Im BlickfeldWeniger ESG-Regulierung, weniger Geschäft

Wirtschaftsprüfer geraten unter den EU-Omnibus

Mit der Omnibus-Initiative entlastet die EU viele Unternehmen von ESG-Regulatorik. Während die großen Consulting-Häuser sich weitgehend entspannt zeigen, erleiden die Wachstumsfantasien von Wirtschaftsprüfern einen harten Rückschlag.

Wirtschaftsprüfer geraten unter den EU-Omnibus

Als Anfang 2023 die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung in Kraft trat, dürften in einigen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungshäusern die Sektkorken geknallt haben. Branchenkenner erinnern sich an Goldgräberstimmung, von der „Lizenz zum Gelddrucken“ sei die Rede gewesen. Allein in Deutschland hätten, zeitlich gestaffelt, in den kommenden Jahren mehr als 13.000 Unternehmen verpflichtend einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen müssen. Dieser hätte der externen Prüfpflicht unterlegen.

Das sorgte für Aufruhr in der Unternehmenslandschaft. Gerade Mittelständler fürchteten den Aufwand durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Im Prüfermarkt hingegen herrschte Hochstimmung: „Wenn man Wirtschaftsprüfer nach den größten Wachstumstreibern gefragt hat, zählte Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren immer zu den drei Top-Themen“, sagt Jörg Hossenfelder, Geschäftsführer des auf die Consulting-Branche spezialisierten Research-Hauses Lünendonk & Hossenfelder.

Jörg Hossenfelder, Geschäftsführer von Lünendonk & Hossenfelder, sieht die Wachstumshoffnungen vieler Wirtschaftsprüfer enttäuscht.
Lünendonk & Hossenfelder/Christian Schneider Photography

Zwar erzielten die Wirtschaftsprüfer zuletzt nach Daten des Analysehauses im Schnitt erst 3% ihrer Umsätze im Bereich Nachhaltigkeit, dies lag aber an der schleppenden Umsetzung der CSRD in deutsches Recht – die bis heute nicht erfolgt ist. Die meisten Mandanten warteten daher ab. „Für die Jahre 2025 und folgende hat die Branche dann mit der großen Welle zu prüfender Nachhaltigkeitsberichte gerechnet.“

Geplatzte Wachstumsträume

Diese Hoffnungen haben mit der Omnibus-Initiative der EU ein jähes Ende gefunden. Sie soll Unternehmen von ESG-Regulatorik entlasten. Sie reduziert nicht nur die Komplexität, sondern auch den Anwendungsbereich: Etwa 80% der bisher CSRD-pflichtigen Unternehmen sollen wieder ausgenommen werden.

Die Änderungen der CSRD

Nach der Omnibus-Richtlinie sollen nur noch Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und entweder mehr als 50 Mill. Euro Umsatz oder mehr als 25 Mill. Euro Bilanzsumme den CSRD-Report abgeben müssen. Die Zahl der zu erfassenden Datenpunkte soll deutlich sinken. Zudem verschiebt sich die Berichtspflicht für Unternehmen, die ab dem Geschäftsjahr 2025 berichtspflichtig gewesen wären, um zwei Jahre nach hinten. Auch zur Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) und dem CO₂-Grenzausgleichssystems (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) enthält das Omnibus-Paket Vereinfachungen.

Für die Wirtschaftsprüfer wird der Kuchen durch die Omnibus-Initiative signifikant kleiner. „Die Wachstumsperspektive im Nachhaltigkeitsbereich muss man eindampfen“, sagt Alexander Glöckner, Wirtschaftsprüfer und Leiter des ESG-Kompetenzteams bei RSM Ebner Stolz. „Wir haben viele Mandanten im gehobenen Mittelstand, die berichtspflichtig bleiben. Dennoch ist es ein erheblicher Einschnitt.“

Die Wachstumsperspektive im Nachhaltigkeitsbereich muss man eindampfen.

Alexander Glöckner, RSM Ebner Stolz

Auch Marko Müller, Managing Partner des mittelständischen Prüfungs- und Beratungsunternehmens dhpg, revidiert die Wachstumshoffnungen im ESG-Bereich: „Die gesamte Branche hatte erwartet, dass dies ein Riesenbereich wird – von der Datenerfassung über die Aktualisierung von Kennziffern bis hin zur Prüfung von Nachhaltigkeitsberichten“, sagt Müller. Das Potenzial sei zwar nicht ganz so groß gewesen wie im klassischen Geschäft mit der Finanzberichterstattung – „aber es schien auch nicht allzu weit weg“. Seit der Omnibus-Initiative ist klar, dass der Nachhaltigkeitsbereich um einiges kleiner bleiben wird.

Wirtschaftsprüfer im Schwebezustand

Da die CSRD unter der alten Bundesregierung nicht mehr in nationales Recht übertragen wurde, sind selbst die größten deutschen Konzerne noch nicht verpflichtet, geprüfte CSRD-Berichte vorzulegen. In der Branche hatte man diese Umsätze für die laufende Berichtssaison eingeplant. „Die Unternehmen haben ja auf der Hauptversammlung 2024 auch ihre Nachhaltigkeitsprüfer festgelegt“, sagt Glöckner. Dieser Schwebezustand werde bis zur Überführung in nationales Recht anhalten – „das kann noch 2025 klappen, muss es aber nicht zwingend.“ Auch die Prüfumsätze von Unternehmen, die durch die Omnibus-Initiative nun erst zwei Jahre später berichtspflichtig werden, rücken in die Zukunft.

Forvis Mazars beobachtet, dass die Nachfrage in der Nachhaltigkeitsprüfung wegen der fehlenden Umsetzung der CSRD in deutsches Recht für das Berichtsjahr 2024 geringer ausgefallen ist als erwartet. Nicht alle börsennotierten Unternehmen hätten die mit Blick auf eine Prüfungspflicht beauftragten Prüfungen dann freiwillig fortgeführt, teilt das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungshaus mit. Für das laufende Jahr gebe es ebenfalls Zurückhaltung, da die gesetzliche Prüfungspflicht für 2025 noch nicht absehbar sei. „Die grundsätzliche Nachfrage nach ESG-Prüfungen seitens großer Unternehmen hat sich natürlich in Richtung 2027 verschoben.“ Derzeit gehe es stärker darum, Mandanten beim Erheben von Kennzahlen zu begleiten oder Berichtsentwürfe durchzusehen.

Wirtschaftsprüfer sortieren Kapazitäten neu

Wie hart die einzelnen Häuser von Omnibus getroffen werden, hängt stark von der Aufstellung ab. „Wir haben bei uns im Haus handelbare Kapazitäten, da unsere WP-Teams eine Vielzahl der Prüfungen übernommen hätten“, sagt Glöckner von RSM Ebner Stolz. Kollegen sollen mit Projekten in anderen Bereichen ausgelastet werden. Zudem will das Prüfungs- und Beratungshaus nach Möglichkeit Geschäft intern verlagern: „Wo wir nicht mehr prüfen, können wir uns um Beratungsgeschäft bemühen.“

Wir setzen auf Flexibilität.

Marko Müller, dhpg

Bei dhpg sind viele größere Mittelständler unter den Mandanten. „Noch im Herbst 2024 hatten wir Sorge, nicht alle Nachhaltigkeitsprojekte bewältigen zu können, weil einige Mandanten recht spät dran waren“, berichtet Müller. Nun sei die Situation gekippt. Die Projekte der Mandanten, die prüfpflichtig bleiben, sind auf der Zeitachse entzerrt. Unter denen, die komplett aus der Berichtspflicht fallen, setzt Müller auf indirekte Effekte: „Einige müssen gegenüber Geldgebern, Geschäftspartnern oder Ratingagenturen Auskunft über Nachhaltigkeitskennziffern geben“, erklärt er. Für diese könne sich ein freiwilliger Nachhaltigkeitsbericht anbieten. Doch wie viele Unternehmen diesen Weg gehen, lasse sich noch nicht abschätzen. Müllers Priorität liegt nun darauf, die Belegschaft zusammenzuhalten. „Wir setzen auf Flexibilität. Wer mit Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht ausgelastet ist, kann etwa im Financial Reporting unterstützen.“

Mandanten fallen aus Pflichtberichterstattung

Spezialisierte Boutiquen haben hingegen weniger Möglichkeiten, die Belegschaft anderweitig auszulasten. „Sowohl in der Prüfung als auch in der Beratung wird es Anbieter geben, deren Mandantenstamm komplett aus der Pflichtberichterstattung herausfällt“, erwartet Wirtschaftsprüfer Glöckner. „Das dürfte den Konsolidierungsdruck bei kleineren Häusern erhöhen.“

Harald Nikutta hat gerade mit Geschäftspartner Kai Michael Beckmann die Beratung Navigator’s First gegründet, die unternehmerische Aspekte beim Umgang mit Nachhaltigkeit in den Fokus stellen will. Zuvor war er viele Jahre für PwC, Mazars und Control Risks tätig. Er prognostiziert, dass die Omnibus-Initiative den Markt für Nachhaltigkeitsprüfungen erheblich verändern wird. „Unternehmen, die internationale Konzerne und große Mittelständler zu ihren Mandanten zählen, werden weiterhin gut ausgelastet sein. Für kleinere Prüfer hingegen wird es schwierig – man hört bereits von Entlassungen“, berichtet er. In einigen Häusern liege die Auslastung inzwischen deutlich unter 50%.

Consulting-Branche setzt auf strategische ESG-Themen

Den Ansatz der Omnibus-Initiative findet Nikutta richtig. „Viele Unternehmen haben sich dem Thema Nachhaltigkeit rein aus regulatorischem Druck genähert. Der längere Zeitrahmen bietet nun die Möglichkeit, stärker vom Business Case und von der Resilienz her zu denken.“ Die strengen Vorgaben hätten bislang bei manchen eher eine Abwehrreaktion ausgelöst.

Während in der Prüfung einiges an Geschäft wegbricht, setzen die Unternehmensberater verstärkt auf Angebote für strategische ESG-Projekte. Noch sind die Umsätze mit Nachhaltigkeitsberatung überschaubar, 2024 standen sie nach Daten des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberatungen für einen Marktanteil von 0,8%. In den Wachstumsprognosen lag der Bereich mit 12,6% allerdings ganz vorn. Die Strategieberatung Bain hat unter ihren Kunden einige, die nun zwei Jahre mehr Zeit für die ersten CSRD-Reports haben. „Unternehmen standen zuletzt unter großem Zeitdruck und können nun die strategischen Ansätze nachschärfen“, sagt Partner Karl Strempel.

Karl Strempel sieht Consulting-Häuser mit Fokus auf großen Konzernen an der Kapazitätsgrenze. Foto: Bain

Bei diesem Prozess sei die Begleitung durch Berater weiterhin gefragt, ebenso wie bei zahlreichen anderen Nachhaltigkeitsthemen. Seine Teams seien daher zuletzt „unter Volllast“ gefahren, sagt Strempel. Dass die Nachhaltigkeitsberatung einen Dämpfer erleidet, wenn etwa durch Vereinfachungen bei CSDDD und CBAM der Beratungsbedarf zurückgeht, glaubt Strempel nicht. Consulting-Häuser mit Fokus auf Großkunden operierten ohnehin an der Kapazitätsgrenze. Die Erleichterungen beträfen eher kleinere Mittelständler. „Wir gehen selbst bei Beratungsanfragen zum Teil schon selektiv vor.“

Das Big-Four-Haus Deloitte teilt auf Anfrage mit, man habe in den vergangenen Jahren „viele Mandate und Kunden im Bereich Nachhaltigkeit hinzugewonnen. Dementsprechend haben wir zusätzliche Mitarbeiter eingestellt, um Unternehmen bei den Vorbereitungen auf die Regulierung und bei ihrer nachhaltigen Transformation zu begleiten.“

Zeitliche Entlastung

Das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungshaus geht davon aus, dass die Unternehmen ihre Bemühungen in Sachen Nachhaltigkeit auch nach den Erleichterungen der Omnibus-Initiative fortsetzen – die daraus entstehende Entlastung begrüßt Deloitte. „Wir können die Firmen jetzt unter realistischen zeitlichen Vorgaben in ihren Transformationsprojekten unterstützen.“ Da Deloitte in der Regel größere Unternehmen berate, fielen diese mehrheitlich auch künftig unter die veränderten Regelungen.

Katrin Meyer, die als Partnerin bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Forvis Mazars zu ESG-Strategien berät, sieht durch die Omnibus-Pläne „eine veränderte Dynamik“. Der zeitliche Druck sei raus, die Projekte liefen aber weiter: „Der Grundtenor lautet: Wir atmen jetzt einmal durch, lassen aber nicht komplett den Stift fallen.“ Im Beratungsgeschäft sieht sie zudem den Spielraum, Schwerpunkte zu verlagern: „Im Moment rückt der regulatorische Aspekt in den Hintergrund, dafür sind strategische Themen wie Klimarisikoanalyse und ESG-Datenmanagement stark nachgefragt“, beobachtet Meyer.

Nahezu alle CSRD-Projekte haben gezeigt, dass noch viel zu tun ist.

Sabine Braun, Accenture

Das Consulting-Haus Accenture hat den ESG-Bereich vor drei Jahren durch die Übernahme der Nachhaltigkeitsberatung Akzente ausgebaut. Sabine Braun hat diese 1993 gegründet und ist heute Director bei Accenture Sustainability Services. Durch die Omnibus-Initiative sei „ein Aufatmen“ durch viele Unternehmen gegangen, sagt sie. „Wir spüren im Beratungsgeschäft eine leichte Entschleunigung, sind darüber aber nicht unglücklich. Nahezu alle CSRD-Projekte haben gezeigt, dass noch viel zu tun ist.“

Von Unternehmen, die sich bereits auf die ESG-Regulatorik vorbereitet haben, kämen bereits Folgeprojekte, etwa um das Datenmanagement besser aufzustellen. Allerdings sei es möglich, dass weniger neue Projekte anlaufen, wenn Unternehmen aus der CSRD-Berichtspflicht fallen. „Kleinere Mittelständler werden vielleicht erst einmal abwarten“, sagt Braun. Diese zählten allerdings für Accenture nicht zur Kernklientel.

Hoher Konsolidierungsdruck

Kleinere ESG-Beratungen mit mittelständisch geprägtem Kundenstamm dürften die Folgen der Omnibus-Initiative stärker spüren, erwartet Braun. Der Konsolidierungsdruck ist in der fragmentierten Consulting-Landschaft ohnehin hoch. Die Einschränkungen einer kleinen Einheit hat die Akzente-Gründerin selbst erlebt. „Das Thema Digitalisierung etwa hätten wir niemals so abdecken können wie jetzt bei Accenture.“ Sie geht davon aus, dass sich spezialisierte Boutique-Beratungen an größere Einheiten anschließen werden. „Nach meiner Wahrnehmung gehen die Kundenanforderungen weg von der Stand-alone-Beratung zu Nachhaltigkeit oder Lieferkettenmanagement hin zu einem ganzheitlichen Ansatz.“

Prüferhonorare geraten unter Druck

Lünendonk-Geschäftsführer Jörg Hossenfelder erwartet, dass die Unternehmensberater die Folgen der Omnibus-Initiative durch Verlagerung von Geschäft in andere Beratungsfelder leichter kompensieren können als die Wirtschaftsprüfer. Denen bleiben zwar die volumenmäßig großen – und damit tendenziell lukrativeren – Mandate der weiterhin berichtspflichtigen Konzerne erhalten. Das Angebot an Prüfleistung trifft allerdings auf eine deutlich verringerte Nachfrage, wenn Tausende Unternehmen aus der Berichtspflicht entlassen werden. „Das wird man an den Honoraren spüren“, erwartet Hossenfelder.

Er rechnet mit einer Marktkonsolidierung im Prüfungsmarkt. „Gerade die mittelgroßen Beratungshäuser werden kämpfen müssen – sie haben höhere Kostenblöcke als kleine Spezialisten und sind weniger flexibel. Zugleich haben sie weniger Möglichkeiten, ihre Teams anderweitig auszulasten, als größere Häuser“, erklärt Hossenfelder. Für diese mittelgroßen Prüfer, die ebenfalls in Erwartung steigender ESG-Umsätze ihre Kapazitäten aufgestockt haben, könne es schwierig werden, die Teams zusammenzuhalten. „Einige werden sich von Leuten trennen.“

Weniger ESG-Regulierung, weniger Geschäft

Mit der Omnibus-Initiative entlastet die EU viele Unternehmen von ESG-Regulatorik. Während die großen Consulting-Häuser sich entspannt geben, erleiden die Wachstumsfantasien von Wirtschaftsprüfern einen harten Rückschlag.

Von Sabine Reifenberger, Frankfurt