etwa benötigt werden, wenn Unternehmen Covenants in ihren Bankkrediten reißen. Steigende Insolvenzzahlen hält er angesichts des niedrigen Ausgangsniveaus für unvermeidlich. „Es wird aber kein sprunghafter Anstieg, sondern eher ein kontinuierliches Anwachsen der Fälle.“

Wenn staatliche Hilfen in der Breite ausbleiben, hängt die Überlebensfähigkeit auch ein Stück weit an der Marktmacht: Wer ein gutes Produkt hat, kann Preissteigerungen weitergeben. Gibt es aber vergleichbare Qualität zu günstigeren Preisen anderswo, etwa bei Produzenten im Ausland, wird es schwer. Das merken beispielsweise schon Hersteller von Standardwaren wie Textilfasern, Metallteilen oder Kunststoffprodukten. Mit Kunden und Lieferanten über Preisanpassungen zu verhandeln, kann sich über Wochen oder sogar Monate hinziehen, sagt Peeters. „Diese Zeitachse bekommen Unternehmen in prekären Situationen oft nicht mehr abgebildet.“

Von Sabine Reifenberger, Frankfurt

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