Grüne Fonds werden zu Ladenhütern
Nachhaltige Fonds werden zu Ladenhütern
ESG-Produkte verzeichnen auch im ersten Quartal Milliardenabflüsse – BVI vermutet Zusammenhang mit Präferenzabfrage
wbr Frankfurt
Laut BVI haben nachhaltige Fonds von Januar bis März Nettoabflüsse in Höhe von 3,3 Mrd. Euro verbucht. Der Branchenverband vermutet einen Zusammenhang mit der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenz im Beratungsgespräch. In der Kritik steht auch die Klassifizierung nach der Offenlegungsverordnung.
Die Anleger in Deutschland haben im ersten Quartal 2023 rund 3,3 Mrd. Euro aus nachhaltigen Fonds abgezogen. Damit setzten sich die deutlichen Nettomittelabflüsse aus ESG-Fonds fort. Im vierten Quartal 2023 lagen die Verkäufe bei grünen Investmentfonds bei 5,8 Mrd. Euro. Im dritten Quartal hatten die Anleger für 4,2 Mrd. Euro Anteile an nachhaltigen Produkten verkauft, wie der deutsche Fondsverband BVI mitteilt.
Die Zahlen beziehen sich auf nachhaltige Fonds, die nach der EU-Offenlegungsverordnung als Artikel-8-Fonds oder Artikel-9-Fonds klassifiziert sind. Artikel-8-Fonds verfolgen eine Nachhaltigkeitsstrategie, bei Artikel 9 geht es um die nachhaltige Wirkung (Impact-Fonds).
Fokus auf Industriegüter
Aktienfonds gemäß Artikel 8 und 9 investieren nach Angaben des BVI zum Beispiel in Industriegüterunternehmen wie Hersteller von Windkraftanlagen oder Eisenbahntechnik. Auch Konsumgüterproduzenten sowie Technologieaktien machten einen überdurchschnittlich großen Anteil in ihren Portfolios aus. Dagegen würden Unternehmen aus der Grundstoffindustrie oder dem Öl- und Gassektor stark untergewichtet.
Beim verwalteten Volumen der ESG-Fonds wurden nach Angaben des BVI allerdings erneut Höchststände erreicht. Per Ende März lag das Vermögen in nachhaltigen Publikumsfonds bei rund 727 Mrd. Euro, ein Plus im Vergleich zum Vorquartal von 4%.
ESG-Spezialfonds legen zu
Deutlich stärker zugelegt haben laut BVI-Daten indes die nachhaltigen Spezialfonds für Großanleger. Ihr Vermögen habe sich im Vergleich zum Vorquartal um 20% gesteigert. Allein in den letzten zwölf Monaten betrug das Plus rund 45%. Mit nunmehr 250 Mrd. Euro ist das Segment allerdings deutlich kleiner als das Segment der Publikumsfonds.
Ein Grund für die anhaltenden Abflüsse dürfte nach Ansicht des BVI die EU-Regulierung des Vertriebs sein. Viele Kunden würden ein „Nein“ bei der seit 2022 verpflichtenden Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen angeben, um sich die volle Flexibilität in der Produktauswahl zu erhalten, so der Fondsverband.
Darüber hinaus würden selbst interessierte Anleger oft an der Komplexität der vorgegebenen Fragen in der Anlageberatung scheitern, etwa zu Mindestquoten oder nachteiligen Auswirkungen, die sie berücksichtigen möchten. Weil Definitionen und Standards fehlten, sind aus Sicht des BVI verpflichtende Angaben zu den Nachhaltigkeitsmerkmalen außerdem oft nicht vergleichbar. Das führe zusätzlich zu einer Verunsicherung vieler Privatanleger.
Neues Klassifizierungssystem
Die EU-Kommission hat daher eine neue Offenlegungsverordnung angestoßen. In der Diskussion ist dabei auch ein neues Produktklassifizierungssystem. Damit könnte die Einteilung in Artikel 8 und 9, auf der auch die BVI-Statistik nachhaltiger Fonds basiert, infrage gestellt werden. Diese Methodik hatte seit der Einführung im März 2021 zu Verwirrung und Umklassifizierungen geführt. In der Folge mussten rückwirkend immer wieder Zahlen korrigiert werden.
Wenig aussagekräftig sind angesichts der Umklassifizierungen die Zahlen zu ESG-Publikumsfonds aus dem ersten Jahre der Offenlegungsverordnung. 2021 schwankten die Zuflüsse pro Quartal zwischen 10,6 und 21,5 Mrd. Euro. Die Problematik der Klassifizierung zeigt sich auch bei der Einführung von Artikel 8 und 9. Die Umstellung der Zählweise pushte das Volumen von ESG-Fonds seinerzeit von 91 auf 168 Mrd. Euro.