EU-Handreichung zur Nachhaltigkeit wirft neue Fragen auf
Im Gespräch: Viola Möller und Arne Stratmann
„Vielzahl an FAQ ist eine Herausforderung“
BDO-Experten über die EU-Handreichung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nach CSRD, Leitplanken und neue Fragen
sar Frankfurt
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt
Tausende Unternehmen müssen künftig die EU-Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung CSRD befolgen. Ein FAQ-Dokument soll ihnen nun Orientierung geben. Doch die umfangreiche Handreichung wirft an manchen Stellen neue Fragen auf, beobachten Viola Möller und Arne Stratmann von BDO.
Schon seit längerem beklagen Unternehmen, die künftig nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) über Nachhaltigkeit berichten müssen, dass das Thema komplex sei. Wie komplex, das zeigt der Umfang der im August von der EU-Kommission veröffentlichten „Frequently Asked Questions“ zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Das Dokument mit Hinweisen zu den häufigsten Fragen kommt auf stolze 52 Pdf-Seiten. Um darin Orientierung zu finden, müssen Leser schon einiges an Wissen mitbringen.
„Das Dokument bietet keinen einfachen Einstieg in die Thematik“, betont Viola Möller, die bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft BDO den Bereich Sustainability Services leitet. Mit Mandanten steht sie nach eigener Aussage mittlerweile täglich zur Nachhaltigkeitsberichterstattung im Austausch. Der Wissensstand sei unterschiedlich: „Große Unternehmen haben in der Regel bereits Erfahrung mit Nachhaltigkeitsberichten und befassen sich schon mit tiefgehenden regulatorischen Detailfragen zur CSRD. Erstanwender dagegen stehen vor einer schwer zu überblickenden Fülle an Informationen.“ Neben den breit angelegten FAQ der EU-Kommission zur CSRD gibt es auch Hinweise der European Financial Reporting Advisory Group (Efrag) zum Thema sowie Verlautbarungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW).
Dass gleich mehrere Organisationen Hinweise und FAQ zur Nachhaltigkeitsberichterstattung veröffentlichen, ist nach Einschätzung von Arne Stratmann nicht unbedingt ein Vorteil. „Die Vielzahl an FAQ ist eine Herausforderung“, sagt der Wirtschaftsprüfer, der sich bei BDO in der Grundsatzabteilung mit den Anforderungen an die Prüfung von Nachhaltigkeitsberichten befasst.
Was ist ein „reasonable effort“?
Mancher Hinweis läuft auf ein unspezifisches „Es kommt drauf an“ hinaus. Eine häufige Frage lautet etwa, wie viel Aufwand ein Unternehmen betreiben muss, um ESG-Daten entlang seiner Lieferkette zu erheben, bevor es diese schätzen darf. Die CSRD spricht von „reasonable effort“. Doch was ist „reasonable“? Die FAQ geben Faktoren an, die in diese Überlegungen einbezogen werden können, etwa die Unternehmensgröße, die Komplexität der Lieferketten oder die internationale Verteilung der Zulieferer. „Es bleibt aber eine große Variantenvielfalt“, betont Stratmann. Nicht alle Fragen zu Nachhaltigkeitsberichten lassen sich dem Wirtschaftsprüfer zufolge vorab klar definieren. Sein Wunsch lautet: „Manche Entwicklung sollte man der Praxis überlassen und dann mit etwas zeitlichem Abstand gezielt da nachjustieren, wo es erforderlich ist.“
Möller erlebt derzeit viel Austausch innerhalb der Wirtschaftsprüferbranche, um eine gemeinsame Linie zu finden. „Das wird sich noch verstärken, wenn wir mehr und mehr Berichte sehen“, sagt sie. Noch seien viele Diskussionen sehr theoretisch, doch die Praxiswelle naht: Zunächst trifft die CSRD-Berichtspflicht vorwiegend Unternehmen, die heute bereits nach der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sind. „Das sind die Profis, die als erste in den Ring steigen“, sagt Möller. Doch zum Jahreswechsel 2025/26 wird die Zahl der Betroffenen deutlich steigen.
CSRD-Berichtspflicht trifft Tausende Unternehmen
Während Schätzungen zufolge etwa 600 Unternehmen durch die NFRD Erfahrungen mit Nachhaltigkeitsberichten haben, könnten künftig 15.000 Firmen unter die CSRD-Berichtspflicht fallen. „Eine Nachhaltigkeitsberichterstattung ist zwar nicht neu, aber im Kontext der CSRD entwickeln wir zwischen uns als Wirtschaftsprüfern und unseren Kundinnen und Kunden jetzt erst eine gemeinsame Praxis. Darauf müssen wir uns alle zusammen einlassen“, sagt Stratmann.
Möller hört von Mandanten auch häufig von Herausforderungen, die sich nicht über die Lektüre von FAQ erhellen lassen. Etwa die Frage, wie man qualitative Daten adäquat erfasst oder wie man Nachhaltigkeit organisatorisch im Unternehmen abbildet. Während die Wirtschaftsprüfer für die Prüfung der Jahresabschlüsse vorwiegend mit der Finanzabteilung zu tun haben, sind bei Nachhaltigkeitsberichten zunehmend auch HR-Verantwortliche, Standortleiter oder Führungskräfte aus dem Facility Management gefragt. Möller beobachtet, dass Nachhaltigkeit mit operativen und strategischen Fragestellungen mittlerweile eng verzahnt ist. „Auf die daraus folgenden organisatorischen Anforderungen gehen die FAQ allerdings nicht näher ein.“
Wirtschaftsprüfer setzen auf KI
Auch für die Wirtschaftsprüfer ändert sich durch den wachsenden Stellenwert der Nachhaltigkeitsberichterstattung das Anforderungsprofil. Seit wenigen Wochen liegt der Regierungsentwurf für die Umsetzung der CSRD in deutsches Recht vor. Er sieht vor, dass entsprechend qualifizierte Wirtschaftsprüfer künftig auch die Nachhaltigkeitsberichte prüfen sollen. Teil des Wirtschaftsprüferexamens ist das Thema bislang allerdings nicht. Stratmann arbeitet seit mehr als einem Jahr daran, die Kolleginnen und Kollegen zu schulen und auf das neue Themenfeld vorzubereiten.
Um die deutlich steigende Zahl an Nachhaltigkeitsberichten bewältigen zu können, arbeitet BDO mit dem Softwarehaus Deep Neuron Lab (DNL) an Automatisierungsschritten mit künstlicher Intelligenz. DNL hat bereits eine KI-basierte Auswertung für Finanzberichte im Portfolio, eine ähnliche Anwendung soll für die CSRD entstehen. Das Tool kann beispielsweise dabei helfen, Daten zu erkennen und so aufzubereiten, dass sie vom Prüfer für weitere Analysen genutzt werden können.
Bei Berichten in den darauffolgenden Jahren kann das KI-basierte Tool die Angaben zudem mit den Vorjahresantworten abgleichen. „Automatisierung ist ein wichtiger Schritt, um Standardtätigkeiten auszulagern“, sagt Stratmann. Er würde sich wünschen, dass Nachhaltigkeit auch in das Wirtschaftsprüfer-Examen fest integriert wird, und nicht als „Nebenthema“ behandelt wird. Schließlich würden auch die Unternehmen den Aspekt in ihre Gesamtstrategie integrieren. Diese Betrachtung sollten Wirtschaftsprüfer übernehmen, findet Stratmann. „Nachhaltigkeit wird zu unserem Berufsbild einfach dazugehören.“